Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung
Frieden - Gewalt - Geschlecht
Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung
Von Andrea Nachtigall*
Krieg, Militär und Frieden aus der Geschlechterperspektive zu betrachten entspricht heute dem internationalen Forschungsstandard. Auch im deutschsprachigen Raum lässt sich in den letzten Jahren ein verstärktes Interesse an diesem Zugang verzeichnen.[1] Die Geschlechterforschung zeigt, dass Debatten um Krieg und Frieden immer auch Aushandlungsprozesse der Geschlechterordnung bzw. der jeweils gültigen Vorstellungen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ sind, verbunden mit den dazugehörigen Handlungsoptionen.[2] Gleichzeitig können Krieg und Frieden als Gegenstände der Friedens- und Konfliktforschung ohne die Einbeziehung der Kategorie Geschlecht nicht umfassend erforscht werden.
Diese Thesen belegt auch der vorliegende Sammelband, der aus der Tagung „PazifistInnen/Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung“ (2003) hervorgegangen ist.[3] Als innovativ und interessant erweist sich vor allem der gewählte Fokus auf „Frieden“ (nicht Konflikt oder Krieg), der sich von dem aktuellen Forschungstrend abhebt. Das Buch gliedert sich in vier Teile und umfasst insgesamt 15 Artikel. Den Zusammenhang zwischen Frieden, Gewalt und Geschlecht erläutern die Beiträge zum Teil auf theoretischer Ebene, überwiegend jedoch anhand historischer und aktueller Einzeluntersuchungen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Diskurse und Praktiken der internationalen Friedensbewegungen und Friedenspolitiken, insbesondere Prozesse der Demilitarisierung und des „Peacekeeping“. Abgerundet wird das Buch durch eine von Karen Hagemann erstellte umfangreiche Auswahlbibliografie.
Der erste Teil gibt einen theoretisch-methodischen Überblick über die Forschungsentwicklung in Deutschland. Karen Hagemann macht den Auftakt mit einer gelungenen und ausführlichen Einleitung. Der Beitrag fasst die Gender-Dimensionen innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung zusammen und umreißt die vielfältigen Erkenntnisgewinne, die eine Einbeziehung der Kategorie Geschlecht für die Erforschung von Krieg, Frieden und Gewalt verspricht. Anschließend befragen Thomas Kühne und Hanne-Margret Birckenbach ihre jeweilige Forschungsdisziplin auf geschlechtertheoretische Anschlussstellen. Interessant ist, dass beide zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen gelangen. Kühne stellt für die Historische Friedensforschung selbstkritisch fest, dass sich diese bis zum Jahr 2000 der Geschlechterforschung weitestgehend verschlossen habe. Birkenbach zieht hingegen für die politik- und sozialwissenschaftliche Friedens- und Konfliktforschung eine deutlich positivere Bilanz: „Insgesamt gilt: Die Kategorie Geschlecht ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute akzeptiert.“ (S. 80) Ihrer fast euphorischen Einschätzung kann man nicht gänzlich folgen, kommen doch noch immer zahlreiche aktuelle Veröffentlichungen ohne eine Berücksichtigung der Geschlechterdimension aus.[4]
Der zweite Teil des Buches nähert sich dem Thema aus historischer Perspektive. Die Beiträge spannen einen chronologischen Bogen von den Anfängen der internationalen Friedensbewegung im 19. Jahrhundert bis zu Friedenspolitiken und -diskursen nach 1945. Während einige Beiträge vor allem auf die diskursive und symbolische Produktion von Geschlechterbildern abheben, fokussieren andere mehr die Ebene der AkteurInnen und Aktionen. In den Blick geraten dabei die geschlechtsspezifischen Handlungsspielräume und Rollenzuschreibungen innerhalb der britischen Friedensbewegung im 19. Jahrhundert (Heloise Brown), die konfliktreichen Beziehungen zwischen deutschen, belgischen und französischen Pazifistinnen innerhalb der internationalen Frauenfriedensbewegung während des Ersten Weltkrieges (Annika Wilmers) sowie der Umgang mit Gewalterfahrungen von Männern und Frauen in der westdeutschen Anti-Vietnamkriegsbewegung (Ute Kätzel).
Eine eher diskursorientierte Perspektive wählen hingegen Jennifer A. Davy, Christine Eifler und Belinda Davis in ihren Beiträgen. Davy arbeitet überzeugend heraus, wie Appelle an „männliche“ Stärke und (Kampfes-)Kraft trotz aller Kritik an militärisch-heroischen Männlichkeitsentwürfen auch in der antimilitaristischen Rhetorik der Friedensbewegung der Weimarer Republik Verwendung fanden. Eifler spürt den geschlechterpolitischen Implikationen des friedenspolitischen Diskurses der DDR nach. Die Grundannahme, dass Frieden am effektivsten militärisch gesichert werden könne, führte hier zu einer symbolischen Aufwertung von (soldatischer) Männlichkeit – wodurch im Gegenzug das komplementäre Bild verletzlicher und schutzbedürftiger Weiblichkeit entstand. Die westdeutsche Friedensbewegung der 1980er-Jahre ist Gegenstand der Analyse von Davis, die ebenso scharfsinnig wie kritisch die verwendeten Geschlechterbilder der ProtagonistInnen und die geschlechtlichen Implikationen des verbreiteten Antiamerikanismus nachzeichnet. Sie zeigt, wie im Rahmen einer binären vergeschlechtlichten Rhetorik die USA als „männlicher“ Hauptfeind und die Deutschen als feminisierte Opfer konstruiert wurden.
Aktuelle Konflikte stehen im Zentrum des dritten Teils, wobei der Fokus hier auf „Männlichkeit“ liegt. Uta Klein zeigt in ihrer Analyse des israelischen Friedens- und Sicherheitsdiskurses, dass eine übermäßige Betonung militärischer Stärke und ein Ethos (männlicher) Wehrhaftigkeit auch für den israelischen Kontext zentral sind – trotz der Wehrpflicht für Frauen. Die patriarchalen Nachkriegsordnungen im Irak von der Kolonialzeit bis zum Dritten Golfkrieg sind Thema des Beitrags von Martina Kamp. Kamp führt vor, wie über das Geschlechterverhältnis bzw. das Neu-Aushandeln patriarchaler Privilegien gesellschaftliche Konflikte eingedämmt und Kompromisse herbeigeführt werden.
Der vierte und letzte Abschnitt beschäftigt sich mit „gegenwartsbezogenen Friedensinitiativen“. Besonders erwähnenswert ist hier der Aufsatz von Volker Böge und Martina Fischer – sie geben einen fundierten theoretischen und empirischen Überblick zu den verschiedenen Gender-Dimensionen in der Bearbeitung innerstaatlicher Gewaltkonflikte. Dabei geht es um die Frage, wie Geschlechtergerechtigkeit in der Friedensförderung verankert werden kann.
Insgesamt leistet dieser Sammelband einen wichtigen Beitrag zur Etablierung des jungen Forschungsfelds „Krieg/Frieden und Geschlecht“ im deutschsprachigen Raum. Verdienst des Buches ist es, das unausgewogene Forschungsfeld, das sich seit Anfang der 1990er-Jahren hauptsächlich auf die Erforschung von Krieg und Militär konzentrierte, um die (normative) Perspektive Frieden zu ergänzen. Dabei wird deutlich, dass Fragen nach Krieg und Frieden sowie pazifistische und bellizistische Diskurse unmittelbar aufeinander bezogen und analytisch kaum zu trennen sind. Indem verschiedene, zum Teil neue und innovative genderorientierte Ansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung zusammengetragen werden, fördert der Band die Erschließung, Systematisierung und Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes. Dabei scheinen jedoch gleichzeitig offene Forschungsfragen und neue Probleme auf.
Vor allem die Verwendung des Gender- und Diskursbegriffs bleibt vage – auch in diesem Buch. Die unterschiedlichen Gender-Dimensionen werden zwar in der Einleitung erörtert, die einzelnen Beiträge jedoch leider nicht an diese Überlegungen rückgekoppelt. Gender wird teilweise mit Frauenquote oder der einseitigen Erforschung von Weiblichkeit gleichgesetzt. Die Einsicht, dass Gender nicht nur auf eine paritätische Beteiligung von Frauen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen abzielt, sondern darüber hinaus auch auf die Dekonstruktion und Überwindung zweigeschlechtlicher Denkmuster, die unabhängig vom „biologischen“ Geschlecht funktionieren und Gewaltkonflikte ebenso mitbedingen, wird nicht in allen Beiträgen gleichermaßen umgesetzt. Obwohl die These, dass Frauen die friedfertigeren Menschen seien, in mehreren Beiträgen widerlegt wird, schimmert in anderen die Hoffung durch, eine verstärkte Einbeziehung von Frauen (ins Militär, in Peacekeeping-Einsätze, in die Sicherheitspolitik) führe quasi automatisch zu einer besseren Welt. Hier ist ein bisweilen unkritischer und affirmativer Bezug nicht nur auf „Gender Mainstreaming“, sondern auch auf „Peacekeeping“ als neuen militärischen Aufgabenbereich festzustellen. Eine Differenzierung der verwendeten Diskursbegriffe wäre ebenfalls wünschenswert gewesen.
Zum Schluss sei noch auf die vielen Uneinheitlichkeiten und Fehler in Schrift und Satzbild und das wenig ansprechende, klischeebeladene Titelbild mit Friedenstaube und Frau hingewiesen. Diese zwei Punkte tun jedoch dem positiven Gesamteindruck keinen Abbruch. Die historische Schwerpunktsetzung des Buches lässt sich auch für die Erforschung aktueller Themen nutzen und macht neugierig auf zukünftige Forschungsprojekte.
Anmerkungen:
Vgl. z.B. Hagemann, Karen; Pröve, Ralf (Hgg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1998; Harders, Cilja; Roß, Bettina (Hgg.), Geschlechterverhältnisse in Krieg und Frieden, Opladen 2002; Hagemann, Karen; Schüler-Springorum, Stefanie (Hgg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt am Main 2002; Neissl, Julia; Eckstein, Kirstin (Hgg.), Männerkrieg und Frauenfrieden. Geschlechterdimensionen in kriegerischen Konflikten, Wien 2003.
Einen guten Überblick gibt Harders, Cilja, Krieg und Frieden: Feministische Positionen, in: Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hgg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden 2004, S. 461-466.
Tagungsprogramm: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=1666, Tagungsbericht von Karen Hagemann und Ute Kätzel: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=241.
So zum Beispiel das „Handbuch Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme“, hgg. von Eckern, Ulrich; Herwartz-Emden, Leonie, Wiesbaden 2004.
* Andrea Nachtigall, Otto-Suhr-Institut, Freie Universität Berlin