Larzac – Inspiration für frühe GraswurzelrevolutionärInnen
Gewaltfreie Aktion war also keine Mittelstandsideologie, wie ihnen von linken StudentInnen damals oft vorgeworfen wurde, sondern wurde in anderen Ländern, etwa von den Bäuerinnen und Bauern in Larzac/Frankreich und zeitgleich von den ArbeiterInnen der Firma LIP in Besançon, für deren Streik um Arbeiterselbstverwaltung die Larzac-KämpferInnen besonders 1973 Straßenblockaden durchführten, aufgegriffen. Von der auch praktischen Solidarität mit den Bäuerinnen und Bauern in Südfrankreich zur Solidarität mit den sich gegen AKW-Baupläne wehrenden Bauern und Bäuerinnen in Süddeutschland um Wyhl war es für die ersten gewaltfreien Aktionsgruppen der Graswurzelrevolution dann ein logischer Schritt. Viele AktivistInnen der GWR bereisten damals das dünn besiedelte Hochplateau des Larzac, nördlich der Stadt Montpellier ,um sich Inspirationen für die entstehende Bewegung in der BRD zu holen.
Besonders intensiv war der Austausch mit den GWR-RedakteurInnen Wolfgang Hertle und Doris Sterzer. Von diesem Austausch und dieser Solidarität kündet noch immer das materialreiche und sehr detaillierte Buch von Wolfgang Hertle, „Larzac 1971-1981. Der gewaltfreie Widerstand gegen die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes in Süd-Frankreich“ (Weber, Zucht & Co., Kassel), das 1982 erschien, gleich nach dem Sieg der Bauernbewegung, der durch die Einlösung eines Wahlversprechens des 1981 gewählten neuen französischen Präsidenten Mitterand (nahezu das einzige Versprechen, das er hielt) besiegelt wurde.
Nach den ursprünglich 1970 veröffentlichten Plänen sollte das auf dem Plateau seit langem bestehende Areal einer Militärkaserne von 3000 ha zu einem riesigen Truppenübungsplatz von 17000 ha erweitert und nahezu alle ansässigen Bauernfamilien, die vorwiegend von Schafzucht und Getreideanbau lebten, enteignet und vertrieben werden. Im Januar 1971 gründeten die Betroffenen ihre erste Organisation „Association Pour la Sauvegarde du Larzac et de son Environnement“ (Verein zur Rettung des Larzac und seiner Umwelt) und kämpften dann mehr als zehn Jahre gegen die Aktivitäten der Armee in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft.
In der GWR wurde immer wieder über diesen lang andauernden Kampf, berichtet. Der erste GWR-Artikel zum Larzac findet sich bereits in der Nullnummer der GWR von 1972 auf S. 7, der zweite in der Nr. 1 (1973) hat bereits den programmatischen Titel „Lip – Larzac – Mururoa – derselbe Kampf“ (Mururoa war der Ort in der Südsee, an dem die französische Armee damals Atomtests durchführte und wogegen indigene BewohnerInnen Widerstand leisteten). Im GWR-Register der Ausgaben 0-200 finden sich 25 Artikeleinträge, ein Larzac-Sonderblatt gab es als Beilage zur GWR Nr. 14/15 (1975).
Der aktuelle Film von Christian Rouaud: „Tous au Larzac“
Über diesen Kampf ist nun in den französischen Kinos ein beeindruckender Dokumentarfilm des Regisseurs Christian Rouaud angelaufen. Er bringt zwei Stunden (Laufzeit: 1’58 h) prachtvolle Bilder, Interviews und in dieser Zusammenstellung nie gesehenes Filmmaterial über den Kampf. Es ist nur zu hoffen, dass der Film auch seinen Weg in deutsche Kinos findet. In den Dokumentaraufnahmen ist u.a. der damals bedeutende, inzwischen verstorbene Guy Tarlier zu sehen, den Wolfgang Hertle für sein Buch mit Tonband intensiv befragt hat. An seiner Stelle spricht im Film seine ebenso im Kampf aufgehende Ehefrau Marizette Tarlier. Unter den interviewten Bauern und Bäuerinnen ist auch José Bové zu sehen, der damals vom Solidaritätskomitee Bordeaux aus als überzeugter Anarchist auf den Larzac zog, dort blieb und Bauer wurde (leider blieb er nicht Anarchist!).
Der am 20. September 2011 auf dem Filmfestival für historische Filme in Pessac/Gironde ausgezeichnete Film von Rouaud besticht durch die Einfachheit, mit der wesentliche Prinzipien des gewaltfreien Kampfes zum Ausdruck kommen – er könnte quasi als Lehrfilm durchgehen. So sagen die Bäuerinnen und Bauern im Film, sie machten ihre Aktionen mit den Mitteln, die sie auch in ihrem Lebensalltag zur Verfügung hatten: Schafe und Traktoren. Mit ihnen fuhren sie insgesamt drei Mal in entscheidenden Phasen des Kampfes nach Paris unter den Eiffelturm (beim letzten Mal gingen sie sogar die gesamten 750 km zu Fuß) und hoben so ihren marginal und abgelegen erscheinenden Kampf auf frankreichweites Niveau, sodass nicht nur die Larzac-Solikomitees in nahezu jeder Stadt entstanden, sondern teilweise massenhaft Jugendliche, Hippies, StudentInnen, Linksradikale und Kriegsdienstverweigerer aufs Plateau kamen, zum Teil in Arbeitseinsätzen lange blieben und am Kampf teilnahmen.
Zeitlich, noch vor dem Auftreten des religiös-gewaltfreien Anarchisten Lanza del Vasto und seiner FreundInnen von der Lebensgemeinschaft Arche, kamen MaoistInnen aufs Plateau, versuchten dort einige Zeit zu leben und die Bauern/Bäuerinnen vom bewaffneten Kampf zu überzeugen. Die Bäuerinnen und Bauern verweigerten sich ihnen dabei und empfanden diese Strategie angesichts der nahen, waffenstarrenden Armee geradezu als selbstmörderisch. Dass die Gewaltfreien um del Vasto dagegen durchschlagenden Erfolg hatten, mag zum großen Teil auch an der damaligen katholisch-christlichen Gläubigkeit der Bäuerinnen und Bauern gelegen haben, die del Vasto direkt ansprach. Trotzdem war der spirituelle Überbau für die Bäuerinnen/Bauern nicht auf Anhieb nachvollziehbar. Im Film machen sich manche Bauern lustig über das sehr wichtige vierzehntägige Fasten im März 1972, das sie mit del Vasto durchführten, und sagen, die Bauernkultur hätte immer kraftvolles Essen beinhaltet – Fasten habe sich für sie geradezu absurd angehört. Doch wichtig für den Widerstand war nicht das Fasten selbst, sondern es waren die sekundären Effekte von del Vastos Initiative. Die bis dato isoliert voneinander lebenden, politisch uninteressierten und vereinzelten Bauern/Bäuerinnen kamen für längere Zeit zusammen, um sich als Gemeinschaft der Betroffenen zu konstituieren. Am Ende des Fastens schworen sie den „Schwur der 103“ (von insgesamt 107 betroffenen Bauernfamilien), nicht zu verkaufen, auf dem Plateau zu bleiben und gemeinsam zu kämpfen. Der Schwur hielt die ganzen Jahre über und ließ sich auch nicht durch ausgeklügelte Spaltungsversuche von Regierung und Militär aufweichen.
Sehr beeindruckend sind die Dokumentaraufnahmen im Film von den direkten gewaltfreien Aktionen. Gehöfte wurden zuerst vom Militär besetzt, dann kamen Bäuerinnen/Bauer und AktivistInnen, um die Gehöfte zurückzubesetzen – in einem Fall war das Militär mehrere Tage im Haupthaus untergebracht und die AktivistInnen campierten direkt vor der Eingangstür im Hof: Nach fünf Tagen Kopf an Kopf rückten die Militärs wieder ab. 1976 ging eine Gruppe von Bäuerinnen/Bauern und AktivistInnen in ein Verwaltungsgebäude der Armee und stahl am helllichten Tag geheime Enteignungspläne. Als es zu Verhaftungen kam, brachen die Bäuerinnen und Bauern mit Traktoren das abgeschlossene Tor zum Bürgermeisterhaus einer Gemeinde auf, um die Freilassung zu erwirken. Ein von Bauern klar erkannter Geheimdienstler in Zivilkleidung, der bei einer Massenkundgebung anfing, Steine auf den in der Menge als Besucher befindlichen Mitterand zu werfen, führte nur dazu, dass die Betroffenen umso überzeugter an der Strategie der gewaltfreien Aktion festhielten. Ein sehr wahrscheinlich von der Armee durchgeführter Bombenanschlag, der ein Bauernhaus zerstörte, zum Glück ohne dass die Familie getroffen wurde, hätte den Kampf fast zum Erliegen gebracht – doch die Bäuerinnen/Bauern und AktivistInnen ließen sich auch davon nicht unterkriegen.
Für Filmemacher Christian Rouaud ist das bereits der dritte Dokumentarfilm in einer Reihe, die er mit einem Filmporträt des dann auch auf dem Larzac aktiven Bauernrebellen Bernard Lambert im Jahre 2002 begonnen hatte („Paysan et rebelle, un portrait de Bernard Lambert“). Lambert hatte schon 1970 das Buch „Les Paysans dans la lutte des classes“ (Die Bauern/Bäuerinnen im Klassenkampf) veröffentlicht, gründete dann die Bewegung „Arbeiter-Bauern“ und nach dem Sieg im Larzac 1981 schließlich die „Confédération nationale des syndicats de travailleurs paysans“ (Nationale Konföderation der Bauern-Arbeiter-Gewerkschaften), die als „Confédération paysanne“ heute noch existiert. Es folgte der Film Rouauds über die Arbeiterkämpfe bei LIP „Les Lip, l’imagination au pouvoir“ (Lip: Die Phantasie an die Macht!; 2007), bevor er in der logischen Abfolge dieser Filmreihe schließlich den Larzac-Film drehte. (1)
Nach einem Jahrzehnt des Kampfes und dem Sieg blieben die Larzac-Bäuerinnen/Bauern im Vergleich zu ihrer weltabgewandten, isolierten Lebensweise von vor 1971 wie verwandelt und initiierten immer wieder Kämpfe oder solidarisierten sich mit ihnen. Dazu gehört die Solidarität mit den Hungernden der Sahelzone noch zur Zeit des Kampfes um den Larzac, die ebenfalls im Film dokumentiert wird, danach die Solidarität mit der Unabhängigkeitsbewegung der Canaques in Neu-Kaledonien gegen den französischen Kolonialismus. Die gewaltfreie Sachzerstörung im McDonalds-Restaurant von Millau durch eine Gruppe um José Bové war eine der Initialzündungen der Bewegung für eine andere Globalisierung. Im Jahre 2003 kam es zu einem weltweiten Treffen dieser Bewegung mit rund 300.000 Beteiligten aus aller Welt auf dem Larzac-Plateau. Von dort ging die Initiative zu Aktionskampagnen für Feldbefreiungen gegen genmanipuliertes Saatgut aus – die gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Freilandversuche waren in Frankreich besonders intensiv und auch erfolgreich. Der Larzac ist bis heute eine kollektive Inspirationsquelle für gewaltfreien Widerstand geblieben.
Slipperman
Film: Christian Rouaud, Tous au Larzac, 1’58 h.
Anmerkung:
(1): Vgl. ausführliche Filmbesprechung und Interview mit Rouaud in: Le Monde, 23.11.2011, S. 21.
Dieser Text erscheint in der März-Ausgabe (Nr. 367) der Zeitschrift Graswurzelrevolution.