Diskussion über den Sinn von Folterungen wird wieder salonfähig:
© DIE ZEIT 25.11.2004 Nr.49
Die Legende vom Helden Daschner
Von Sabine Rückert
Frankfurts ehemaliger Vize-Polizeichef hat selbstherrlich Folter angedroht – gegen den Willen der Kollegen -
Frankfurt/Main- Im Daschner-Prozess vor dem Landgericht Frankfurt hat das große Zurückrudern begonnen. Dort sitzen der ehemalige Vizepräsident der Frankfurter Polizei Wolfgang Daschner und der Kriminalhauptkommissar Ortwin E. flankiert von je zwei Verteidigern auf der Anklagebank. Der Vorwurf gegen die beiden Männer lautet auf Anstiftung zur Nötigung und Nötigung in einem besonders schweren Fall. Wolfgang Daschner soll am Morgen des 1. Oktober 2002 angeordnet haben, den Entführer des elfjährigen Frankfurter Bankierssohns Jakob von Metzler, den Jurastudenten Magnus Gäfgen, unter Androhung von körperlichen Schmerzen zu zwingen, den Aufenthaltsort des verschwundenen Kindes zu nennen. Ortwin E. soll die Anordnung ausgeführt haben und dadurch Gäfgens Aussage – das Kind sei tot und liege unter dem Steg eines Weihers – zustande gebracht haben.
Längst ist Magnus Gäfgen des Mordes an dem Kind überführt und rechtskräftig verurteilt. Doch bis heute beschäftigt sich das ganze Land mit der Frage, wie die Polizei an sein Geständnis gekommen ist. Magnus Gäfgen selbst will das Versteck des Kindes erst nach massiven Folterdrohungen verraten haben: Ein Polizist habe sich im Vernehmungszimmer ihm gegenüber hingesetzt, das Gesicht dicht an das seine gebracht und gesagt: »Das Spiel ist vorbei.« Ein Spezialist, der ihm unerträgliche Schmerzen zufügen werde, ohne dabei Spuren zu hinterlassen, sei schon per Hubschrauber im Anmarsch. Zur Illustration habe der Polizist einen Hubschrauber-Rotor nachgemacht. Außerdem werde man Gäfgen mit »zwei Negern« in eine Zelle sperren, die ihm dort sexuelle Gewalt antun würden. Gäfgen werde sich wünschen, nie geboren worden zu sein.
Gestützt wird Gäfgens Aussage durch einen internen Vermerk des Polizeivizepräsidenten höchstselbst, in dem dieser niedergelegt hatte, er habe »die Anwendung unmittelbaren Zwanges angeordnet« und Gäfgen sei im Beisein eines Arztes und unter Zufügung von Schmerzen erneut zu befragen. In einem autorisierten Interview mit der Frankfurter Rundschau hat Daschner diese Schmerzen am 22. Februar 2003 eingehend geschildert: »Überdehnen eines Handgelenkes« zum Beispiel, außerdem »gibt es am Ohr bestimmte Stellen – jeder Kampfsportler weiß das – wo man draufdrückt und es tut weh, es tut sehr weh, ohne dass irgendeine Verletzung entsteht«. Ein spezieller Beamter sei schon zu Gäfgen unterwegs gewesen, »musste aber nicht zur Tat schreiten«, weil Gäfgen schon nach der Gewaltandrohung zusammenbrach. Auf die Frage, ob er seine Drohung wahrgemacht hätte, antwortete Daschner: »Ja.« Und die Frage, was er getan hätte, hätte der Beschuldigte weiter geschwiegen, beantwortete er so: »Irgendwann hätte er nicht mehr geschwiegen. Innerhalb sehr kurzer Zeit.«
So sprach Daschner damals, als er sich noch nicht vorstellen konnte, wegen dieser Anordnung vor Gericht gestellt zu werden. Heute, auf der Anklagebank, liest er eine lange Rechtfertigung ab und »möchte klarstellen, dass ich zu keinem Zeitpunkt die Androhung oder Anwendung von ›Folter‹ veranlasst habe«. Den mitangeklagten Ortwin E. habe er »als Boten« zu Gäfgen geschickt, der »eindringlich an sein Gewissen appellieren und auf die akute Lebensgefahr« des entführten Jungen hinweisen sollte. Für den Fall der weiteren Weigerung sollte Ortwin E. dem beschuldigten Gäfgen ankündigen, dass er mit »unmittelbarem Zwang« rechnen müsse, was darunter zu verstehen ist, bleibt in Daschners Verteidigungsrede offen. Er, Daschner, habe es für möglich gehalten, dass das Kind noch lebte, und beruft sich auf die Abwehr einer drohenden Gefahr: Er habe nur die Alternative gesehen, entweder mit Androhung von Zwang auf Gäfgen einzuwirken oder den Tod des Kindes in Kauf zu nehmen.
Damals eingesetzte Polizeibeamte haben die Sache anders in Erinnerung. In ihren Zeugenaussagen schildern sie, dass noch »ein ganzes Spektrum an Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätte« und schon deshalb keiner von ihnen bereit war, Daschners Anordnung zu befolgen. Daschner sei darüber sehr erregt gewesen und laut geworden. Auch habe Daschner bereits am Vorabend des 1. Oktober gesagt: »Unmittelbarer Zwang ist freigegeben«, erzählt der Beamte Dirk E. So eine Maßnahme sei für ihn jedoch ausgeschieden: »Es kommt immer wieder vor, dass die Polizei dringend Informationen braucht, bei Lebensmittelerpressungen zum Beispiel«, sagt E. – aber so was sei noch nie erörtert worden.
Und sein Kollege Stefan M., für den der Fall schon die vierte Entführungsermittlung war, bemerkt, »die polizeiliche Sozialisation ist darauf ausgerichtet, dass man jemandem, der sich in Polizeigewahrsam befindet, keine Schmerzen zufügt«. Auch seien nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft gewesen, so sei eine Gegenüberstellung Gäfgens mit der Schwester des entführten Jakob geplant gewesen, die nicht stattfand. Daschner aber habe am Morgen des 1. Oktober auf seiner Anordnung bestanden mit den Worten: »Die Republik wird nicht verstehen, wenn wir zuwarten.« Dem Zeugen ist das Unbehagen über Daschners Verhalten immer noch deutlich anzuhören. In den Lagebesprechungen habe sich keiner gefunden, der Daschner zugestimmt hätte, sagt er.
Er, Stefan M., habe sich schließlich an den Leiter der Abteilung Operative Maßnahme gewandt und gesagt: »Nennen Sie mir einen Beamten, der den Magnus Gäfgen foltert.« Dann habe er einen Arzt gesucht, der bereit war, die Maßnahme zu begleiten. Gegen acht Uhr habe er zu Daschner gesagt: »Ein Arzt steht bereit, aber es gibt keinen Beamten, der das macht.« Der Einzige, der in Frage gekommen sei, habe sich im Urlaub befunden. Daschner habe deshalb angeordnet, den Mann aus dem Urlaub zu holen. »Wie denn«, will der Staatsanwalt wissen. M. antwortet: »Mit einem Hubschrauber.« Um 9.07 Uhr sei der mitangeklagte Ortwin E. dann in der Befehlsstelle aufgetaucht und habe mitgeteilt, das Kind sei tot und liege unter einem Steg. Daschner und E. hatten die Sache im Alleingang an den Einsatzleitern vorbei durchgezogen. M. sagt: »Es stand Daschner zu, an uns vorbei zu handeln.«
Auch Ortwin E. hat eine Aussage vorbereitet, die er abliest. Er habe Gäfgen nie gesagt, dass er mit »Farbigen« zusammen eingesperrt werden könnte. Gäfgen habe sich die Bedrohung aus prozesstaktischen Gründen ausgedacht. Er wolle Gäfgen bloß befragt haben, ob er Angst habe, »dass ihm im Gefängnis etwas passieren könnte«, liest E. weiter vor. Und Rotoren habe er auch nicht nachgemacht, sondern mit einer »rotierenden Bewegung« neben der Schläfe dem Gäfgen bloß klar gemacht, dass das Kind ihm für immer im Kopf herumgehen werde. Ausgerichtet habe er dem Beschuldigten allerdings, dass die Behördenleitung darüber nachdenke, ihm Schmerzen zuzufügen oder ein Wahrheitsserum zu verabreichen, sollte er weiter schweigen oder lügen. Im Übrigen will er Gäfgen sehr eindringlich deutlich gemacht haben, in welch verzweifelter Situation das Kind sei. »Ich sagte: Denk an seine panischen Augen, denk an sein Flehen um Hilfe.« Daraufhin habe Gäfgen den Ort der Leiche genannt. Diese Aussage lässt Fragen offen: Wie kam Gäfgen auf den Hubschrauber? Und warum sollen ihn nach dem Mord die Fantasien eines Beamten über die Verzweiflung eines Kindes beeindruckt haben, von dem Gäfgen wusste, dass es längst tot war?
Den Fragen des Gerichts wollen sich die beiden Angeklagten vorerst nicht stellen. Sie verlesen ihre Aussage und schweigen. Das ist ihr gutes Recht, ein eindrucksvoller Auftritt ist es nicht. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus hatte sich Daschner im Februar 2003 noch zum Helden einer griechischen Tragödie stilisiert, der nur noch entsetzliche Entscheidungen treffen konnte. Vor dem Frankfurter Landgericht bröckelt der Mythos.
Beispiele der anschließenden Folter-Diskussion:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Menschenrechte/folter-daschner.html#10 :
Die Welt, 21. Dezember 2004:
Kommentar: Was das Urteil lehrt
Der Kommentar von Konrad Adam
(...) Das Unbehagen stellt sich ein, sobald man das Verfahren, das Daschner durch eine Aktennotiz selbst in Gang gebracht hatte, nicht mit den Augen des paragraphenkundigen Fachjuristen, sondern mit denen des Bürgers betrachtet, sich also probeweise in die Rolle der gepeinigten Eltern zu versetzen sucht, die tagelang um das Leben ihres Kindes bangen mußten, um am Ende zu erfahren, daß alles umsonst war, weil der Mörder kurzen Prozeß gemacht und sein Opfer gleich nach der Entführung umgebracht hatte. Wer das tut und sich und anderen die Frage vorlegt, was aus diesem Urteil zu lernen ist, der könnte blaß werden.
Von nun an dürfen Eltern nicht mehr sicher sein, daß die Staatsgewalt das Äußerste unternimmt, um ein Kind, das Opfer eines widerwärtigen Verbrechens geworden ist, zu retten. Die Polizei weiß, daß es sich auszahlen könnte, auch noch im Falle eines übergesetzlichen Notstandes Dienst nach Vorschrift zu machen und möglichst wenig zu riskieren. Und wer mit dem Gedanken spielen sollte, als Entführer sein Glück zu versuchen, darf sich jetzt dazu ermuntert fühlen, bei der Vernehmung nichts zu übereilen und mit der Wahrheit, wenn überhaupt, nur stückweise herauszurücken. Auch dann, wenn davon Leben und Gesundheit eines anderen abhängen könnte.
Ein Sieg des Rechtsstaates, werden die einen sagen; Niederlage der Gerechtigkeit, die anderen. Daß es zwischen dem einen und der anderen Spannungen gibt, ist keine neue Erkenntnis. Daß sie zum Nachteil eines Beamten gelöst werden, der sich in einer verzweifelten Lage zu einem verzweifelten Mittel entschloß, aber schon.
Gemeinsame Presseerklärung
Humanistische Union
Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Internationale Liga für Menschenrechte
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen
Berlin, 20.12.2004
Mildes Urteil im Fall Daschner ist falsches Signal
Bürgerrechtsorganisationen befürchten schleichende Erosion des generellen Folterverbots und fordern entschiedenes Gegensteuern
Mit dem heute verkündeten Urteil gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, und den mitangeklagten Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit sind weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft der Bedeutung des ausnahmslos geltenden Folterverbotes und dem Schutz der Menschenwürde gerecht geworden.
Zwar hat das Gericht die beiden Polizeibeamten für schuldig befunden und die Gewaltandrohungen als rechtswidrig bezeichnet.
Die Angeklagten sind jedoch derart milde verurteilt worden, als habe es sich bei der angedrohten Folter um eine Bagatelle gehandelt. Folgt man der Logik des Gerichts, ist die Androhung von Folter in Deutschland - wenn sie aus einer "ehrenwerten Gesinnung" erfolgt - faktisch legitim.
Der Fall Daschner hat über den konkreten Vorwurf hinaus Bedeutung erlangt, weil mit seiner Hilfe das generelle Folterverbot aufgeweicht werden sollte. Offenkundig hat das Gericht die Chance und die Notwendigkeit versäumt, in dieser Frage eine eindeutige Antwort zu geben. Die unterzeichnenden Bürgerrechtsorganisationen werden deshalb die schriftliche Urteilsbegründung mit besonderer Sorgfalt lesen.
Für uns steht fest, dass jeder Verharmlosung von Folter, sei es im Namen der Gefahrenabwehr, des übergesetzlichen Notstandes oder des "Anti-Terror-Kampfes" eine Absage erteilt werden muss.
FOLTERDEBATTE IN DEUTSCHLAND
Erlaubte Folter?
Mitte Februar wurde es bekannt: Der Vizepräsident der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, hatte während der Ermittlungen um die Entführung eines elfjährigen Jungen die schriftliche Anweisung gegeben, dass der Tatverdächtige „nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist.” Die Anordnung sollte, so Daschner später, der Rettung des Kindes dienen.
Vor dem Hintergrund dieses schrecklichen Verbrechens konnte es nicht überraschen, wenn in einigen Medien „Volkes Stimme“ transportiert wurde, Gewaltanwendung in solchen Fällen sei nicht nur zu tolerieren, sie sei zur Rettung des Kindes geradezu geboten. Ähnliche Diskussionen, beispielsweise um die Todesstrafe, bekommen nach Gewaltverbrechen immer wieder Aufwind.
Überraschend war jedoch, wie unsicher führende Repräsentanten des Staates und der Gesellschaft reagierten. So wurde Justizministerin Brigitte Zypries mit den Worten zitiert, die Beamten, die dem mutmaßlichen Entführer und Mörder Gewalt angedroht hätten, könnten sich auf „rechtfertigenden Notstand“ berufen. Im Zweifel würden die Polizisten bei einem Prozess freigesprochen. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Geert Mackenroth, sagte in einem Interview, es seien Fälle vorstellbar, in denen Folter oder ihre Androhung erlaubt sein könnten. Einige Tage später stellte die Justizministerin klar, dass sie gegen „jede Aufweichung des Folterverbots” sei. Und auch der Richterbund teilte mit, jede Art von Gewalt sowie ihre Androhung zur Erzwingung einer Aussage sei untersagt. Dieses Verbot gelte absolut. Mackenroth bedauerte den Eindruck, der durch seine ersten Äußerungen entstanden sei.
Zweifel am eindeutigen Verbot der Folter formulierte auch der Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm: Man müsse über die Zulässigkeit von Gewaltanwendung nachdenken, wenn durch Terroristen einer Vielzahl von Menschen Gefahr drohe. Daschner selbst und mit ihm der Bund Deutscher Kriminalbeamter forderten schließlich gesetzliche Neuregelungen. Die Beispiele zeigen: Der zivilisatorische Firnis der Rechtsstaatlichkeit ist dünn.
Nur wenige, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, sprachen sich sofort und ohne Einschränkung gegen jede Gewaltanwendung oder -drohung aus: „Folter ist nicht erlaubt. Da gibt es auch nicht ein `bisschenŽ Folter. Wenn der Staat sich nicht an Gesetze hält, kann er auch nicht von seinen Bürgern Gesetzestreue erwarten.“
In der Tat ist die Lage klar: Folter kann unter keinen Umständen gerechtfertigt sein, denn die Menschenwürde ist unantastbar. So steht es im Grundgesetz. Das absolute Folterverbot ist auch in einer Vielzahl internationaler Konventionen, die Deutschland ratifiziert hat, in bemerkenswerter Klarheit festgeschrieben. Der Motivationslage des Täters lässt sich bei der Beurteilung der Schwere der Schuld und beim Strafmaß berücksichtigen. Natürlich ist die Schuld Daschners anders zu bewerten, als die eines Sicherheitsbeamten, der politisch Verfolgten Folterungen androht, um sie einzuschüchtern oder ein Geständnis zu erzwingen.
Angesichts der eindeutigen rechtlichen Situation, ist es jedoch erstaunlich, wie viele Unsicherheiten es in der Debatte gegeben hat. Die Chance, schnell und eindeutig zu reagieren und dadurch unter Beweis zu stellen, dass die klare Rechtslage auch gelebt wird, dass über die geltenden gesetzlichen Bestimmungen hinaus auch ein Gefühl für „richtig” und „falsch” entwickelt wurde, ist vertan.
Warum aber diese unsichere Debatte? Die Arbeit von amnesty international für das bedingungslose Verbot der Folter wird offenbar von einem gesellschaftlichen Konsens nur dann sicher gestützt, wenn die Opfer politisch Verfolgte sind, die gewaltfrei agieren. Anscheinend bröckelt dieser Konsens, wenn tatsächliche oder mutmaßliche Kriminelle gefoltert werden oder die Opfer diskriminierten Randgruppen angehören. Auch die Folgen, die sich für unser nationales Recht unmittelbar aus internationalen Abkommen ergeben, sind nicht hinreichend im öffentlichen Bewusstsein verankert. Hier bleibt ai noch viel zu tun.
Das Folterverbot muss sich jetzt unter Belastung bewähren. Das und nichts Anderes gehört in die öffentliche Debatte.
Peter Franck
Der Autor ist Vorstandsmitglied der deutschen ai-Sektion.