Nutzung von möglicherweise erzwungenen Aussagen
Schäuble facht Debatte über Folter an
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat mit einem Interview eine Diskussion über die Verwendung von Informationen ausgelöst, die möglicherweise unter Folter erlangt worden sind. Mit Blick auf den in Syrien festgehaltenen mutmaßlichen Islamisten Mohammed Haidar Sammar sagte Schäuble der "Stuttgarter Zeitung", er wolle zur Terrorabwehr weiter Informationen nutzen, die möglicherweise unter Folter erlangt wurden. Es wäre "völlig unverantwortlich", Informationen nicht zu nutzen, die möglicherweise nicht unter vollkommen rechtsstaatlichen Bedingungen erlangt wurden. Allerdings dürften sich deutsche Sicherheitsbehörden nicht an Folter beteiligen und "auch nicht sozusagen augenzwinkernd erwarten, dass gefoltert wird", unterstrich Schäuble.
Mohammed Haydar Zammar (Archiv)
Schäuble verteidigte in der "Süddeutschen Zeitung" die Vernehmung Sammars durch deutsche Ermittler. "Die Amerikaner haben ihn in das Land seiner Staatsangehörigkeit gebracht", sagte der Minister. "Der Mann hat die deutsche wie die syrische Staatsangehörigkeit. Deswegen ist es per se noch nicht völlig überraschend, dass er sich in einem syrischen Gefängnis befindet." Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes (BKA) hätten Sammar in Syrien vernommen, weil in Deutschland gegen ihn ermittelt werde, sagte Schäuble. Dabei habe Sammar "wohl gesagt, er sei geschlagen worden - aber nicht in Syrien, sondern im Libanon oder irgendwo sonst". Er habe keinen Anlass zu der Vermutung, dass das BKA von Folter profitiert habe.
Denkt über härtere Gesetze nach: Innenminister Wolfgang Schäuble
Rechsstaatliche Grenzen verletzt?
Die Äußerungen Schäubles stießen bei der Opposition auf scharfe Kritik. Der FDP-Innenexperte Max Stadler sagte, die Befragung von Verdächtigen, "die unter folterähnlichen Umständen inhaftiert sind", sei eine klare Überschreitung rechtsstaatlicher Grenzen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen- Bundestagsfraktion, Volker Beck, sagte, im Fall Sammar sei "eine rote Linie überschritten worden". Der Kampf gegen Terror könne nicht gewonnen werden, wenn man die Menschenrechte nicht zur Grundlage des Handels mache.
Der Deutsche Anwaltverein forderte zur Aufklärung die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Das Eingeständnis der Regierung offenbare, in welch unerträglichem Maße der Pfad rechtsstaatlichen Denkens und Handelns verlassen worden sei, teilte der Verein in Berlin mit.
Regierungssprecher Thomas Steg betonte, das Folterverbot sei für alle deutschen Behörden verbindlich. Es gebe "keine Grauzone für deutsche Beamte". Nach seinen Worten liegen auch keine Hinweise vor, dass gegen dieses Verbot in der Vergangenheit verstoßen wurde.
Auf Widerspruch stießen auch Schäubles Äußerungen zu neuen Sicherheitsgesetzen.
________________________________________________________
Was dürfen deutsche Geheimdienstler?
Verhören verboten
Seit bekannt ist, dass deutsche Ermittler im Ausland Terrorverdächtige vernommen haben, die möglicherweise gefoltert wurden, ist eine moralische Debatte über die Verwendbarkeit solcher Informationen entbrannt. Juristisch klar umrissen ist, was deutsche Dienste dürfen - und was nicht.
Von Jan Oltmanns, tagesschau.de
Als Innenminister Wolfgang Schäuble die Vernehmung des in Syrien festgehaltenen Terrorverdächtigen Mohammed Haidar Sammar verteidigte, da klang das ein bisschen so, als könne er die ganze Aufregung um mögliche Erkenntnisse aus Folterverhören nicht so recht verstehen: Da der Mann eben auch Syrer sei, sei es "per se noch nicht völlig überraschend, dass er sich in einem syrischen Gefängnis befindet", befand Schäuble. Deutsche Fahnder hätten ihn dort vernommen, weil hierzulande gegen ihn ermittelt werde. Dabei habe Sammar gesagt, er sei geschlagen worden, "aber nicht in Syrien, sondern im Libanon oder irgendwo sonst".
Wo verläuft die "rote Linie"?
Tatsächlich ist der Fall Sammar aber komplizierter: Der Deutsch-Syrer soll für die Todespiloten des 11. September den Kontakt mit Al Kaida hergestellt haben. Beweisen allerdings konnte man das nicht. Nach den Anschlägen wurde Sammar in Marroko festgenommen, die CIA brachte ihn nach Syrien. Damaskus nimmt es mit der Anti-Folter-Konvention nicht so genau - bereits damals gab es Hinweise darauf, dass Sammar misshandelt wurde. Trotzdem flogen deutsche Ermittler zur Vernehmung nach Damaskus. Sammar sei von den Syrern unter "landesüblichen Umständen" verhört worden, hieß es später. Im Klartext bedeutet das: Der Mann wurde mit großer Wahrscheinlichkeit gefoltert. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben in der Vergangenheit zahlreiche Fälle von Folter in Syrien dokumentiert.
Mit seiner freimütigen Äußerung zum Fall Sammar und der Beteiligung deutscher Sicherheitsbehörden an Verhören in Guantanamo hat Schäuble eine Debatte losgetreten. Plötzlich geht es nicht mehr um brutales Vorgehen von US-Geheimdienstlern, sondern um die Frage, ob und wie sich Deutsche in den rechtsfreien Räumen bewegt haben. Parteiübergreifend fordern Politiker jetzt zu klären, ob und wann Geständnisse aus Folterstaaten von Bundesbehörden genutzt werden dürfen - und wann die "rote Linie" überschritten sei. Wo genau diese vielbeschworene Linie verläuft, kann allerdings niemand so recht sagen.
Befugnisse der Dienste präzise umrissen
: Was dürfen deutsche Dienste bei Inhaftierten im Ausland?
Was juristisch eindeutig ist: Deutsche Beamte dürfen nicht foltern, sie sind auch im Ausland an das Grundgesetz gebunden. Und auch die Befugnisse der deutschen Dienste sind ganz genau festgelegt: So dürfen Angehörige des Bundesnachrichtendienstes (BND), die an den Befragungen in Syrien und Guantanamo beteiligt gewesen sein sollen, nur Gespräche führen, nicht aber Verhöre führen. Allerdings dürfen sie an Verhören als Beobachter teilnehmen
Ähnliches gilt für den Verfassungsschutz (BfV), dessen Mitarbeiter ebenfalls nach Guantanamo und Syrien gereist sein sollen. Das Bundeskriminalamt (BKA) dagegen kann im Ausland polizeilich tätig werden. Im Fall Sammar soll dies der Fall gewesen sein. Allerdings sind immer die Behörden des jeweiligen Landes eingebunden. In der Regel stellen die Behörden des Landes die Fragen - BKA-Ermittler sind lediglich anwesend.
Juristisch problematisch ist daher vor allem die Befragung des "Bremer Taliban" Murat Kurnaz in Guantanamo. Denn dort war die Kriminalpolizei laut Schäuble nicht beteiligt. Sollten die Beamten von BND und BfV dort also tatsächlich ein Verhör geführt haben, wäre dies ein Verstoß. Das aber dürfte schwer nachzuweisen sein, denn es liegt in der Natur der Geheimdienste, ihre Tätigkeit zu verschleiern.
Kooperation mit fragwürdigen Partnern
Die Frage, wo die "rote Linie" verläuft, ist juristisch ohnehin schwer zu beantworten. Die Tätigkeit der Nachrichtendienste und Polizei verschwimmt im Kampf gegen den Terrorismus in einer normativen Grauzone. Einerseits hat der Staat die Pflicht, seine Bürger - in diesem Fall Sammar - zu schützen. Und Deutschland hat sich verpflichtet, Folter zu ächten. Andererseits müssen sich die Behörden Informationen verschaffen, um Terroranschläge zu verhindern, stellt der Völkerrechtler Andreas Paulus gegenüber tagesschau.de fest.
Um an eben diese Informationen zu kommen, bedarf es nach Ansicht von Außenminister Frank-Walter Steinmeier auch der Kooperation mit Staaten, die nicht "denselben Status von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben wie wir". Ansonsten würde sich die Zusammenarbeit auf eine "handvoll Länder" reduzieren, sagte er der "Zeit".
Quelle: Tagesschau de
Stand: 17.12.2005 04:00 Uhr
-----------