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IMI-Analyse 2006/031 - in: junge Welt, 28.12.2006
http://www.imi-online.de/download/06-Analyse031-MH.pdf
Die europäischen Rüstungskonzerne wollen in Zukunft stärker von den neuen Kriegen profitieren. Die EU bereitet ihnen politisch den Weg dazu und finanziert diesen Wirtschaftssektor hinter dem Rücken der Öffentlichkeit.
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Ohne Kontrolle
Der europäische Rüstungsmarkt gerät in Bewegung: »Europäische Konzerne sehen gute Chancen auf dem US-Markt«, titelte das Handelsblatt am 19. September 2006. Geradezu enthusiastisch wird betont, daß sich die US-Regierung dieser expansiven Strategie nicht mehr in den Weg stelle. Nun sei nicht mehr »nur von europäischer Kooperation, sondern genauso selbstverständlich von transatlantischer Rüstungskooperation die Rede«. Dies eröffne ungeahnte Perspektiven für europäische »Konzerne wie BAE Systems, Thales oder EADS, die ›Festung‹ USA erobern zu können. Bisher hatten europäische Rüstungsgüter dort praktisch keine Chance.« Außer Rand und Band gerät die Zeitung, wenn sie sich vor Augen führt, wieviel Geld dabei zu machen ist: »Eine wirkliche Sensation würde es bedeuten, wenn EADS beim Milliardenauftrag zur Erneuerung der US-Tanker-Luftflotte zum Zuge kommen sollte. Auch ohne diesen Auftrag wächst das Unternehmen jedoch schon auf dem US-Markt, genau wie die Thales-Gruppe zum Beispiel, die ihren Umsatz in den USA seit 2002 jährlich um fast 25 Prozent steigern konnte.«
Thales war 2005 mit 8,5 Milliarden Dollar Umsatz die Nummer neun der Rüstungskonzerne weltweit, der deutsch-französisch dominierte EADS-Konzern und die britische BAE Systems nehmen mit jeweils 9,1 Milliarden und 20,9 Milliarden Dollar Umsatz Platz sieben und vier in der Rangliste der weltgrößten Waffenschmieden ein. Der britische Rüstungsproduzent will »seinen Umsatzanteil in Nordamerika mit eigener Kraft auf bis zu 80 Prozent binnen drei Jahren vergrößern«, berichtet die FAZ vom 20. November 2006. Bei EADS setzt man als Ausweg aus der Airbus-Krise verstärkt auf Rüstungsproduktion. Co-Vorstandschef Tom Enders gibt im selben Beitrag die Aufrüstungswegmarken vor: »Durch neues Geschäft in Großbritannien und Nordamerika soll sich bei der EADS der Umsatz der Militärsparte von heute 7,7 Milliarden Euro auf mindestens zehn Milliarden bis Ende 2007 vergrößern.«
Die drei größten europäischen Rüstungskonzerne wollen sich vom Kuchen des aufgeblähten US-Rüstungsmarktes einen Gutteil abschneiden, das Rüstungsbudget in den EU-Mitgliedstaaten reicht ihnen nicht mehr. Insofern hat ein Kurswechsel in Richtung Pentagon eingesetzt. Denn allein »mit einem Jahresbudget von 439 Milliarden Dollar (342 Milliarden Euro) ist Nordamerika der mit Abstand größte Rüstungsmarkt der Welt«, heißt es im FAZ-Artikel weiter. Davon fallen allein 120 Milliarden Dollar als »Sonderlasten« für die Kriege in Irak und Afghanistan an. Dagegen nimmt sich selbst der 193 Milliarden Euro schwere Rüstungshaushalt aller 25 EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks, das nicht an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilnimmt, geradezu bescheiden aus.
Schaut man sich die Entwicklung des militärisch-industriellen Komplexes seit der Einführung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) an, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde die 1961 in seiner Abschiedsrede ausgestoßene Warnung von US-Präsident Dwight D. Eisenhower vor einer »neuartigen Verbindung eines immensen Militärestablishments und einer riesigen Rüstungsindustrie« jetzt innerhalb der EU prototypisch umgesetzt. Symptome einer komplexhaften Verbindung von Kapital, Militär und Teilen des Staatsapparates, zudem auffällige Konzentrationserscheinungen in rüstungsrelevanten Wirtschaftszweigen und nicht zuletzt ein intensiver Personalaustausch zwischen den entsprechenden Eliten sowie eine forschungs- und technologiepolitische Schwerpunktsetzung auf die Entwicklung neuartiger Waffensysteme sind die Charakteristika, die seit 1999/2000 mit neuer Qualität und europäischer transnationaler Dimension zum Vorschein kommen. Auf dem Kölner EU-Gipfel vom 3. und 4. Juni 1999 wurde unter der deutschen Ratspräsidentschaft die ESVP aus der Taufe gehoben. Zuvor hatten 1998 Großbritannien und Frankreich mit ihrer Erklärung von St. Malo den Weg dazu freigemacht. Dies war das Startzeichen für einen bis heute andauernden Prozeß der Transnationalisierung und Monopolisierung in der europäischen Rüstungsindustrie. Im Jahr 2000 fusionierten die Firmen Aerospatiale Matra (Frankreich), die CASA (Spanien) und die DASA (Deutschland) zur European Aeronautic Defence and Space Company (EADS). Dabei wurden 30 Prozent der Aktien an den Börsen ausgegeben, je 30 Prozent halten die Lagardère-Gruppe zusammen mit dem französischen Staat und DaimlerChrysler. Die spanische SEPI hält 5,5 Prozent. Der Rest der Anteile liegt bei Kleinaktionären. In Frankreich war der Rüstungskonzern Thompson CSF 1998 als neues Unternehmen aus den Rüstungssparten von Alcatel, Dassaut Electronique und Thompson CSF entstanden. Nach der Übernahme der englischen Radical Electronics im Jahr 2000 benannte man sich Ende desselben Jahres in Thales um. Der britische Konzern BAE Systems entstand 1999 durch die Fusion von British Aerospace und Marconi Electronic Systems und stieg zum siebtgrößten Lieferanten des Pentagon auf.
EU-Politik bahnt Weg
Insbesondere Deutsche und Franzosen hatten sich für eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie eingesetzt. Am prägnantesten ist der Einsatz der damaligen Außenminister Frankreichs, Dominique de Villepin, und Deutschlands, Joseph Fischer, in ihrem Papier »Gemeinsame deutsch-französische Vorschläge für den Europäischen Konvent zum Bereich Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik« vom 22. November 2002 dokumentiert. Für den EU-Verfassungsvertrag schlugen Fischer und Villepin vor, »dem Vertrag im Anhang ein Protokoll beizufügen, in dem sich die Staaten, die dies wünschen, verpflichten, die erforderlichen Anstrengungen zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten zu unternehmen und neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, insbesondere durch Harmonisierung der militärischen Bedarfsplanung, Bündelung von Fähigkeiten und Ressourcen sowie Aufgabenteilung«. Zudem solle eine »europäische Rüstungspolitik« entwickelt werden. Dazu konzipierten die beiden Außenminister »die schrittweise Schaffung eines europäischen Rüstungsmarktes« und »die Gründung einer Europäischen Rüstungsagentur«.
Zum Jahresende 2006 können die EU-Institutionen Vollzug melden, auch wenn der EU-Verfassungsvertrag mit der Aufrüstungsverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten vorerst gescheitert ist. Am 12. Juli 2004 wurde die Europäische Rüstungsagentur gegründet, aus sprachkosmetischen Gründen umbenannt in Europäische Verteidigungsagentur, und am 1. Juli 2006 einigten sich 22 der 24 im Vorstand der Rüstungsagentur vertretenen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Ungarn und Spanien auf die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rüstungsmarktes. Den großen europäischen Rüstungsfirmen wäre die verfassungsvertragliche Absicherung dieser rüstungspolitischen Unternehmungen lieber. Deshalb warben sie auch vor den Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 massiv für die Annahme des EU-Verfassungsvertrags.
Die deutsche Industrie wünscht sich eine noch stärkere eigene Gestaltung dieses Prozesses und eine weitere Verzahnung von Rüstungs- und Militärpolitik. In ihrem »Positionspapier der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zur Europäischen Verteidigungsagentur« vom Juni 2006 heißt es: »Auf dem Weg in die Europäisierung braucht die wehrtechnische Industrie eindeutige Orientierung, eine verläßliche politische Basis, d. h. auch ein klares Bekenntnis der deutschen Politik zu ihrer sicherheitspolitischen Rolle in künftigen europäischen Strukturen. Politik und Industrie müssen gemeinsam die strategische Positionierung der deutschen Wehrtechnik im künftigen Europa festlegen.« Oder kurz: Die Militarisierung der EU soll unumkehrbar gemacht werden, und die deutsche Rüstungsindustrie muß ihr Potential zur Profitmaximierung durch »Europäisierung« voll ausschöpfen.
Diese Position trifft bei der Bundesregierung auf vollstes Verständnis, so daß man in der ab Januar 2007 beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft von einer sehr engen strategischen Abstimmung von Militär, Politik und Wirtschaft ausgehen darf. Im ersten Halbjahr 2007 strebt die Bundesregierung »weitere Schritte der militärischen Zusammenarbeit in der langfristigen Perspektive einer gemeinsamen europäischen Verteidigung an« (Bundestag-Drucksache 16/3680). Dabei wird betont, daß »Europas Wohlstand und politisches Gewicht in der Welt (…) entscheidend auf den Erfolgen europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten« fußen. Die europäische Rüstungsindustrie ist dabei offensichtlich immer mitgedacht. Deshalb wird auch herausgestellt: »Die Fähigkeit der EU, zivile und militärische Instrumente zur Krisenvorbeugung und -bewältigung einzusetzen, soll u. a. im Rahmen der Planziel-Prozesse (Streitkräfteplanziel 2010, Ziviles Planziel 2008) gestärkt werden.« Dabei soll besonderes Augenmerk »den schnell verlegbaren, europäischen Gefechtsverbänden (insgesamt sind 19 EU-Battle-Groups geplant – M. H.), die vom 1. Januar 2007 an für Einsätze in Krisengebieten zur Verfügung stehen«, gelten. Zudem soll ab 2007 der Kern eines EU-Generalstabs, die sogenannte zivilmilitärische Zelle, einsatzbereit sein. Dabei will man sowohl die »autonome Handlungsfähigkeit der ESVP« verbessern, als auch »die strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO durch die Intensivierung des politischen Dialogs und der Zusammenarbeit in den Bereichen Einsatz und Fähigkeiten« ausbauen.
Mehr Geld für Rüstung
Für diese Art der Rüstungs- und Militärzusammenarbeit braucht es selbstverständlich Geld. Ein Weg ist es, die Militärhaushalte der EU-Mitgliedstaaten zu erhöhen, bis auf die von der NATO geforderten zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für neue Mitglieder. Für Deutschland würde dies eine Erhöhung des Militärhaushalts von 23,9 Milliarden Euro auf 44 Milliarden bedeuten. Einstweilen müssen sich die Rüstungskonzerne allerdings mit einer Erhöhung um »nur« 500 Millionen Euro in diesem Jahr zufriedengeben. Jedoch ist man nun darauf verfallen, den EU-Haushalt als Steinbruch für die Anlegung klandestiner Militärhaushalte zu benutzen. Die finanzielle Vorausschau für den EU-Haushalt von 2007 bis 2013 weist einen Zuwachs der Mittel für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik von 29 Prozent auf insgesamt nahezu 50 Milliarden Euro auf, darunter etliche Maßnahmen mit militärischen Bezügen. Aber auch in bisher zivil ausgerichteten Haushaltstiteln wie dem EU-Forschungshaushalt sind bis 2013 insgesamt etwa 1,6 Milliarden Euro zusätzlich zu den Mitteln der Mitgliedstaaten für EU-Sicherheits- und Rüstungsforschung wie auch für die militarisierte Weltraumforschung bereitgestellt. Dies darf auch als Erfolg einer Pressure Group des militärisch-industriellen Komplexes gewertet werden, der sogenannten »Group of Personalities«. Diese Gruppe von 27 europäischen Topmanagern und Spitzenpolitikern legte dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi am 15. März 2004 einen Bericht mit der Forderung vor, in Zukunft seitens der EU mindestens eine Milliarde Euro im Bereich der Sicherheits- und Rüstungsforschung auszugeben. Zu dieser Gruppe gehörten neben EU-Kommissaren Vorstandsvorsitzende und Vertreter von Rüstungsunternehmen wie EADS, Finmeccanica, Diehl, Thales, BAE Systems sowie Mitglieder des Europäischen Parlaments wie Karl von Wogau (CDU), der heutige Vorsitzende des Unterausschusses »Sicherheit und Verteidigung«. Die Vorschläge der »Group of Personalities« setzten sich in der Folge im EU-Rat, in der EU-Kommission und im EU-Parlament durch, auch wenn das Budget etwas abgespeckt werden mußte. Es mag auch deshalb keine Überraschung sein, daß die Pilotprojekte im Sicherheits- und Rüstungsforschungsbereich, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurden, nahezu sämtlich an alte Bekannte wie BAE Systems, EADS und Thales gingen. Ob dabei auch Männer wie der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, laut eines Berichts des Stern mittlerweile Berater bei Thales, mithelfen sollen, neue Projekte an Land zu ziehen, ist nicht bekannt. Wichtiger ist vielleicht zur Erzeugung verstärkter Nachfrage nach Rüstungsgütern die enge Abstimmung zwischen den Spitzen von Militär, Politik und Wirtschaft. Der europäische militärisch-industrielle Komplex hat dafür eine neue Bühne gefunden, bei der auch hinter den Kulissen und in den Theatergräben weiter kooperiert werden kann.
Einheit: Militär, Industrie, Politik
Seit 2004 hat sich neben der NATO-Sicherheitskonferenz in München auch die »Handelsblatt Konferenz Sicherheitspolitik und Verteidigungsindustrie« als Veranstaltung des europäischen militärisch-industriellen Komplexes etabliert. 2006 fand die dritte Konferenz statt, Veranstaltungsort war Berlin. Im »Adlon« in unmittelbarer Nähe zum Reichstag traf sich nahezu alles, was im europäischen Rüstungs- und Militärbereich Rang und Namen hat. Aus der Industrie waren vertreten Aegis Defence Services, ASG Luftfahrttechnik und Sensorik GmbH, DB Systems GmbH und DB Telematik GmbH, Deutsche Bank AG, EADS, Eurocopter Deutschland GmbH, Freshfields Bruckhaus Deringer, g.e.e.b. Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbH, Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG, Lockheed Martin Global, PricewaterhouseCoopers LLP, RENK Aktiengesellschaft und Thales. Stolz vermerkte der Veranstalter zudem, wer »aus den verantwortlichen Staatsorganen, Institutionen und Verbänden« vertreten war: Neben der deutschen Botschaft in Peking die Bundesämter für Wehrtechnik und Beschaffung sowie für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Bundeskanzleramt, Bundesinnen- und Bundesverteidigungsministerium, der Bundesverband der deutschen Industrie, EU-Kommission, EU-Rüstungsagentur, NATO, das US-Außenministerium, das International Institute for Strategic Studies IISS, die spanische Nationalpolizei und das türkische Verteidungsministerium. Wie bereits in den vergangenen Jahren führte neben Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesmer auch diesmal Zeit-Herausgeber Dr. Theo Sommer durch die Konferenz. Sommer betonte explizit »die Brücke zwischen sicherheitspolitischen, militärstrategischen und industriellen Entwicklungen und Erwartungen«, die die Konferenz schlage. BDI-Präsident Jürgen Thumann hob hervor, daß der Staat bei der Bewältigung seiner Sicherheitsaufgaben »auf eine leistungsfähige heimische wehrtechnische Industrie angewiesen« sei: »Die deutsche Sicherheits- und Rüstungsindustrie fühlt sich der Sicherheitsvorsorge verpflichtet und unterstützt die Bundesregierung, EU und NATO.« Um den Dialog zwischen Industrie und Politik zu erleichtern, gab es anstelle des Teilnahmebeitrags von 1799 Euro plus Mehrwertsteuer pro Person einen vergünstigten Eintrittspreis »für Vertreter des Militärs, der Ministerien, der Politik und des diplomatischen Dienstes« in Höhe von 399 Euro. Neben der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers, dem Hauptsponsor der Konferenz, laut Selbstdarstellung mit Zugriff »auf die Ressourcen von insgesamt 130000 Mitarbeitern in 148 Ländern«, nutzten insbesondere Rüstungs- und Logistikunternehmen die Konferenz als exzellente Gelegenheit, sich ihrer Zielgruppe zu präsentieren. Zusätzlich zu Rüstungsindustriellen, Militärs, Abgeordneten, Bankenrepräsentanten, privaten Sicherheitsfirmen, Vertretern von sogenannten Beratungsfirmen konnte auch noch der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung als Hauptredner gewonnen werden. Mit Jamie Shea, politischer Planungsdirektor im Büro des NATO-Generalsekretärs in Afghanistan und durch seine täglichen Fernsehauftritte als NATO-Pressesprecher während des Jugoslawien-Krieges 1999 bekannt, und Oberstleutnant Tim Spicer von AGS zum Thema »Privatisierung der Sicherheit am Beispiel Irak« standen auch die aktuellen Kriege auf der Tagesordnung.
Fazit
Der europäische militärisch-industrielle Komplex setzt sowohl auf »Europäisierung« als auch auf »Transatlantisierung«. Die europäischen Rüstungskonzerne wollen in Zukunft stärker von den neuen Kriegen profitieren. Dabei gibt es aber weiterhin Probleme der Abstimmung, denn »nur kleine Teile der europäischen Streitkräfte sind in der Lage, mit amerikanischen Streitkräften zusammen zu agieren«, schreibt das Handelsblatt am 18. September 2006. Die Protagonisten einer weltweiten Steigerung der Rüstungsausgaben würden die mangelnde transatlantische Abstimmung beklagen: »Bisher fehlte in den meisten Konflikten nach dem Kalten Krieg eine gemeinsame europäische Position. Mit der für die Europäische Union bitteren und entlarvenden Folge, daß die USA zum Beispiel mit ihrer Koalition der Willigen im Irak-Krieg 2003 eindrucksvoll demonstrierten, daß es den ›Partner Europa‹ (noch) nicht gibt.« Kriegs- und Militäreinsätze sind dabei das Schmieröl der europäischen Rüstungsindustrie. Einzelne Kommentatoren reklamieren sogar schon die Führung für Europa im weltweiten Militäreinsatz des Westens als Transmissionsriemen für eine gemeinsame EU-Militärpolitik: »Nun ergibt sich mit dem Libanon-Konflikt jedoch eine historische Chance für Europa. Die europäische Führungsrolle könnte der entscheidende Schritt in Richtung einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Außenpolitik werden.«
Ohne jede öffentliche Diskussion wird mehr und mehr Geld in den Rüstungssektor gepumpt. Wie dreist dabei mittlerweile vorgegangen wird, zeigte die EADS-Tochter Astrium ST. Sie benötige »30 bis 40 Millionen Euro jährlich, um ihre Kompetenzen zu bewahren«, sagte Astrium-Chef Alain Charmeau der Pariser Finanzzeitung La Tribune, heißt es in der Zeit vom 11. Dezember 2006. Astrium hat 2006 einen Umsatz von 1,6 Milliarden Euro, eine Milliarde davon im Rüstungsbereich. Von diesem Rüstungsumsatz »entfallen je 600 Millionen auf die Ariane und auf die französischen Atomraketen M45 und M51. Zum Jahresende erwartet die Firma einen Auftrag zur Weiterentwicklung der M51 im Wert von 300 Millionen Euro.«
Das bedeutet nichts weiter, als daß sich die europäische Rüstungsindustrie jetzt auch noch die Entwicklung von Atomraketen aus dem EU-Haushalt quersubventionieren lassen möchte. Allein dies zeigt, wie weit der Vorstoß des militärisch-industriellen Komplexes inzwischen geht, ohne auf Widerstand zu stoßen. Europa ist für die Rüstungskonzerne ein ideales schwarzes Loch, in dem alles verschwindet. Geld aus dem Bundeshaushalt für Atomraketen locker zu machen, würde dagegen auf ungleich größere öffentliche Aufmerksamkeit stoßen.
* Der Text basiert auf dem Vortrag »Der Militärisch-Industrielle Komplex in der EU«, gehalten am 9. Dezember 2006 in München auf der Konferenz der Linksfraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) »Der neue euro-atlantische Militärinterventionismus und der militärisch-industrielle Komplex der EU«
* Martin Hantke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro Tobias Pflüger (MdEP) in Strasbourg und Mitglied des EU-kritischen Netzwerks europeanwatch
* Zudem ist Martin Hantke seit der letzten IMI-Mitgliederversammlung im November 2006 IMI-Beirat
Martin Hantke |
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Ankündigungen (siehe: Aufrufe und Einladungen) |
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