Die Bundeswehr bekommt heute erstmals Hausverbot an einer Berliner Schule!
Quelle: BZ Online vom 26.5.2010 Autor: Gunnar Schupelius
Bitte merken Sie sich den heutigen Tag besonders gut. Heute bekommt die Bundeswehr zum ersten Mal in ihrer Geschichte Hausverbot an einer Schule. Und zwar am Hilde-Coppi-Gymnasium in Karlshorst.
Auf der Homepage des Coppi Gymnasiums steht heute eine „Infoveranstaltung“ mit dem Thema „Berufe in der Bundeswehr“. Zwei Jugendoffiziere sollten erklären, welche Ausbildungen und Berufe in Heer, Marine und Luftwaffe angeboten werden. Ein ganz normaler Programmpunkt. Doch im letzten Moment schickte die Schulleitung der Bundeswehr eine Ausladung. Zur Begründung hieß es, Schüler hätten gegen den Besuch der Offiziere Flugblätter verteilt, „auch einige Eltern“ hätten sich „kritisch“ geäußert. Argumente wurden nicht ins Feld geführt...
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Sebastian Schlüsselburg
Mitglied im Landesvorstand
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Gunnar Schupelius
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Offener Brief auf Ihre Kolumne vom 27.5.2010
Berlin, den 27. Mai 2010
Sehr geehrter Herr Schupelius,
mit einigem Amüsement habe ich Ihre heutige Kolumne gelesen. Darin lassen Sie sich gewohnt pointiert über den Vorgang am Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium aus, das aufgrund massiver Proteste von Schülern, Eltern und einiger Lehrer eine Veranstaltung mit Jugendoffizieren der Bundeswehr abgesagt hat. Erlauben Sie mir, bevor ich auf Ihren persönlichen Angriff gegen meine Person eingehe, einige Ausführungen zur Sache – denn um selbige geht es der LINKEN:
Bei der Frage „Bundeswehr in der Schule“ geht es letztlich um nichts Geringeres als die Einhaltung der Grundrechte des Grundgesetzes:
Denn bei der Unterrichtserteilung zum Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden zwangsläufig nicht nur Fragen der rechtlichen und politischen, sondern auch der ethischen, religiösen und weltanschaulichen Beurteilung betroffen. Damit berührt ein solcher Unterricht oder eine solche Veranstaltung im Rahmen der Schulpflicht sowohl die Grundrechte der Schülerinnen und Schüler aus
Artikel 4 GG (Gewissensfreiheit) als auch das
Erziehungsrecht der Eltern aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 GG, das sich in Verbindung mit
Artikel 4 GG auch auf
die Erziehung der Eltern in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht erstreckt.
Allerdings erteilt Art. 7 Absatz 1 GG dem Staat einen Erziehungsauftrag. Er hat nicht nur das Schulwesen zu organisieren und selbst Schulen zu errichten, sondern darf auch die Erziehungsziele und Ausbildungsgänge festlegen. Dabei ist er von den Eltern unabhängig. Dieser
Konflikt zwischen den Grundrechten der Schüler und Eltern und dem staatlichen Erziehungsauftrag ist nach dem
Grundsatz der sog. praktischen Konkordanz zu lösen. Er fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren.
Gleichzeitig ist die Schule im Wege des staatl. Neutralitätsgebotes dazu verpflichtet keine einseitige Einflussnahme der Schüler selbst vorzunehmen oder durch andere vornehmen zu lassen. Dies gilt ganz im Sinne des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes umso mehr, je umstrittener die Bundeswehr oder Gegenstände ihrer Vorträge (z.B. Kriegseinsätze) in der Öffentlichkeit sind.
Einseitige Einflussnahme kann bspw. dadurch verhindert werden, dass die machtrhetorisch geschulten Jugendoffiziere solche Veranstaltungen stets gemeinsam mit militärkritischen Referenten bestreiten. Sie und einige Ihrer Kollegen verkennen, dass es sich bei der Bundeswehr gerade nicht um irgendeinen Arbeitgeber handelt. Bei dem Beruf des Soldaten geht es letztlich immer auch um töten und getötet werden. Das
Grundrecht auf Gewissensfreiheit ist nicht umsonst
ein schrankenloses Grundrecht.
Diese Rechtsauffassung der LINKEN bestätigt auch ein
Gutachten des wiss. Dienstes des Deutschen Bundestages:
Allein die Schule entscheidet zunächst darüber, ob sie überhaupt die Bundeswehr in die Schule einlädt. Wenn sie das aber tut, gilt das staatliche Neutralitätsgebot und sie ist verpflichtet die Schüler nicht allein und unwidersprochen den Jugendoffizieren auszusetzen. Wenn Schüler aus Gewissensgründen die Teilnahme an einer solchen Veranstaltung ablehnen, dürfen sie auch nicht zu einer Teilnahme gezwungen werden, sondern müssen den Unterricht in einer Parallelklasse besuchen. Das Gutachten finden Sie im Anhang. Vielleicht hilft es Ihnen ja, den Sachverhalt etwas differenzierter zu betrachten. Wenn Sie etwas davon nicht verstehen, erkläre ich es Ihnen gern. Grundrechte waren in meinem Jura-Studium schon im zweiten Semester dran.
Sie sehen also: DIE LINKE steht mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes und fordert nichts weiter als eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit. DIE LINKE ist mit dieser Position auch nicht allein. Derzeit befindet sich ein landesweites Bündnis gegen die Militarisierung von Bildungseinrichtungen in Gründung. Die jüngsten Äußerungen des Verteidigungsministers zu Guttenberg machen auch mehr als deutlich, dass der Protest und die Durchsetzung des staatl. Neutralitätsgebotes in der Schule wichtig ist. Vor dem Hintergrund der weiter abnehmenden Zustimmung in der Bevölkerung zum Krieg in Afghanistan forderte er unlängst eine Intensivierung der Arbeit der Jugendoffiziere an Schulen. Dafür erntete er nicht nur die Kritik der LINKEN, sondern auch die vom Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD).
Wenn Sie mich überdies persönlich als Vertreter der SED-Nachfolgepartei angreifen, sei Ihnen noch folgendes auf den Weg gegeben: Ich habe als gebürtiger West-Berliner 2005 im Alter von 21 Jahren den Weg in die damalige PDS gefunden. Obwohl ich persönlich gar nichts mit der SED und der DDR zu tun hatte, nehme ich als Parteimitglied auch den Umgang mit diesem Erbe an. Den Wehrkundeunterricht gibt es, wie Sie schreiben, tatsächlich nicht mehr und das begrüße ich. Umso wichtiger ist es, einer Militarisierung der Gesellschaft durch den Staat entschieden entgegenzutreten und in jedem Fall den Grundrechten zu ihrer Geltung zu verhelfen. DIE LINKE ist auch hier in Anbetracht eines teils ihrer Geschichte glaubwürdig. Vielleicht recherchieren Sie ja demnächst mal genauer, bevor Sie eine Person pauschal mit dem Kampfbegriff des SED-Nachfolgers belegen.
Hochachtungsvoll,
gez.
Sebastian Schlüsselburg
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags
Bundeswehr im Schulunterricht:
1.Ausgangssituation
2.Grundrechte der Eltern
3.Grundrechte der Schüler
4.Rechtsgrundlage
5.Ergebnis
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