das Motto des SFB 700.
Diese Räume will er erforschen. Oder besser: die sozialen Zusammenhänge, das soziale Gewebe, das soziale Geflecht, in so definierten Räumen, will er erforschen. Wie lässt sich das wuselig-dynamische Geflecht des Sozialen analysieren, verstehen, begreifen?
Und vor allem: Wie kann man eindringen in dieses soziale Geflecht, wie kann man es durchdringen, für sich gewinnen, transformieren, die sogenannten Entwicklungsblockierungen beseitigen, es seinen Machtinteressen unterwerfen?
Was im Taylorismus als Eigenwille der Individuen bekämpft wurde, wird auf der Ebene sozialer Zusammenhänge, wenn man so will, als Eigenwille einer bestimmten Gesellschaftlichkeit beforscht und durchleuchtet.
In einer bestimmten Sozialität, einem sozialen Zusammenhang, einem Geflecht sozialer Beziehungen drückt sich so etwas wie ein gesellschaftlicher Eigenwille aus. Ein Eigenwille, eine Sperrigkeit die sich Zwängen, Diktaten, Herrschaft, Verwertung potenziell widersetzt.
Von der Seite der Herrschaft wird das unter anderem als „nicht zivilisierter Bereich“ als „Terra incognita“ bezeichnet.
Herrschaft muss aber immer auf das Soziale zugreifen können, muss sich seiner bemächtigen können, um Herrschaft zu sein – zumindest bis zu einem bestimmten Grad.
Herrschaft, aber nicht um der Herrschaft willen, sondern zum Zwecke der Ausbeutung, Indienststellung, Verwertung.
Man könnte also die sogenannten Räume begrenzter Staatlichkeit auch als Räume eines begrenzten Zugriffs auf das Soziale nennen.
Wo findet der SFB 700 nun diese Räume, und was ist darüber hinaus das Besondere an ihnen?
Prinzipiell gibt es dabei keine örtliche Einschränkung, denn der SFB kümmert sich ausdrücklich um die „Reisefähigkeit“ des Governance-Konzeptes, wie Thomas Risse, der Leiter des SFB, es nennt.
Heutzutage lässt es sich ja überallhin recht leicht reisen. Ob in den Nahen und Mittleren Osten, den Hindukusch, den Kaukasus oder nach Afrika – natürlich nur, bzw. um so besser, wenn man nicht nur den Bleistift in der einen, sondern auch die Knarre in der anderen Hand hat. Wie D. Ephron und S. Spring das US-amerikanische Projekt des sozialwissenschaftlichen Zugriffs auf die Bevölkerungen so treffend in der Newsweek vom 12.4.08 umschrieben haben.
Aber die Reisefähigkeit der neuen Formen des Regierens, besser, des Beherrschens hat nicht nur Fernreisen im Blick, nein auch die, O-Ton Thomas Risse, „Berlin-Neukölln-Problematik“ soll mit bedacht werden - die Banlieue-Problematik nicht zu vergessen.
Etwas weiter weg, aber in den gleichen Zusammenhang gehörend, werden, wie wir von Mike Davis wissen, die Slum-Cities von den US-Militärstrategen seit Jahren offen als das „zentrale Schlachtfeld der Zukunft“ bezeichnet.
Gesellschaften die noch nicht oder nicht mehr erschlossen sind für die Diktate kapitalistischen Zugriffs und Verwertung, müssen, wie sie es nennen, „geöffnet“ werden. „Geöffnet“ werden sie mit Hilfe von Schocks – Schocktherapien, die häufig mit Krieg und immer mit außerordentlicher Gewalt einhergehen.
Allerdings, die Konzepte des Zugriffs, die Strategien der militärischen Durchdringung sind hochflexibel und passen sich nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum den jeweiligen Gegebenheiten an. Denn sie stoßen auf Blockierungen, Widerstände, Eigenwilligkeiten, Grenzen.
Das lässt sich am Verlauf des Irak- und Afghanistan-Krieges sehr gut nachvollziehen.
Die Strategie des Shock and Awe hatte ihren Zweck erfüllt, hatte Land, Bevölkerungen, Lebensgrundlagen zerbombt, vernichtet, zerstört. Und stieß dann an ihre Grenzen.
Denn Zerstörung ist, nach Joseph Schumpeter, auf den sie sich beziehen, nicht einfach Zerstörung, wenn auch unabdingbar Voraussetzung, sondern wird als schöpferische Zerstörung verstanden. Das tradierte soziale Geflecht muss zerstört werden, um sich des Sozialen bemächtigen zu können, um daraus „Humankapital“ zu machen. Schöpferisch kann Zerstörung also nur werden, wenn der Zugriff auf das Soziale gelingt. Neue gesellschaftliche Hierarchien, Verhaltensmuster, Umgangsformen, Denkweisen, patriarchale Formen usw. müssen etabliert werden.
„Mein Gefühl ist, dass das Militär im Augenblick einen enormen Wandel durchmacht, zu einem Zeitpunkt, wo sie feststellen, dass sie militärisch nicht weiterkommen“, sagt der UN-Offizielle in Südost-Afghanistan.
Für den Wandel der Strategie steht der Einsatz der „mercenery anthropologists“, der Söldner-Anthropologen, wie wir sie hier im SFB 700 vor uns haben.
Sie werden als ziviler Bestandteil über die neue zivilmilitärische Offensive ins Kriegsgeschehen integriert.
Nach den eingebetteten Journalisten haben wir es also nun mit eingebetteten Anthropologen, Ethnologen, Sozialwissenschaftlern zu tun.
Sie sorgen für die Verwissenschaftlichung des Krieges als sozialer Krieg.
Counterinsurgency, Aufstandsbekämpfung beruhte auf dem Handbuch eines alternden Generals, der neue soziale Krieg ist ein Wissenschaftsprogramm aus Governance, „eingebetteten“ Ethnologen und begleitenden Feldstudien.
Es handelt sich um eine neue Form der Politisierung des Militärischen – Governance satt Demokratie.
Krieg ist heute, ob im Irak oder Afghanistan „bewaffnete Sozialarbeit“ , „bevölkerungszentrierte“ Aufstandsbekämpfung.
Der SFB 700 erforscht, innovativ und in Anknüpfung an die Erfahrungen der Kolonialgesellschaften, die Mikrophysik der Macht, den Feingriff ins gesellschaftliche Gewebe, forscht am Tiefenzugriff in die soziale Struktur – an vorderster Front im weltweiten sozialen Krieg.