FOLTER IN CHILE UNTER PINOCHET
Weiße Dame mit schwarzen Flecken
Seit den fünfziger Jahren kreuzt das chilenische Segelschulschiff „Esmeralda“ auf den Weltmeeren. Nach dem Militärputsch von 1973 wurde die „weiße Dame des nationalen Stolzes“ jedoch zum Symbol für eines der dunkelsten Kapitel in der chilenischen Geschichte.
Im April stach die „Esmeralda“ von ihrem Heimathafen in Valparaiso zu ihrer 48sten Übungsfahrt in See. Nach Peru, Ecuador, Panama, Frankreich, Holland und Schweden wird sie auch in Lübeck vor Anker gehen. Seit den fünfziger Jahren läuft das Segelschiff Jahr für Jahr Häfen in aller Welt an, um als „schwimmende Botschaft“ für Chile Werbung zu machen. Bis zum Militärputsch von Augusto Pinochet, der sich in diesem Jahr zum dreißigsten Mal jährt, galt „die weiße Dame des nationalen Stolzes“ als Wahrzeichen für die chilenische Demokratie und die Ritterlichkeit der Matrosen und Marineoffiziere.
Heute erinnert das einstige Symbol des Nationalstolzes an eines der dunkelsten Kapitel in der chilenischen Geschichte. Nach der Machtübernahme diente die „Esmeralda“ einer Spezialeinheit der Marine als schwimmendes Gefängnis und Folterzentrum. In den ersten Monaten nach dem Putsch wurden über hundert Männer und Frauen auf dem Segelschiff interniert. Bei den Verhören wurde routinemäßig Folter angewendet. Unter den Gefangenen befand sich auch der chilenisch-britische Priester Michael R. Woodward. Nach seinem „Verhör“ auf der „Esmeralda“ wurde der Geistliche in ein Krankenhaus gebracht, wo er wenig später an seinen Verletzungen starb. Jahrelang bemühte sich seine Familie, etwas über sein Schicksal zu erfahren. Nach dem Ende der Militärdiktatur belegten Dokumente, dass Woodward in einem anonymen Grab verscharrt wurde, über das heute eine Straße führt. Bei seiner Anklage gegen Pinochet stützte sich der spanische Richter Baltasar Garzón auch auf den Fall Woodward.
Bis heute bestreitet die chilenische Regierung die Vorgänge auf der „Esmeralda“. Sowohl die Marineleitung als auch die verschiedenen Kapitäne, die seit den siebziger Jahren das Segelschulschiff befehligt haben, leugnen Zeugenaussagen und Beweise, obwohl die Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission 1991 die Vorwürfe bestätigt hat. In keinem der auch von amnesty international dokumentierten Fälle wurde bisher ermittelt. Die Betroffenen warten noch immer auf Entschädigungen.
Seit 2001 bemühen sich chilenische Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen um die Einrichtung einer Nationalen Kommission gegen Folter, die die an den überlebenden Opfern begangenen Verbrechen aufarbeitet. Um der andauernden Straffreiheit ein Ende zu machen, müsste als erstes die genaue Zahl der Folteropfer - Schätzungen schwanken zwischen 50.000 und 500.000 - geklärt werden.
Jedes Jahr, wenn die „Esmeralda“ zu einer neuen Fahrt aufbricht, wird sie vom Präsidenten verabschiedet. Mit keinem Wort wird ihre dunkle Vergangenheit erwähnt, im Gegenteil werden die Werte gepriesen, für die das Schiff steht. Für die Hinterbliebenen, wie die Schwester des ermordeten Woodward, Patricia Bennetts, ist das wie eine nachträgliche Verhöhnung der Opfer: „Wir haben keine andere Wahl, als die Öffentlichkeit zu informieren und die Gräueltaten weiter anzuprangern. Das sind wir den Opfern schuldig.“
Zusammen mit Menschenrechtsgruppen und amnesty international organisiert Bennetts nahezu in jedem Hafen, den die „Esmeralda“ anläuft, Protestkundgebungen. So organisierten ai-Mitglieder in diesem Jahr in Ecuador eine Demonstration und auch in Neuseeland, das das Schiff auf einer seiner letzten Reisen ansteuerte, gingen Demonstranten auf die Straße. Auch in Lübeck wird ai auf die grausige Vergangenheit der „Esmeralda“ aufmerksam machen.
Kerstin Zyber
Informationen über die Reise der „Esmeralda“ und die in den verschiedenen Häfen stattfindenden Proteste können unter http://www.chile-esmeralda.com eingesehen werden.