In einem durchgesickerten geheimen CIA-Memorandum wird untersucht, wie die weitere
Beteiligung der kriegsmüden Europäer an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in Afghanistan gesichert werden könnte.
Apathie der Öffentlichkeit
Sonder-Memorandum der CIA Red Cell
11.03.10 - ( http://file.wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf )
Afghanistan: Sicherung der Unterstützung Westeuropas für den NATO-Einsatz –
Warum man sich nicht auf die Apathie der Westeuropäer verlassen sollte (C//NF)
[Wir drucken eine Übersetzung der in WikiLeaks veröffentlichten Teile des Memorandums
der CIA Red Cell ab, das der Director of Intelligence (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Director_
of_National_Intelligence ) in Auftrag gegeben hat. C//NF ist eine Abkürzung für "Confidential
/ not for foreign eyes" und heißt: Vertraulich, soll nicht von Ausländern eingesehen
werden. Bei den Textstellen, die mit dieser Abkürzung gekennzeichnet sind, scheint es
sich um Originalzitate aus dem CIA-Memorandum zu handeln.]
Das Auseinanderbrechen der niederländischer Regierung, das erfolgte, weil man sich
nicht über den weiteren Einsatz niederländischer Soldaten in Afghanistan verständigen
konnte, zeigt wie brüchig die Unterstützung des ISAF-Einsatzes der NATO durch die
Europäer ist. Einige NATO-Staaten, besonders Frankreich und Deutschland, konnten sich
bisher auf die Apathie der Öffentlichkeit in Bezug auf Afghanistan verlassen, als sie ihre
Anteile an dem Einsatz immer mehr ausweiteten; aber die Teilnahmslosigkeit [der Bevölkerung]
könnte sich in aktiven Widerstand verwandeln, wenn die Kämpfe im Frühjahr und
Sommer eine erhöhte Anzahl militärischer und ziviler Opfer fordern und die in den Niederlanden
geführte Diskussion auch auf die anderen Staaten, die Truppen für Afghanistan
stellen, übergreift. Die Red Cell [eine Spezialabteilung der CIA für Langzeitanalysen, die
nach dem 11.09.2001 eingerichtet wurde, s.
https://www.cia.gov/offices-of-cia/intelligenceanalysis/
history.html ] lud einen CIA-Experten für strategische Kommunikation und Analytiker
der öffentlichen Meinung aus dem Bureau of Intelligence and Research / INR [dem
Büro für Geheimdienstinformationen und Nachforschungen] des Außenministeriums ein,
nach Möglichkeiten zu suchen, wie dem Afghanistan-Einsatz in der Politik Frankreichs,
Deutschlands und anderer westeuropäischer Staaten höhere Priorität verschafft werden
könnte. (C//NF)
Wegen der Apathie der Öffentlichkeit konnten die Regierenden die Wähler bisher ignorieren ... (C//NF)
Wegen des geringen öffentlichen Interesses an dem Afghanistan-Einsatz konnten die
französische und die deutsche Regierung die Opposition aus der Bevölkerung ignorieren
und ihre Truppen-Kontingente in der International Security Assistance Force / ISAF immer
weiter erhöhen. Berlin und Paris stellen zurzeit den dritt- und viertgrößten Anteil der ISAFStreitkräfte, obwohl nach einer im Herbst durchgeführten INR-Umfrage 80 Prozent der
deutschen und der französischen Befragten gegen eine weitere Aufstockung der ISAFKontingente
waren.
• Nur ein Bruchteil (0,1-1,3 Prozent) der französischen und deutschen Befragten stuften
in der gleichen Umfrage "Afghanistan" als das dringendste Problem ihres Landes
ein. Nach Umfragen, die der German Marshall Fund / GMF [s.
http://de.wikipedia.
org/wiki/German_Marshall_Fund ] während der letzten beiden Jahre durchführen
ließ, misst die Bevölkerung beider Länder "der Stabilisierung Afghanistans" unter
den Aufgaben der Regierungen der USA und Europas mit die geringste Bedeutung
bei.
• Nach der INR-Umfrage vom Herbst 2009 wurde die Ansicht, der Afghanistan-Einsatz
sei eine Verschwendung von Ressourcen und "nicht unser Problem", von den
deutschen Befragten als häufigster Grund für die Ablehnung der ISAF-Mission genannt,
von den französischen Befragten als zweithäufigster Grund. Die Einstellung
"nicht unser Problem" zeigt, dass sich die meisten Wähler bisher kaum für die Entsendung
von Truppen interessieren. (C//NF)
... Bei höheren Verlusten könnte der Widerstand wachsen (C//NF)
Wenn es tatsächlich zu dem von einigen vorhergesagten blutigen Sommer in Afghanistan
kommt, könnte die passive Missbilligung der Beteiligung ihrer Soldaten [am Afghanistan-
Einsatz] bei Franzosen und Deutschen in aktiven und politisch wirksamen Widerstand
umschlagen. Der Ton der bisherigen Debatte lässt vermuten, dass bei einer Zunahme der
französischen und deutschen Verluste oder der Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung
aus der bisher passiven Opposition energisch vorgetragene Forderungen nach einem
sofortigen Abzug [aus Afghanistan] erwachsen könnten. (C//NF)
Die [beachtlichen] französischen und deutschen Beiträge zu den NATO-Truppen haben
bis jetzt einen überstürzten Abzug verhindert, aber die Angst der Regierenden vor Rückschlägen
bei regionalen Wahlen im Frühjahr könnte sie daran hindern, weiteren Truppenverstärkungen
und Einsatzverlängerungen zuzustimmen, weil ihnen der politische Preis,
den sie dafür zahlen müssten, zu hoch wäre. Das Auseinanderbrechen der niederländischen
Regierung aus innenpolitischen Gründen könnte für Politiker anderer Länder zum
Präzedenzfall werden und sie veranlassen, eher "auf die Wähler zu hören". Die französische
und die deutsche Regierung haben sich in den beiden letzten Jahren von der wachsenden
Opposition nicht beirren lassen, aber ihre Beeinflussbarkeit könnte jetzt zugenommen
haben.
• Zur Unterstützung seiner Politik ließ Staatspräsident Sarkozy, nachdem im August
2008 zehn französische Soldaten umgekommen waren, die Nationalversammlung –
deren Einverständnis für den ISAF-Einsatz überhaupt nicht erforderlich ist – über
das französische Afghanistan-Engagement abstimmen. Seine Regierung errang
einen deutlichen Abstimmungssieg, und Sarkozy konnte damit eine potenzielle Krise
entschärfen und erhielt gleichzeitig Rückendeckung für die Entsendung 3.000
zusätzlicher Soldaten [nach Afghanistan]. Sarkozys Position könnte jedoch durch
einen erneuten Anstieg der Verluste geschwächt werden; seine Partei muss sich im
März Regionalwahlen stellen, und die bereits geringe Unterstützung für den ISAFEinsatz
ist nach der INR-Umfrage vom Herbst 2009 seit März 2009 um ein Drittel
gesunken.
• Die politischen Folgen des von einem deutschen Offizier im September 2009 befohlenen
Luftangriffs bei Kunduz, bei dem Dutzende afghanischer Zivilisten getötet
wurden, erhöhte den potenziellen Druck, der wegen des deutschen Einsatzes in Afghanistan
von der Öffentlichkeit auf die deutsche Regierung ausgeübt wird. Die Befürchtung
möglicher Auswirkungen des Afghanistan-Problems auf die im Mai stattfindenden Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen könnte Kanzlerin Merkel – die bereits ihren Unwillen bekundet hat, in Afghanistan noch mehr politisches Kapital zu investieren – noch stärker zögern lassen, den deutschen Beitrag zur ISAF auszuweiten oder sogar aufrechtzuerhalten. (C//NF)
Durch gezielte Berichterstattung könnte ein Anwachsen des öffentlichen Widerstandes verhindert oder wenigstens eingedämmt werden (C//NF)
Die Bevölkerung westeuropäischer Länder könnte eher bereit sein, im kommenden Frühjahr
und Sommer größere militärische und zivile Verluste [in Afghanistan] hinzunehmen,
wenn es gelänge, einleuchtende Zusammenhänge zwischen den in Afghanistan verfolgten
Zielen und den eigenen Bedürfnissen herzustellen. Ein konsequent durchgeführtes und
ständig wiederholtes strategisches Beeinflussungsprogramm über das [positive] Wirken
der NATO-Truppen, das auf spezielle Bedürfnisse des typischenn westeuropäischen Publikums
ausgerichtet ist, könnte verhindern, dass sich die heutige Teilnahmslosigkeit in
heftige Opposition gegen die ISAF-Mission verwandelt, und den Politikern größeren Spielraum
für ein noch stärkeres Engagement in Afghanistan verschaffen. (C//NF)
Die Franzosen sind um Zivilisten und Flüchtlinge besorgt
In Frankreich sollte verstärkt die Botschaft verbreitet werden, dass die afghanischen Zivilisten
von dem ISAF-Einsatz profitieren, und mit Beispielen über konkrete Verbesserungen
für die Bevölkerung ließe sich die Opposition gegen den ISAF-Einsatz vielleicht umkehren
oder mindestens eindämmen. Solche maßgeschneiderten Nachrichten kämen den Sorgen
der Franzosen um das Wohl der Zivilisten und Flüchtlinge entgegen. Diejenigen, die in der
INR-Umfrage vom Herbst 2009 den ISAF-Einsatz begrüßten, nannten als Grund dafür
meistens, dass er der afghanischen Bevölkerung Hilfe bringe, während Gegner vor allem
befürchteten, der Einsatz schade der Bevölkerung. Die Entkräftung der Annahme, "die
ISAF schadet mehr, als sie nützt" ist besonders wichtig für die Muslime in der französischen
Bevölkerung.
• Das Hervorheben der breiten Unterstützung der ISAF durch die Afghanen könnte
deren positiven Einfluss auf die Zivilisten unterstreichen. Nach einer im Dezember
2009 im Auftrag der Sender ABC, BBC und ADR durchgeführten repräsentativen
Umfrage befürworten etwa zwei Drittel der Afghanen die Anwesenheit der ISAFTruppen
in ihrem Land. Nach der INR-Umfrage vom Herbst 2009 waren die 48 Prozent
der französischen und die 52 Prozent der deutschen Befragten, die glaubten,
die Afghanen lehnten den ISAF-Einsatz mehrheitlich ab, auch eher geneigt, einer
Beteiligung an dem Einsatz zu widersprechen.
• Umgekehrt könnten dramatisierte Nachrichten über mögliche nachteilige Folgen eines
ISAF-Misserfolgs für die afghanische Bevölkerung bei den Franzosen und anderen
Westeuropäern Schuldgefühle wecken, die verhindern, dass man die Afghanen
im Stich lässt. Die Aussicht, die Taliban könnten die hart erkämpften Fortschritte
bei der schulischen Ausbildung von Mädchen wieder beseitigen, könnte die Franzosen
empören und Frankreichs größtenteils weltlich eingestellte Öffentlichkeit
dazu bringen, durch wachsende Verluste hervorgerufene Bedenken gegen den Afghanistan-
Einsatz zurückzustellen.
• Die in den Medien ausgetragene Kontroverse über die Ende des Jahres 2009 von
der Pariser Regierung verfügte Ausweisung zwölf afghanischer Flüchtlinge lässt
den Schluss zu, dass Geschichten über die Not afghanischer Flüchtlinge das Mitgefühl
der französischen Öffentlichkeit wecken werden. Die französische Regierung hat bereits dem Kampf gegen den Menschenhandel in Afghanistan Vorrang eingeräumt
und würde wahrscheinlich eine Informationskampagne unterstützen, die herausstreicht,
dass ein Misserfolg der NATO in Afghanistan eine Flüchtlingskatastrophe
auslösen könnte. (C//NF)
Die Deutschen regen sich vor allem über die Kosten auf und stellen den ISAF-Einsatz grundsätzlich in Frage
Deutsche Gegner des ISAF-Einsatzes kritisieren den Afghanistan-Krieg als Verschwendung
von Mitteln und sehen ihn nicht als deutsches Problem an; nach der INR-Umfrage
vom Herbst 2009 lehnen viele ihn sogar grundsätzlich ab. Ein Teil der deutsche Oppositi -
on gegen den ISAF-Einsatz könnte durch spürbare Fortschritte im Bodenkampf, durch
Warnungen vor den potenziellen Folgen einer Niederlage für Deutschland und durch häufiges
Betonen der Bedeutung Deutschlands, das man als wertvollen Partner bei dieser
wichtigen NATO-Mission brauche, besänftigt werden.
• Durch Herausstreichen des Widerspruchs zwischen der pessimistischen Einschätzung
der ISAF durch die Deutschen und dem Optimismus der Afghanen hinsichtlich
der durch die Mission erzielten Fortschritte könnte die Behauptung von Skeptikern
entkräftet werden, der Einsatz sei eine unnötige Verschwendung von Mitteln. Die im
Auftrag der Sender ABC, BBC und ADR durchgeführte Umfrage ergab auch, dass
70 Prozent der Afghanen dachten, ihr Land bewege sich in die richtige Richtung
und die Zustände würden sich 2010 verbessern, während eine 2009 durchgeführte
GMF-Umfrage ergab, dass etwa der gleiche Prozentsatz der befragten Deutschen
die Möglichkeiten zur Stabilisierung Afghanistans eher pessimistisch einschätzte.
• Mit Nachrichten, in denen die dramatischen Folgen einer NATO-Niederlage besonders
für Deutschland betont werden, könnte man der weit verbreitete Meinung entgegentreten,
dass Afghanistan nicht Deutschlands Problem sei. Zum Beispiel könnten
Berichte, die illustrieren, dass ein Misserfolg in Afghanistan die Bedrohung
Deutschlands durch den Terrorismus und den Rauschgifthandel vergrößern und
den Zustrom von Flüchtlingen erhöhen würde, helfen, auch Skeptiker von der Notwendigkeit
des Krieges zu überzeugen.
• Die Betonung der multilateralen und humanitären Aspekte der ISAF-Mission könnte
helfen, die Abneigung der Deutschen gegen jede Art von Krieg zu überwinden, indem
man an ihr Bedürfnis appelliert, sich an internationale Hilfsaktionen zu beteiligen.
Trotz ihrer Allergie gegen bewaffnete Auseinandersetzungen waren die Deutschen
bereit, sich auf einen Präzedenzfall einzulassen, als sie sich in den 1990er
Jahren an der Gewaltanwendung auf dem Balkan beteiligten, um ihren Verpflichtungen
gegenüber den NATO-Verbündeten nachzukommen. In der INR-Umfrage vom
Herbst 2009 haben deutsche Befragte die Hilfe für ihre Verbündeten als einen der
zwingendsten Gründe für die Unterstützung der ISAF-Mission genannt.
Appelle des Präsidenten Obama und Bitten afghanischer Frauen könnten nützlich
sein (C//NF)
Das Vertrauen der französischen und deutschen Bevölkerung in der Fähigkeit des Präsidenten
Obama, außenpolitische Probleme im Allgemeinen und das Afghanistan-Problem
im Besonderen lösen zu können, lässt die Annahme zu, dass die Menschen sehr empfänglich
für eine direkte Ansprache des Präsidenten wären, in der er die Bedeutung beider
Länder für die ISAF-Mission betont und seine Enttäuschung über Verbündete ausdrückt,
die nicht helfen wollen. (Anmerkung 1: Die Enttäuschung der Europäer über das Fernbleiben des Präsidenten beim EU-Gipfel und Kommentare, die aus seiner Abwesenheit
schlossen, dass ihm Europa nicht viel bedeute, lassen vermuten, dass die Europäer aus
Sorge um gute Beziehungen zu Washington bereit sein werden, auch weiterhin zum Gelingen
der ISAF-Mission beizutragen. (C//NF))
• Nach einer GMF-Umfrage im Juni 2009 waren etwa 90 Prozent der französischen
und deutschen Befragten von den außenpolitischen Fähigkeiten des Präsidenten
überzeugt. Die gleiche Umfrage ergab, dass 82 Prozent der französischen und 74
Prozent der deutschen Befragten auch überzeugt davon waren, dass der Präsident
Afghanistan stabilisieren kann, wobei das lange Warten auf die neue US-Strategie
und die Truppenverstärkungen dieses Vertrauen etwas erschüttert haben könnte.
• In der gleichen Umfrage stieg die Zustimmung der Befragten zu Truppenverstärkungen
für Afghanistan dramatisch an, als sie darin erinnert wurden, dass Präsident
Obama selbst darum gebeten hatte – bei den Befragten in Frankreich von 4 auf 15
Prozent und bei den Befragten in Deutschland von 7 auf 13 Prozent. Die Prozentsatz
ist zwar noch relativ niedrig, er zeigt aber, dass man einen in Europa so beliebten
Präsidenten nicht gern enttäuschen möchte. (C//NF)
Afghanische Frauen könnten ideale Botschafterinnen für die Unterstreichung der humanitären Aspekte der ISAF-Mission im Kampf gegen die Taliban sein;
diese Frauen können persönlich und glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter der Talibanherrschaft, ihre Sehnsüchte für die Zukunft und ihre Ängste vor einem Sieg der Taliban informieren. Durch öffentlichkeitswirksameAuftritte in den Medien sollten afghanische Frauen die Möglichkeit
erhalten, den Frauen in Frankreich, Deutschland und in anderen europäischen Ländern
ihre Erlebnisse mitzuteilen, und durch ihre Überzeugungskraft mithelfen, die unter den
Frauen in Europa vorherrschende Skepsis gegenüber der ISAF-Mission zu überwinden.
• Nach der INR-Umfrage vom Herbst 2009 unterstützen in Frankreich 8 Prozent weniger
Frauen als Männer den ISAF-Einsatz, in Deutschland sind es sogar 22 Prozent
weniger Frauen als Männer.
• Auftritte afghanischer Frauen in den Medien wären wahrscheinlich am wirkungsvollsten
in Programmen, die vor allem Frauen ansprechen. (C//NF)
> Quelle : Luftpost
Friedenspolitische Mitteilungen aus der
US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein
LP 087/10 – 31.03.10