Husum 28.5.2010 - 2. Tag Gleißblockadeprozeß:
Lachen verboten
Die Antimilitaristin Hanna Poddig, die sich im Februar 2008 in Ohrstedt/Nordfriesland an die Schienen gekettet hatte, und damit einen Transportzug der Bundeswehr für mehrere Stunden aufgehalten hatte, steht seit dem 26.5. in Husum vor Gericht. Die Vorwürfe lauten Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe. Der Verhandlungstag endete erneut mit einem Eklat, nachdem Richter Veckenstedt mit völlig sinnlosen Anordnungen wie „Lachen verboten“ die Verhandlung eskalierte. Der nächste Verhandlungstermin ist der 3.6.2010 um 9:00 Uhr.
Eingangskontrollen zur Einschüchterung
Vor Prozessbeginn protestierten Antimilitarist_innen vor dem Gericht mit Transparenten und Kreide gegen die Kriegspolitik der Bundeswehr und gegen die Justiz, die eben dies deckt. Wie bereits am ersten Verhandlungstag vor zwei Tagen kam es auch heute zu schikanösen Einlasskontrollen durch die sogenannte „Mobile Einsatzgruppe Justiz“ (MEG), die auch während der gesamten Verhandlung bewaffnet im Sitzungssaal anwesend war. Bereits hier behauptete der Truppführer des MEGs, dass er selbstständig (ohne den Richter) entscheiden könne, ob Personen Einlass erhalten, oder nicht. Dies wurde daraufhin von der Verteidigung mit Anträgen zunächst ergebnislos angegriffen.
Staatsanwaltschaft bessert schlampige Arbeit nach:
Im Verhandlungsverlauf wurden die für die Streckensperrungen zuständigen Fahrdienstleiter bei der Bahn und NOB als Zeugen gehört sowie ein weiterer Polizeibeamter vernommen. Die Vorwürfe aus dem Strafbefehl wurden teilweise widerlegt, woraufhin Staatsanwalt Berns sich kurzerhand umentschloss, und weitere Vorwürfe heranzog, von denen bisher überhaupt nicht die Rede war. Außerdem kristallisiert sich immer deutlicher aus den Aussagen der Zeugen heraus, dass entgegen der Behauptung der Staatsanwaltschaft keine Raketen an Bord des Zuges waren.
„Der Staatsanwalt ziert sich aber, dieses Detail zu streichen, da sich damit zeigen würde, dass die Staatsanwaltschaft die Unwahrheit sagt, und der Richter das einfach unterschreibt.“ sagte die Angeklagte. Folgerichtig lehnte der Richter auch die Anträge nach Genehmigungen, Inhalt und Ziel des Transportes ab. „Es ist offensichtlich, dass sich dieses Gericht überhaupt nicht mit entlastenden Überlegungen beschäftigen will. Unsere Aktion auf den Schienen war zweifelsohne eine Versammlung, aber das Gericht tut so, als sei dies unbedeutend- was hier passiert ist nur noch ein einziges absurdes Theaterstück“ kommentiert die Angeklagte das heutige Geschehen.
Justiz als Theater
In diesem Theaterstück bekam u.a. der Bundespräsident einen Statistenrolle. Nach einem Afghanistan-Aufenthalt äußerte Bundespräsident Horst Köhler, dass es sich bei den Kriegen der Bundeswehr um Wirtschafts- und Rohstoffkriege handle. Um eben diese Motivation für Kriege, die auch Teil der politischen Mission der Nato Response Force ist, für die der gestoppte Zug Material transportierte, als Tatsache einzuführen, wurde der Beweisantrag gestellt, Köhler vorzuladen. Das Gericht lehnte diesen, wie auch alle weiteren politischen Anträge, ab. Insgesamt zeigte der heutige Prozessverlauf wieder einmal sehr deutlich, dass mithilfe des Strafrechts eine demonstrative, politische Aktion entpolitisiert und kriminalisiert werden soll. Gleichzeitig brachte die Verteidigung erneut jene E-Mail ins Gespräch, die schon im Prozess im Dezember Thema war: In der Akte finden sich zwei Seiten mit dem Geheimhaltungshinweis „Verschlusssache-Nur für den Dienstgebrauch“. Bei dem Schrieb handelt es sich um eine Information über die Aktion an einen „Sonderverteiler Innere Sicherheit“, adressiert ans Wirtschaftsministerium, verschiedene Polizeistellen, verschiedene Staatsanwaltschaften, aber auch den Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz und diverse Landesstellen. „Dies zeigt, dass die Staatsanwaltschaft, die das Schreiben verschickte, durchaus begriffen hat, dass es sich um eine politische Versammlung gehandelt hat!“
Selbstständig denken für Polizei nur beim Prügeln erlaubt
Nachdem die Verteidigung Beweisanträge zur Präzisierung des Tatvorwurfs, und dessen Entkräftung vorgebracht hatte, war Richter Veckenstedt auch inhaltlich sichtlich überfordert und übertrug schließlich sämtliche Kompetenzen zur „Wahrung der Ordnung“ an die MEG. So wies er das MEG an, „alle Personen, die reden, selbstständig hinaus zuwerfen!“ Die Kritik der Verteidigung, dass dies formal gar nicht zugelassen sei, interessierte ihn wenig. Im Gegenteil, gleich im Anschluss verbot er dem Publikum, zu lachen. Die Angeklagte erklärte daraufhin:„ Ich finde es absolut verständlich, wenn Menschen lachen, da das Gericht dazu ausreichend Anlass bietet.“
Amoklauf gegen die Öffentlichkeit
Nun applaudierte eine Person vorsichtig, was Richter Veckenstedt zum Anlass nahm, diese Person des Saales zu verweisen. Doch vorher trugen die Schergen den Sitznachbar der Betroffenen gewaltsam zur Saaltür hinaus. Als von diesem Schmerzensschreie zu vernehmen waren, verließ einer der beiden Anwälte den Verhandlungssaal. Zeitgleich beförderten die Angehörigen des MEGs auch die eigentlich verwiesene Person mit Gewalt hinaus. Daraufhin betrat der Anwalt erneut den Saal, berichtete, dass er gesehen habe, wie ein Beamter einen Zuschauer schlug, und forderte den Richter auf, dagegen einzuschreiten, da dies nicht angewiesen worden sei. Veckenstedts Antwort verschlug allen im Saal die Sprache (außer vielleicht den Schlägern und dem Staatsanwalt): „Langweilen Sie mich nicht!“ Weitere formale Beschwerden wies er ab mit dem lapidaren Kommentar, das ließe sich dann ja in der Revision klären. Außerdem unterstellte er den Anwälten der Angeklagten mehrmals, sie seien nicht vertrauenswürdig.
In ärztlicher Behandlung:
Der von den Beamten des MEG geschlagenden Person geht es den Umständen entsprechend gut, die andere Person suchte nach der Verhandlung wegen Schürfwunden an Rücken und Armen einen Arzt auf. Die Polizeibeamten der Polizeidirektion Husum, die vor dem Gericht eingesetzt waren, weigerten sich eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt aufzunehmen. Auch Staatsanwalt Berns, der berüchtigt dafür ist, dass er Verfahren gegen folternde Polizisten der Polizeidirektion Husum bedenkenlos einstellt, verwies auf die zuständige Staatsanwaltschaft.
Der Prozess wird am 3.6. fortgesetzt. Solidarische Antimilitarist_innen veranstalten noch bis dahin und bereits seit dem 24.5. eine Dauermahnwache vor der Fliegerhorstkaserne in Husum, um gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu demonstrieren.
Außerdem findet am Samstag, den 29.5. um 14:00 ab Husum Marktplatz eine „Fahradtour für Frieden- Radeln gegen Rüstung“ statt. Auf dem Fahrrad wird die Demo eine Route entlang der Militärstützpunkte der Stadt nehmen und an den Stützpunkten über die Kriegseinsätze der jeweiligen Militärs im Ausland informieren.
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