Kriegsspiele im Klassenzimmer
Dutzende Jugendoffiziere werben an Schulen und Unis für weltweite Militäreinsätze der Bundeswehr
Von Michael Schulze von Glaßer *
Die deutsche Armee schließt immer mehr Kooperationsabkommen mit Landesschulministerien. Doch der Protest gegen diese unselige Zusammenarbeit von Militär und Schule wird lauter.
»Globale Konfliktvermeidung und Krisenbewältigung« sowie die »nationalen Interessen« Deutschlands sollen baden-württembergischen Schülern von nun an näher gebracht werden. Dazu unterzeichneten Kultusminister Helmut Rau (CDU) und Generalmajor Gert Wessels, Befehlshaber des regionalen Wehrbereichskommandos, am 4. Dezember vergangenen Jahres eine
Kooperationsvereinbarung. Neben der Durchführung von Vortragsveranstaltungen in Klassenzimmern werden die 94 hauptamtlichen Jugendoffiziere der Bundeswehr - junge, rhetorisch geschulte Soldaten mit Führungserfahrung - nun auch in die Aus- und Fortbildung von Referendaren und Lehrkräften eingebunden.
Zudem bietet die Bundeswehr den Lehrkräften sowie Vertretern der Schulaufsicht Besuche in militärischen Einrichtungen an. Es ist die bundesweit vierte Kooperationsvereinbarung zwischen der Bundeswehr und einem Landesschulministerium.
Ein Dammbruch
Bereits im Oktober 2008 feierte die nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) die erste vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen Armee und Landesministerium. Im Frühjahr 2009 wurden Vereinbarungen im Saarland und in Rheinland Pfalz unterzeichnet. Nun folgte Baden-Württemberg. Seit Jahren arbeitet die Bundeswehr gezielt auf solche Kooperationen hin: 2005 wurde in jedem Bundesland ein Bezirksjugendoffizier in Dienst gestellt, um Kontakt zu den jeweiligen Schulministerien herzustellen. Ziel ist ein Kooperationsabkommen für jedes Bundesland. Damit soll der Bundeswehr der Zutritt zu den Schulen noch einfacher gemacht werden. Dabei ist sie äußerst erfolgreich: Wie die Zahlen aus dem Jahr 2008 belegen, erreichten die Jugendoffiziere bei bundesweit 6480 Lehrveranstaltungen mehr als 175 000 Schüler. Die 90-minütigen Vortragsveranstaltungen behandeln Themen wie »Soldaten als Staatsbürger in Uniform« oder »Auslandseinsätze der Bundeswehr«.
2008 führten die Jugendoffiziere außerdem mehr als 360 Simulationen des interaktiven Planspiels »Politik & internationale Sicherheit« - kurz POL&IS - durch. Dabei schlüpfen die jungen Spieler in die Rollen von Staatschefs und schlagen sich mit verschiedenen Problemen herum: Rohstoffknappheit, Terrorismus, Flüchtlingsströme. Also jene Probleme, die die Bundeswehr als Rechtfertigung für weltweite Interventionen vorschiebt. Die Jugendoffiziere bestimmen den Spielverlauf, der immer auf eine militärische Lösung hinausläuft. Dafür steht den jungen Spielern ein reichhaltiges Arsenal von Infanterie- und Panzerarmeen über strategische Raketenverbände, Bombergeschwader, Atom-U-Bootflottillen bis hin zu atomaren und chemischen Waffen zur Verfügung. An der Simulation nahmen 2008 rund 17 500 Schüler mit ihren Lehrern sowie Studenten und Referendare an mehr als 2000 Seminartagen teil. Auch Klassenausflüge in örtliche Kaserne werden von Jugendoffizieren organisiert.
Gegen diese Militarisierung der Bildungseinrichtungen regt sich nun Widerstand
Unter dem Motto »Bundeswehr raus aus dem Klassenzimmer« ruft das Bildungsstreikbündnis Freiburg zur bundesweiten Demonstration am 23. Januar in Freiburg auf - die bundesweit erste Demonstration zu diesem Thema. »Jegliche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Bildungseinrichtungen und der Bundeswehr muss sofort eingestellt werden«, so ein Mitglied des Freiburger Bildungsstreikbündnisses. Aber auch andernorts regt sich etwas: Die »LandesschülerInnenvertretung Nordrhein-Westfalen« beschloss im März 2009 auf ihrer Delegiertenkonferenz eine Resolution »Bundeswehr raus aus den Schulen« und plädiert für eine Unterrichtsbefreiung während der Bundeswehrbesuche. Im Mai 2009 wurde vom Kölner- Friedensforum der Aufruf »Schule ohne Bundeswehr« veröffentlicht, aus dem eine gleichnamige Arbeitsgruppe entsprang. Der Landesverband Bremen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt den Aufruf bereits.
In Schleswig-Holstein wurden Elternvertreter nach einem Schulausflug einer achten Klasse gegen die Beeinflussung ihrer Kinder durch die Bundeswehr aktiv: Ein Soldat pries den jungen Leuten unverhohlen den Schießsimulator der Armee an, dieser sei »1000 Mal besser« als jede Playstation- Spielkonsole.
* Aus: Neues Deutschland, 11. Januar 2010
Sonntag, 6. Dezember 2009 | Thema: Deutschland, Gesellschaft, Hintergründe
Von Thomas Trueten | trueten.de | – Nach einer Mitteilungdes baden – württembergischen Ministeriums für "Kultus, Jugend und Sport" vom 4. Dezember 2009 will das Land die Zusammen arbeit zwischen Schulen und der Bundeswehr vertiefen.
Dabei soll sich an SchülerInnen ab der 9. Klasse gerichtet werden. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen einem Bericht des "Offenburger Tageblattes" vom selben Tag zu Folge darüber hinaus in die Fort- und Weiterbildung von Lehrern eingebunden werden. Nach Aussage von Kultusminister Helmut Rau (CDU) sei das Ziel dabei jedoch nicht, für die "Bundeswehr als Arbeitgeber" zu werben, sondern eine "Versachlichung der sicherheitspolitischen Diskussion" zu erreichen.
Die Militarisierung des Lebens nimmt damit neue Dimensionen an. Denn auch wenn es das Unwesen der Jugendoffiziere an Schulen bereits seit Jahren gibt, entsteht mit deren Einbindung in die "Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren und von Lehrkräften" eine neue Qualität. Zudem "bietet die Bundeswehr Lehrerinnen und Lehrern sowie Vertretern der Schulaufsicht ihrerseits Besuche in ihren Einrichtungen und Seminare zur Sicherheitspolitik an. Angebote zur politischen Bildung werden regelmäßig in den Medien des Kultusministeriums und des Wehrbereichskommandos IV veröffentlicht." (Mitteilung KM vom 4.12.2009)
In Zusammenhang mit der fortschreitenden Zusammenlegung ziviler und militärischer Forschung, der verstärkten Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr im Rahmen von Messen, Stadtfesten, Militärmusikkonzerten, Militärparaden wie am 27.6.2009 in Müllheim, wo 1500 Soldaten der sogenannten „Deutsch Französischen Brigarde" durch den Ort marschierten, wird nun – mit Segen des Ministeriums für „Militarismus, Kultus, Jugend und Sport“ nachgelegt. Geradezu unverschämt wird die sich für viele Jugendliche verschärfende berufliche Perspektivelosigkeit ausgenützt.
Zusammen mit der Einbindung der Bundeswehr in die Bundesagentur für Arbeit und der damit einhergehenden Verpflichtung von Hartz IV Empfänger zur Teilnahme an Zwangsrekrutierungsveranstaltungen festigt sich der militaristische Komplex somit ein weiteres Standbein – die Schulen bzw. das Bildungssystem. Ein großer Unterschied zu seitherigen Propagandaveranstaltungen wie der zweitägigen Abiturientenmesse "Einstieg Abi" in Köln. Mit über 35.000 BesucherInnen die bundesweite größte dieser Art – präsentierte sich die Bundeswehr dort ebenso als vermeintlich "attraktiver" und "ganz normaler Arbeitgeber".
Aber nicht nur im Rahmen der ideologischen Anbindung und der zunehmenden Öffentlichkeitsarbeit wird aktiv in den zivilen Gesellschaftsbereich vorgedrungen, auch die innere und äußere Sicherheit sowie polizeiliche und militärische "Kompetenz" verschwimmen zusehends. Jüngste Beispiele hierfür sind der Einsatz der Bundeswehr im Inneren beim G8-Gipfel in Heiligendamm, die Nutzung militärischer Logistik beim Nato-Gifpel 2009 in Kehl, Baden-Baden und Strasbourg sowie das "Bürgerkriegsmanöver" am 12.11.2009 in Schwarzenbach am Wald.
In dem Sinne ist zu hoffen, daß die Proteste während der Kultusministerkonferenz am 10. 12 2009 in Bonn auch die Militarisierung des Schulunterichts zum Thema machen.
(Zuerst veröffentlicht auf StattWeb– StattZeitung für Südbaden)
Quellennachweis für diesen Beitrag: – Netzwerkpartner – Thomas Trueten von trueten.de. Dieser Beitrag steht unter einer CC-Lizenz. Bildnachweis: – eben dort – .
"Der Bundeswehr die Werbetour vermiesen"
Nachwuchswerbung der Truppe in Schulen und Arbeitsagenturen wird immer aufdringlicher. Jugendverband startet Gegenkampagne. Ein Gespräch mit Björn Schmidt ** Björn Schmidt ist Bundesvorsitzender der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.
Die SDAJ hat am Wochenende eine Kampagne unter dem Motto »Bundeswehrfreie Zone« gestartet. Was verstehen Sie darunter?
Unsere Kampagne richtet sich gegen die aufdringliche Nachwuchswerbung der Bundeswehr. Mit Slogans wie »Karriere mit Zukunft« versucht sie verstärkt, Jugendliche anzusprechen, die sich beruflich orientieren wollen. Die Militärs postieren sich gezielt an Orten, wo diese Jugendlichen anzutreffen sind. In Zeiten ausgeweiteter Kriegseinsätze gibt es aus ihrer Sicht viel zu wenig qualifizierte Bewerber. Diesen Mangel versuchen sie, mit einer aufwendigen Rekrutierungsarbeit vor allem unter Schülern zu beheben.
Statt »Zukunft« erwartet die zukünftigen Soldaten aber der Kriegseinsatz mit allen denkbaren Folgen: Schießbefehl, Verwundung, und immer häufiger sogar der Tod. Mit unserer Kampagne wollen wir verhindern, daß diese Rekrutierungsarbeit Erfolg hat. Wir fordern nicht nur den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, sondern auch ihren Abzug aus Schulen, Arbeitsagenturen und Jugendmessen.
Mit welchen Methoden versucht die Bundeswehr Ihrer Erfahrung nach, junge Menschen als Nachwuchssoldaten zu gewinnen?
Die Werbestrategie der Militärs umfaßt Freizeitaktivitäten aller Art. Das geht von den sogenannten Karriere-Trucks, die auf öffentlichen Plätzen und Jobmessen haltmachen, über Sportveranstaltungen und Konzerte bis hin zu Unterrichtsstunden in Schulen und Vorträgen in Arbeitsagenturen. Das wichtigste Argument der Jugendoffiziere ist immer: Bei der Bundeswehr hast du eine gute Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz. Damit nutzt sie die hoffnungslose Lage vieler Jugendlicher auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz aus. Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt ist, daß sie in den Schulen mit der Werbung für den Job an der Waffe gleichzeitig Propaganda für den Krieg machen können.
Wie reagieren Ihre Altersgenonssen in Schulen, Unis und Betrieben darauf?
Die meisten der umworbenen Jugendlichen reagieren mit Skepsis auf den »Beruf Soldat«, was von der Bundeswehr genau analysiert wird. Vor allem die Entbehrungen der Kasernierung und der Auslandseinsätze, aber auch das Prinzip »Befehl und Gehorsam« an sich sind für viele abschreckend.
Dennoch bleibt immer mehr Jugendlichen nichts anderes übrig, wenn sie nach der Schule nicht direkt in Hartz IV landen wollen. Mit der Kampagne »Bundeswehrfreie Zone« wollen wir dazu beitragen, die Skepsis gegenüber der Bundeswehr hin zu entschiedener Ablehnung und Widerstand weiter zu entwickeln. Kurz: Wir wollen ein antimilitaristisches Bewußtsein unter Jugendlichen schaffen.
Sind es Ihrer Meinung nach eher unpolitische Jugendliche, die über eine Laufbahn bei der Bundeswehr nachdenken, weil sie sonst wenig berufliche Perspektiven haben?
Zweifellos treibt die Arbeitslosigkeit immer mehr junge Leute in die Bundeswehr und damit in den Kriegseinsatz. Das spiegelt sich in der Herkunft der Soldaten wieder: 62,4 Prozent der niedrigen Mannschaftsdienstgrade kommen aus Ostdeutschland, wo der Arbeits- und Ausbildungsplatzmangel am größten ist.
Längst nicht alle sind fanatische Anhänger der Auslandseinsätze oder ziehen zum Vergnügen in den Krieg, das ist uns bewußt. Wir verknüpfen ja unsere antimilitaristische Arbeit auch mit der Forderung nach einem Gesetz, das Unternehmen zur Ausbildung zwingt, damit Jugendliche eben nicht auf die Bundeswehr als letzte Rettung angewiesen sind.
Mit welchen Aktionsformen wollen Sie der Nachwuchswerbung der Bundeswehr entgegentreten?
Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Bundeswehr auf Proteste empfindlich reagiert. Schließlich will sie sich als normaler Arbeitgeber präsentieren und den schmutzigen Krieg in Afghanistan lieber verschweigen. Deshalb wollen wir in den kommenden Monaten zahlreiche Protestaktionen gegen die Bundeswehr auf Jobmessen und öffentlichen Plätzen durchführen. Mit kreativen Aktionen, einem antimilitaristischen CD-Sampler, einer Konzertreihe und Info-Veranstaltungen wollen wir der Bundeswehr diese Werbetour vermiesen.
Interview: Claudia Wangerin
** Aus: junge Welt, 11. Januar 2010