Kundus-Ausschuss ''Gruppe 85'': 
Nach den Bomben  die PR?
www.sueddeutsche.de - 19.03.2010, 11:30 
Harmlose Arbeitsgruppe oder "Vernebelungseinheit"? Die Gruppe 85  begleitete im Verteidigungsministerium die Nato-Untersuchungen des  Luftschlags in Kundus.
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Fünf Tage nach dem umstrittenen Luftschlag in Kundus nahm die  "Gruppe 85" im Verteidigunsministerium ihre Arbeit auf - wie genau  diese aussah, ist unklar. Foto: AP
 
Die "Organisationseinheit 85" war angetreten, um schwarze Schafe in den  eigenen Reihen zu finden. In den sechziger Jahren überprüfte die  Sondereinheit die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes auf ihre  nationalsozialistische Vergangenheit. Mehr als 70 BND-Mitarbeiter, die  hohe Nazi-Ämter inne gehabt hatten oder nachweislich in Kriegsverbrechen  verwickelt gewesen waren,wurden  daraufhin entlassen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung  in dieser Woche berichtet hatte.
Auch die "Gruppe 85", die im  vergangenen Herbst im Bundesverteidigungsministerium tätig war,  beschäftigte sich mit den eigenen Leuten. Allerdings kam es hier  anscheinend weniger auf innere Reinigung an als auf die Außenwirkung.
Nachdem  bei dem umstrittenen Angriff auf zwei Tanklastzüge bei Kundus am 4.  September 2009 auch Zivilisten ums Leben gekommen waren, untersuchte die  Nato den Vorfall. Die deutsche "Gruppe 85" sollte diese Untersuchung  begleiten. Sie begann ihre Arbeit am 9. September - fünf Tage nach dem  Angriff - und beendete sie kurz bevor Karl-Theodor zu Guttenberg Ende  Oktober das Verteidigungsressort übernahm.
Unklar ist, mit welcher  Absicht die "Gruppe 85" ihrer Arbeit nachging: Nur beobachten oder auch  beeinflussen?
Der inzwischen entlassene Staatssekretär Peter  Wichert bestätigte am Donnerstag im Untersuchungsausschuss, dass er die  Arbeitsgruppe eingesetzt habe. Sie sollte die Untersuchungen der Nato  zum Luftschlag begleiten und sicherstellen, dass der Bericht neutral  ausfalle. Es sei ihm darum gegangen, dass nicht "eine einseitige  Untersuchung der Nato in die Welt gesetzt wird, der wir dann  hinterhergelaufen wären", sagte Wichert. 
 
Tatsachen, die den verantwortlichen Oberst Klein entlasten könnten,  sollen nicht unter den Tisch fallen. Anscheinend hatten kritische  Äußerungen, die Nato-General McChrystal im Vorfeld gemacht hatte, den  Staatssekretär zu dieser Maßnahme gebracht. Dass die "Gruppe 85" die  Ermittlungen behindern und belastende Informationen vertuschen sollte,  nannte Wichert am Donnerstag "blanken Unsinn".
Spiegel Online  hatte berichtet, dass im Ministerium eine Arbeitsgruppe aus mindestens  fünf Beamten gegründet wurde, "um die Ermittlungen der Nato zu dem Fall  zu beeinflussen".
Der Bericht über die "Vernebelungseinheit", die  einen "Spion" in der Nato-Untersuchungskommission hatte, wurde am  Donnerstag kurz vor Wicherts Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss  veröffentlicht. Die Glaubwürdigkeit des ehemaligen Staatssekretärs wird  durch den Vertuschungsverdacht deutlich beschädigt.
Pikant ist vor allem der Zeitpunkt des Vorfalls - kurz vor der  Bundestagswahl am 27. September 2009. In den Papieren aus dem  Verteidigungsministerium, aus denen neben Spiegel Online auch die  Nachrichtenagentur dpa zitiert, ist am 16. September 2009 - elf Tage  vor der Bundestagswahl - davon die Rede, dass es 100 bis 120 Todesopfer  gegeben haben könnte.
Offiziell wurde bis zu dem Ende Oktober in  Berlin eingetroffenen Isaf-Bericht von deutlich weniger Toten  gesprochen. In dem Isaf-Bericht hieß es dann, dass durch den Angriff am  4. September bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden seien.
Der  Untersuchungsausschuss will nun auch der Frage nachgehen, ob der  Öffentlichkeit Informationen zu zivilen Opfern aus Wahlkampfgründen  vorenthalten wurden. Sollte das der Fall gewesen sein, sei dies ein  "ungeheurer Vorgang", sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid  Nouripour.
Weniger wichtig, aber genauso unklar ist, warum die  Arbeitsgruppe den Namen "Gruppe 85" trug. Auf diese Frage weiß man noch  nicht mal im Verteidigungsministerium eine Antwort.
(sueddeutsche.de/dpa/liv/jja)