Eva Kreisky (Vortrag Wien, 09.12.2003)
FRAGMENTE ZUM VERSTÄNDNIS DES GESCHLECHTS DES
KRIEGES
"Jeder Mann, der die mächtige Lust zur Schlacht in sich hat,
fühlt sie, wenn sich der Wolf in seinem Herzen erhebt"
(Thomas Jefferson)
Auch wenn man nicht den im Alltagsdenken mit Vorliebe "wesenhaft" aufgefüllten Bildern vom
kriegerischen Mann und der friedfertigen Frau folgt, bedeutet Thematisierung von Krieg und
Geschlecht zunächst einmal dennoch, den engen Konnex von Krieg und Männlichkeit auszuleuchten.
Dies kann aber nicht heißen, die "männliche Nähe zum Militärischen" mit einer "biologisch"
hergeleiteten größeren Aggressivität von Männern zu erklären (Seifert 1996: 79). Eine Fokussierung
auf Männer und Männlichkeit scheint aber trotzdem unverzichtbar, stehen doch männliche Akteure
empirisch häufiger und offenkundiger im Zentrum jedweden aktiven Kriegsgeschehens.
Allerdings werden in einer solchen Sicht männliche Vergeschlechtlichungen des Krieges als Produkt
sozialer und kultureller Konstruktion erkannt (vgl. ebd.: 87): Militär und Krieg strukturieren
Männlichkeit ebenso, wie Männlichkeitskonstruktionen Kriegsrealitäten und Kriegsverläufe zu lenken
vermögen.
Militärische Subjektbildung betraf seit der frühen Neuzeit "so gut wie ausschließlich Männer". Frauen
waren nie im selben Ausmaß militärischer Disziplinierung unterworfen (vgl. ebd.: 78). Ab einer
bestimmten militärtechnologischen Entwicklungsstufe wurden sie vom "Kriegshandwerk"
ausgeschlossen, blieben zugleich aber in weiblich-spezifischen, nunmehr jedoch einkommenslosen
Funktionen, in Kriegsgeschehen eingeschlossen. Die historische Transformation der Kriege von
Söldner- und Fürstenkriegen zu Volks- und Massenkriegen hat Frauen nicht nur wieder inkludiert,
sondern ihnen zudem spezielle Rollen, als Mütter und Ehegattinnen von Soldaten, sowie eigene Orte,
wie die "Heimatfront" oder das Krankenrevier, zugewiesen.
Von relevanten politischen Entscheidungszentren über Krieg und Frieden in nationalstaatlichen
Arkanbereichen von Regierung und Verwaltung wie auch in supranationalen Decision-Tanks, wie der
NATO oder der OSZE, sind Frauen allerdings auch heute noch von maßgeblichen Toppositionen
exkludiert. Es sind Sonderfälle der sozialen Gruppe Frauen, die in solche Entscheidungsspitzen
2
vorzudringen vermögen und die es daher zu bedenken gilt: Golda Meir und ihre politische
Entscheidungsnähe zum Sechstagekrieg 1967 und den militärischen Folgeproblemen, Maggie
Thatcher und ihre schon wesentlich direktere Entscheidungsnähe zum Falkland-Krieg 1982,
Madeleine Albright und ihre aktive Involviertheit in die Entscheidungskonfiguration rund um den
Kosovo-Krieg 1999, Condolezza Rice als National Security Adviser von George W. Bush Jr..
Weltweit gab es zudem bislang auch nur wenige Anomalien des Politischen, in denen Frauen als
Verteidigungsministerinnen zumindest für kurze Zeit Einfluss auf die militärische Entwicklung ihrer
Länder nahmen: Finnland, Kanada und Polen. Ihr episodischer Wert ist wohl evident.
Die sicherheitspolitische Architektur Europas und der Welt sowie ihre militärischen Fundierungen
unterliegen also einer seltsam männlichen Hegemonie: Es sind Männer und ihre soziale Kultur,
konkret: ihre maskulinen Ideologisierungen und Wertvorstellungen, die militärpolitisches Geschehen
wesentlich steuern. Diese These soll im Folgenden plausibel gemacht werden.
Momente einer Geschlechtergeschichte des neuzeitlichen Krieges
(1) Frauenausschluss durch "militärische Revolution"
Zu Beginn der achtziger Jahre hat der US-amerikanische Historiker Barton C. Hacker darauf
aufmerksam gemacht, dass die Inklusion von Frauen in Militär und Kriegführung keinesfalls erst ein
Ereignis der Moderne sei (vgl. Hacker 1981, 1988). Traditionell hatten Frauen vitale Bedeutung für
die Versorgung der Söldnerheere. Ohne ihre Reproduktionsarbeit ("Haus- und Kinderarbeit") wären
frühneuzeitliche Heere gar nicht funktionsfähig gewesen. Dadurch aber offerierten sie Frauen
außerhäusliche Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, so dass diese auch aus hochgradig patriarchalen
Lebenskontexten auszubrechen vermochten. Ob dies freilich ein minder patriarchaler
Lebenszusammenhang war, in den sie eintraten, sei dahingestellt. Aber immerhin gab es für Frauen
neben dem Klosterleben nunmehr eine weitere Option für eine materiell relativ gesicherte Existenz
außerhalb des beengten patriarchalen Hausverbandes.
Die "militärische Revolution" im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert, konkret die epochale
Innovation durch Feuerwaffensysteme, hat eine veränderte militärische Arbeitsteilung zur Folge.
Diese neuen Waffen hatten nämlich eine radikale Reform militärischer Taktik ausgelöst: strikte
hierarchische Organisation und straffe militärische Disziplin waren nunmehr unabdingbar (vgl.
Bröckling 1997: 31). Bis dahin waren militärisches und ziviles Leben voneinander nicht abgeschottet.
3
Hacker beschreibt Söldnerarmeen des 16. und 17. Jahrhunderts als "mobile Städte" mit einer
ausdifferenzierten Geschäfts- und Dienstleistungsinfrastruktur, eigenem Sozialleben und vor allem:
mitziehenden Familien. Die Zahl der Frauen und Kinder im Tross war nicht wesentlich kleiner als die
Zahl der Männer (vgl. Hacker 1981).
Individuelle Kampffähigkeit wie kollektive Wehrkraft waren bis in das frühe 19. Jahrhundert auf
weibliche Reproduktionsarbeit geradezu fundamental angewiesen. Erst im Zuge technologischer und
organisatorischer Modernisierung der Armeen sollten Frauen sukzessive ausgeschlossen werden: Die
Einführung stehender Heere und ihre wachsende Professionalisierung wirkten sich einschneidend auf
soziale und politische Organisationsweisen von Geschlechterverhältnissen innerhalb wie außerhalb
des Militärs aus.
Als "reguläre" Armeen allmählich zu Instrumenten nationalstaatlicher Machtpolitik wurden,
monopolisierte die Militärführung die Kontrolle auch über die Versorgung ihrer Truppen, um Soldaten
disziplinieren zu können sowie die Kriegführung durch Reduktion des Trosses zu effektivieren.
Staatliche Regulation (durch Heiratsverbot etwa) suchte nunmehr, das bisherige Gemenge aus
militärischer und ziviler Welt zu entwirren und weitere Mischung der Lebenswelten einzudämmen.
Allerdings zeigen historische Analysen auch, dass sich Militär und zivile Gesellschaft in den
Garnisonstädten bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht trennen ließen. Die Kasernen waren nicht von
Anfang an "Orte der separierten Männlichkeit" (Sabina Loriga, zit. n. Hagemann 1999: 14f.), sondern
dienten ursprünglich primär der Unterbringung von Soldatenfamilien, um dadurch der Bevölkerung
der Garnisonstädte die Lasten der Einquartierung zu ersparen.
Gleichzeitig aber haben Militärdienst und Kasernenleben auch eine "Demoralisierung" der Männer
bewirkt, was sie in Kombination mit ihrer ökonomischen Schwäche daran hinderte, stete und stabile
Familienbeziehungen einzugehen. Zumindest wurden sie von der Wohnbevölkerung der
Garnisonstädte so wahrgenommen (Peter K. Taylor, zit. n. ebd.: 15f.).
(2) Allgemeine Wehrpflicht und Männlichkeit
In der Genese des neuzeitlichen Staates hatte Waffenfähigkeit politische Subjektfähigkeit begründet.
Wer Dienst an der Waffe leistete, war anerkannter Teil der politischen Gemeinschaft. Mit der
militärisch-politischen Inklusion der Männer war aber gleichzeitig politische Exklusion von Frauen
fixiert worden.
4
Moderne Nationalstaatsbildung und Wehrpflichtarmeen waren markante politische Innovationen des
19. Jahrhunderts. Erstmalig wurden in Preußen breitere Männermilieus, einschließlich von Bildungsund
Besitzbürgern, für den Militärdienst "rekrutiert". Die norm- und verhaltensprägende Tragweite
militärischer Disziplinierung wurde daher immer evidenter (vgl. Bröckling 1997: 113ff.).
Damals wurde freilich auch Idealisierung männlicher Waffenfähigkeit politisch unumgänglich: Bis
dahin war Militärdienst in der Bevölkerung als etwas betrachtet worden, das familiäre Ökonomien und
Arbeitszusammenhänge bloß störte, wurden ihnen doch wichtige Arbeitskräfte entzogen. Also musste
Militärdienst politisch aufgewertet und "unkriegerischer Habitus der Zivilisten" dementsprechend
abgewertet werden (vgl. Frevert 1996: 81).
Die Wehrpflicht der Männer leitete eine neue Phase "männlicher Vergemeinschaftung" ein: Das
Militär vermittelte sich als Institution, der Männer nur angehörten, weil sie Männer waren.
Unterschiede zwischen Männern schienen im Medium Militär obsolet zu werden, nicht so aber
Unterschiede zu Frauen, diese wurden nun erst politikentscheidend. Das Militär konstituierte sich als
"frauenfreier" Raum.
Im "Männerhaus" Militär fand - für alle öffentlich sichtbar - die Initiation zum Mann statt. Zudem löste
das Militär Männer aus ihren privaten, nämlich familiären und sozialen Beziehungen und integrierte
sie in ein "neues, vollkommen abstraktes Referenzsystem" (ebd.: 82): Vaterland, Nation und Staat
bildeten nun wesentliche Bezugspunkte junger Männer. Das Militär machte also den Rekruten nicht
nur zum Mann, sondern vor allem auch zum Staatsbürger (vgl. ebd.: 83). Der nationalistische
Zeitgeist ließ einen "patriotisch-wehrhaften" Männlichkeitsentwurf entstehen. Politische und
militärische Fähigkeiten wurden kongruent, was Frauen ins politische Abseits drängte. Sie wurden
von der keimenden "Staatsbürgergesellschaft" ignoriert. Die "Nation in Waffen" wurde als männlicher
Raum konstruiert (vgl. Hagemann 1999: 18).
Sobald freilich Kriege als "Nationalkriege", nämlich auf Basis breitester männlicher Mobilisierung,
geführt wurden, verschärften sich auch "diskursiv konstruierte" Geschlechterdifferenzen und -
hierarchien. Zugleich erweiterte sich in Kriegsperioden paradoxerweise aber auch der "öffentliche
Handlungsspielraum" von Frauen (vgl. ebd.). Darin liegt freilich auch eine Gefährdung des
patriarchalen Geschlechterregimes: Wenn Frauen diese durch den Krieg eröffneten
Handlungschancen allzu bereitwillig aufgreifen und für eigene Interessen zu nutzen versuchen, wird
mit Ende solcher Kriege die alte Geschlechterordnung rekonstituiert, um Frauen neuerlich auf ihr
vermeintliches "Wesen" einzuschränken. Fast immer ist im Gefolge von Kriegen, ob von
Staatskriegen oder von "asymmetrischen Kriegen" (Münkler 2002) eine Re-Maskulinierung
gesellschaftlicher Verhältnisse konstatierbar (Jeffords 1989).
5
Das nationalsozialistische Regime perfektionierte schließlich dieses politisierte Modell des Mannes,
der als Soldat und Staatsbürger Nation und Volksgemeinschaft nicht nur zuverlässig ergeben sein
sollte, sondern sie letztlich auch verkörperte. Biologischer und politischer Körper des Mannes wurden
also in eins gesetzt.
Der Körper Militär: eine politische Synthese aus Männerkörpern
Politik und Krieg stehen zueinander in interdependentem Verhältnis: Meistens wird Krieg als
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gedeutet (vgl. Clausewitz 1980). In einer weitergehenden
Fragestellung wäre zudem auch nach dem "Kriegerischen in der Politik" (Krippendorff 1993: 60) zu
fragen. Das Politische beginnt zu verschwinden, der Krieg wird permanent (Virilio 1984: 25).
In jedem Falle geht es auch um Formen der Institutionalisierung von Männlichkeit und damit um
Machtressourcen der Männlichkeit. Beschäftigung mit der "Institution Militär" setzt jedenfalls die
Befassung mit dem "Mann in Uniform" voraus (vgl. ebd.: 51), was bedeutet, dass das Militär letztlich
als politischer Körper zu begreifen ist, der sich aus Männerkörpern zusammensetzt (so auch Morgan
1994: 167).
Am Militär wird die politische Symbiose aus Gewalt und Männlichkeit am offensichtlichsten (vgl.
Krippendorff 1993: 48f.; Morgan 1994: 179). Im regulären Soldaten begegnet uns politisch legitimierte
männliche Gewalt. Der Soldat erscheint geradezu als Inbegriff von Männlichkeit (vgl. Morgan 1994:
165), er fungiert als idealtypischer Symbolträger für das soziale und politische Konstrukt Männlichkeit.
Politische Männerbundtheorien haben daher niemals nur Staat und Männerbund, sondern immer
auch Militär und Männerbund in eins gesetzt (vgl. Kreisky 1992). Die Imagination des Mannes in
Männerbundtheorien beinhaltet immer den männlichen, soldatischen und heroischen Mann.
Nichtwaffenfähige oder Nichtwaffentragende wurden stets als "Weiber" minderbewertet (nachzulesen
bei Max Weber 1972: 616).
Etymologisch stehen "taugen" und "tauglich" mit germanischen Wortbildungen im Zusammenhang
wie Tüchtigkeit, Tapferkeit, Kraft, Gewalt, Vortrefflichkeit und Tugend. Ein "Tugendbold" war früher
eigentlich ein Raufbold. Erst unter dem Einfluss des Christentums wurde das Wort Tugend "sittlich"
aufgeladen und zum Gegenbegriff des "Lasters" (vgl. Duden, Bd.7, 1989).
6
Auch heute werden Wehruntaugliche, Wehrdienstverweigerer oder Zivildiener im Alltagsverständnis
immer noch tendenziell abgewertet, sie werden als "nichttugendhafte" - weil eben unmännliche -
Männer betrachtet. Und alles, was nicht (oder noch nicht) männlich ist, gilt in westlich-europäischen
Gesellschaften bekanntlich ohnehin als entweder weiblich oder eben infantil. Der Grat der
Männlichkeit ist äußerst schmal, Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden daher in der
Regel entweder mit sozialer Ent-Männlichung (d.h. soziales Stigmatisieren von Verhalten, Fähigkeiten
oder Erscheinungsbildern als unmännlich) oder mit politischer Ent-Männlichung (d.h. politisches
Vorenthalten formeller Rechte, die Männern qua Männlichkeit zustehen1) geahndet.
Im Gefolge der Französischen Revolution war Krieg zu einer "Sache des Volkes" mutiert (vgl.
Clausewitz 1980: 655), er wurde gewissermaßen "demokratisiert". Auf Grundlage von Wehrpflicht
rekrutierte junge Männer mussten nun massenhaft in Militärstrukturen eingebunden und konnten
gleichzeitig auch als Männer standardisiert werden.
Es ist offensichtlich, dass Militär nicht bloß irgendeine männliche Institution unter vielen anderen ist,
sondern vielmehr die grundlegende Schule der (männlichen) Nation und damit de facto die Schule der
Nation (zum Mann) darstellt. Das Militär gilt im sozialpsychologischen Sinne daher auch als
"Illusionsmaschine", die federführend "das Konstrukt der Männlichkeit produziert": Hier wird - ähnlich
wie in Männerhäusern früherer oder anderer Kulturen (oder wie heute etwa am Fußballplatz) - auch
das Geheimnis gepflegt, wodurch der Mann zum Mann wird (vgl. Erdheim 1982: 336).
Als zentraler Motor dieser militärischen "Illusionsmaschine" figuriert Drill. Entstanden im Zuge der
militärischen Revolution des 18. Jahrhunderts, bewirkte er nämlich, dass Massen von Männern in
Bewegung gesetzt werden konnten, ohne dass sie über das Warum dieser Bewegung informiert
waren. Die Kampfziele "bleiben dem Militär äußerlich und können deshalb auch beliebig
ausgewechselt werden" (ebd.: 338). Dem Anschein nach zunächst erhabene idealistische Ziele (wie
etwa Kaiser oder Vaterland) wurden mit der Zeit von trivialer Männlichkeit als eigentlicher und
vordringlicher Kampfmotivation überlagert. Zum Überleben der Männer wurde Kameradschaft, mit
anderen Worten: männliche Solidarität, prioritär und verselbständigte sich gegenüber anderen
politischen Zielwerten. Krieg und Militär wurden zu neuen sozialen Orten, an denen besondere
Formen männlicher Vergemeinschaftung erlebt werden konnten, die Männer vom banalen familiären
Alltag in eine ausschließliche Männerwelt vermeintlichen Abenteuers abheben ließen2.
(Schützengräbengemeinschaft als Vorbild für ideale Politik- und Staatsform)
1 Mit dem Eintreten in die preußische Wehrpflichtarmee wurde den Männern das Wahlrecht
genommen.
2 Ich teile nicht die Sicht von Stavros Mentzos, der Kameradschaft als Niederschlag "zunehmender
Demokratisierung der Gesellschaft" auch in der Sphäre von Krieg und Militär deutet (vgl. Mentzos
1993: 188) Eine solche Bewertung erfolgt, weil "Kameraden" im Vergleich zu "Vorgesetzten" gleicher
7
Es ist aber nicht bloß "äußerer Zwang", sondern es sind auch "libidinöse Strukturen", die Armeen
zusammenzuhalten vermögen (vgl. Freud 1974: 88). Jeder einzelne ist einerseits an den
Vorgesetzten und andererseits an die anderen Soldaten gebunden. Identifizierung mit dem führenden
Vorgesetzten lässt die bewusste Einzelpersönlichkeit schwinden, richtet Gedanken und Gefühle aus,
lässt Affektivität und Unbewusstes vorherrschen. Der Männerbund Militär reproduziert sich über
Initiationsriten, die Männer äußerst ungleiche Ordnung hinnehmen lassen. Neue Rekruten werden in
die Welt der älteren Männer eingeführt, in der Oben und Unten längst ausverhandelt und festgelegt
ist. Es gilt, selbstlose Unterordnung und Unterwerfung unter die Herrschaft der alten Männer
("Hierarchie") zu üben.
Der Rekrut muss hinter Kasernenmauern die für unsere Gesellschaft übliche Frauenrolle erlernen.
Für alles, wofür im zivilen Leben Frauen zuständig gemacht werden (z.B. Aufräumen, Putzen,
Kochen), werden im militärischen Leben junge Männer in die Pflicht genommen: "Nur ein Mann,
welcher derart als Frau behandelt wurde, wird sich dem weiblichen Geschlecht gegenüber so
verhalten können, wie es bei uns üblich ist" (vgl. Erdheim 1982: 343). Der militärische Initiationsritus
lässt also in die Welt "wahrer" Männlichkeit eintreten.
Die Kohäsion des Heeres in Form besonderer Bindung und Loyalität zur jeweiligen Einheit
(Korpsgeist) war in Deutschland traditionell über Rekrutierung nach Regionen oder Wehrkreisen
hergestellt worden (vgl. Bartov 1995: 52f.). Der Soldat sollte in seiner Einheit "eine Art Heimat"
entdecken, in die er immer wieder zurückkehren konnte. Die Einheit war eine "soziale Gruppe von
Männern", die also der Soldat "kannte und denen er vertraute" (ebd.: 53). Deutsche Offiziere sollten
ihre Männer nicht nur ins Gefecht führen, sondern ihnen auch das Gefühl geben, "Teil einer Familie
zu sein, wenn auch einer sehr hierarchisch geordneten und disziplinierten". Nicht selten sprachen
Offiziere ihre Männer auch als "Kinder" an (ebd.)3.
erscheinen. Aber genau das macht auch die männerbündisch-ideologische Unterfütterung des
männlichen Militärkörpers aus. Zudem war es gerade diese aus den Schützengräben des Ersten
Weltkrieges stammende Kameradschaftsmentalität, die die antidemokratischen Bataillone gegen die
Weimarer Republik entscheidend stärkte. War sie doch getragen vom politischen Wunsch, eine
ideale staatliche Gemeinschaft nach dem Vorbild männlicher Kriegsgemeinschaft zu formen als
Gegenmodell zur weiblich konnotierten Weimarer Republik (vgl. Theweleit 1987; Breuer 1993). An
diesem Beispiel wird nachvollziehbar, was passiert, wenn die grundsätzlich geschlechtliche
Konnotation des Kameradschaftsbegriffes dethematisiert und die politischen Intentionen und Inhalte
männlicher Vergemeinschaftung wegeskamotiert werden.
3 Von manchen Historikern wird daher der Zusammenhalt in der Deutschen Wehrmacht nicht
vorrangig auf "abstrakte Ideen" zurückgeführt, sondern stärker auf die "konkrete und klar
bestimmbare soziale Ordnung", die für enge persönliche Beziehungen zwischen den Soldaten in
einem Gefüge von "Primärgruppen" sorgte (vgl. Shils/Janowitz 1948, zit. n. Bartov 1995: 54).
Zahlreiche deutsche Soldaten kämpften "nicht aus dem Glauben an die Nazi-Ideologie heraus",
sondern weil sie sich als Mitglieder "einer geschlossenen, gut geführten Gruppe" fühlten, "deren
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Alles in allem wird jungen Männern im Militär subkutan der komplexe Standpunkt vermittelt, von dem
aus Männer die Welt zu sehen haben (vgl. auch Seifert 1992). Und das ist schließlich auch in
politischer Hinsicht von Nutzen: Gilt doch Militär nicht nur als das "Herz der staatlichen Souveränität"
(Harold Laski, zit. n. Krippendorff 1993: 47), sondern vor allem als "organisierter Ausdruck" von
Gewalt. Unsere politische Kultur ist nicht nur eine patriarchalische, sondern zudem auch eine
"Kriegskultur", die als staatlich formierte Gewaltkultur agiert (vgl. Krippendorff 1993: 46f.).
Transformationen des modernen Krieges der Männer
Es soll nun der Gestaltwandel des Militärischen und Kriegerischen im 20. Jahrhundert4 in seinen
Implikationen für Männlichkeitskonstruktionen skizziert werden.
(1) Militarisierung der Männlichkeit
Die seit 1814 bestehende Wehrpflichtarmee Preußens hatte "militaristische Denkweisen" produziert,
die nicht nur Brauchbarkeit und Verfügbarkeit für den Krieg, sondern auch "Anbindung des absoluten
Gehorsams und der strikten Disziplin an einen loyalitätsbegründenden höheren Wert", nämlich die
Monarchie bzw. den König bezweckten (vgl. Messerschmidt 1995: 19f.). Damit verbunden war das
Konzept eines "sozialen Militarismus" (d.h. Militarisierung vor allem der männlichen Bevölkerung),
das retardierende politische (nämlich antidemokratische, antiparlamentarische) Kräfte freizusetzen
vermochte. Die Wehrpflichtarmee, als "Armee des Königs", hat eine "antirevolutionäre Ideologie
entwickelt, die die 'nur-soldatischen' Loyalitäts- und Disziplin-Begriffe überlagerte" (ebd). Dieser
Funktion, die Soldaten und in der Folge die männlichen Untertanen überhaupt revolutionsfest zu
machen, diente vor allem die Entpolitisierung der Armee, praktisch also die politische Entmündigung
Aufbau, Verwaltung und Arbeitsweise alles in allem als (...) unparteiisch und gerecht empfunden
wurde" (van Creveld 1991, zit. n. Bartov 1995: 55).
4 Die meisten Militärhistoriker beschreiben für die Menschheitsgeschichte vier Formen des Krieges im
Sinne eines historisches Ablaufschemas der Transformation: Sie unterscheiden zwischen dem
"primitiven", dem heroischen oder feudalen, dem zivilisierten oder reglementierten sowie dem
mechanischen Krieg. Gegenwärtig stehen wir beim atomaren oder High-Tech-Krieg (vgl. Mentzos
1993: 143), oder bei sogenannten "neuen Kriegen". Für unseren Themenzusammenhang ist vor allem
der Übergang zum mechanischen Krieg von Interesse, weil damit auch eine Ernüchterung im Hinblick
auf die Heroisierung des Kriegers - gewissermaßen eine Prosaisierung von Männlichkeit- eingeleitet
wurde.
9
der Soldaten. Das Wahlrecht wurde daher so konstruiert, dass es für Wehrpflichtige nicht in Betracht
kam, später wurde es Längerdienenden sogar explizit entzogen5.
Der gezielten entmündigenden politischen Ent-Männlichung der Rekruten folgte später auch eine
stigmatisierend entehrende Ent-Männlichung politisch unliebsamer Kräfte in der Armee. Neben den
äußeren Feinden des deutschen Heeres existierte plötzlich auch ein innerer Feind. Mit zunehmender
politischer Bedeutung der Sozialdemokratie erwuchs allmählich eine neue politische Kategorie im
militärischen Denken, nämlich die Formel von der "Wehrunwürdigkeit" (ebd.: 23).
(2) Ent-Heroisierung kriegerischer Männlichkeit
Ab dem Ersten Weltkrieg ist auf Grund fortschreitender Waffen- und Rüstungsentwicklung eine
Transformation des Krieges beobachtbar; Krieg wurde tendenziell zu technischer Auseinandersetzung
zwischen Geräten und Anlagen. Der Kampf von Mann zu Mann in traditionellen Formen existierte in
der Realität dieses Krieges immer weniger. Damit ist dem Soldaten, der in einen bloßen Maschinisten
der Vernichtung verwandelt wurde, freilich auch die traditionelle Aura des Heroischen abhanden
gekommen. Bemerkenswert ist auch, dass zur gleichen Zeit in regulären Armeen Kriegsneurosen
stark im Zunehmen waren. Kriegsneurotiker wurden freilich als Feiglinge und Simulanten
minderbewertet, sie sollten einfach nicht als Männer gelten dürfen: Eine eigene wissenschaftliche
Disziplin, die Militärpsychiatrie, wurde etabliert, um sie bloßzustellen, zu disziplinieren und für den
Krieg wiedereinsetzbar zu machen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man die deutsche Niederlage den "Mächten der Zersetzung"
zugeschrieben, nämlich Marxisten, Juden, Deserteuren und "Kriegsneurotikern" (vgl. Messerschmidt
1995: 35). In dieser Sicht war der mythische "Frontkämpfer" von "Etappenschweinen",
"Drückebergern", "Minderwertigen" und "Versagern" verraten worden (vgl. ebd.: 34f.). So wurde der
"Minderwertige" zum "politischen Feind". Das Bild des Deserteurs, "Zersetzers" und Verweigerers
wurde entindividualisiert und zu einem "politisch negativ besetzten Typus" herabgewürdigt (vgl. ebd.:
35), weil er Verrat an der männlichen Werte- und Notgemeinschaft des Krieges übte.
5 Also auch in dieser Hinsicht bestand eine strukturelle Analogie zwischen Soldaten und Frauen (vgl.
Erdheim 1982: 343), beide waren in politischer Hinsicht ohne Rechte. Nur Männer konnten, wie zuvor
ausgeführt, im modernen Staat politische Subjekte sein. Wurde nun einigen von ihnen dieser Status
entzogen, so ist dieser politische Vorgang als Ent-Männlichung zu beschreiben, zumal diese Männer
ja dann in den politisch subjektlosen Status von Frauen zurückfielen, ihnen also ihr politische
Männlichkeit genommen wurde.
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Die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkrieges führte freilich nicht zur Hinterfragung dieses
gescheiterten soldatisch-heroischen Stereotyps der Männlichkeit, vielmehr reformulierte und
verstärkte es sich angesichts der gewandelten Geschlechterverhältnisse, die von der
krisengebeutelten Männlichkeit als besonders bedrohlich erlebt wurden.
(3) Politische Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes
soldatisches Verhalten
Die Deutsche Wehrmacht bietet ein überaus extremes Beispiel von Möglichkeiten politischer
Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes soldatisches Verhalten. Die gesellschaftliche
Tendenz zur Ineinssetzung von Soldatsein und Seinen-Mann-Stehen wurde geradezu extremistisch
realisiert, Wehrhaftigkeit wurde wieder auf ihren maskulinen Punkt gebracht.
Die Nationalsozialisten übten sich dabei in "geschickter Verknüpfung" deutsch-preußischer
militärischer Traditionen mit neuen Methoden der Armee- und Kriegsführung (vgl. ebd.: 32). Die
Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde durch flankierende Maßnahmen gegen
potentielle "Unruheherde" in der Armee abgesichert. Kriegsgegner und "zersetzende Elemente"
sollten von vornherein isoliert und ausgesondert werden (vgl. ebd.: 67). Nach Ausschaltung aller
Gegenkräfte sollte aus Deutschland eine militarisierte "Volksgemeinschaft" mit männerbündischen
Basisstrukturen werden. Wer diese vorgeblich konsensuale "Front der Gemeinschaft" gefährdete,
wurde zum "Gemeinschaftsschädling" erklärt. Militärische Vergehen waren leicht und gut als Angriffe
auf den männlichen Wertekatolog soldatischer Pflichten zu deuten: "Gefährdung der Manneszucht"
galt daher als ein - von Militärjustiz und ihr willfährig zur Seite stehender Militärpsychiatrie (vgl.
Klausch 1995: 69) häufig geahndeter - Fehltritt gegen die ideologischen Werte der deutschen "Volksund
Wehrgemeinschaft" (vgl. Messerschmidt 1995: 34).
Von der männlichen Post-Vietnam-Krise zum High-Tech-Golfkrieg:
ein geschlechtlicher Paradigmenwandel?
Als die USA den Krieg in Vietnam führte, war die US Army noch eine Wehrpflichtarmee von
ausschließlich Männern. Unterfüttert war dieses System von hochprofessionalisierten Militärs.
Das Besondere dieses Krieges war wohl das Aufeinandertreffen einer für damalige Verhältnisse
schon hochgerüsteten und subtil spezialisierten regulären Armee einer Weltmacht mit einer nach sehr
11
einfachen, aber durchaus effizienten technischen wie sozialen Technologien operierenden irregulären
Guerilla-Armee einer Dritte-Welt-Region.
Im Falle der USA war die Öffentlichkeit, was die Legitimität des Krieges anlangte, seit 1967/68
extrem gespalten: Die politische und die zivile Gesellschaft der USA lagen offen in Widerstreit.
Ihr kriegerisches "Gegenüber" agierte dagegen auf der Basis eines in der Bevölkerung weitgehend als
legitim wahrgenommenen und dementsprechend unterstützten Befreiungskrieges.
Während im vietnamesischen Dschungel zwangsrekrutierte amerikanische Männer also den Krieg
mehr oder weniger hautnah erlebten, leisteten in den USA beträchtliche Teile der (vor allem auch
weiblichen) Zivilgesellschaft Widerstand gegen diesen Krieg. Die Anti-Vietnamkriegsbewegung war
eine auch sichtbar weibliche Bewegung. Das Ende dieses Krieges wurde daher als militärische wie
zivile Niederlage erfahren. Im Gefolge des – vor allem von US-amerikanischen Männern als
traumatisch erlebten Endes des - Vietnam-Krieges machte sich - gewissermaßen als Rehabilitation
angeschlagener Männlichkeit - eine Re-Maskulinisierung Amerikas breit, die auch mit der Metapher
von der "Ramboisierung" ziviler Gesellschaft belegt wurde.
Über die massenmediale Kunstfigur Rambos als Supermännlichkeit vermochte sich Militarismus –
trotz dezidierten Endes des Krieges – effektiv, nachhaltig und sogar weltweit auszubreiten (vgl. Enloe
1988: 72). Vor allem aber US-amerikanische Männer sollten lernen, wie sie die "Demütigung" durch
die Niederlage an der Front und daheim sowie den Verrat der politischen Eliten "da oben" ertragen
können. Wieder erstarkte Männlichkeit schien dazu probates Mittel. Rambo versinnbildlicht
individuelles militärisches Abenteurertum, er ist einsamer Rebell, der in der zivilen, sich mittlerweile
auch verstärkt weiblich gebenden Welt einen Krieg weiterführt, den seine Vorgesetzten längst
beendet haben. Rambo verkörpert die verletzte Post-Vietnam-Männlichkeit, die es damals
schleunigst zu revitalisieren galt. Die Ehre der verletzten Nation lässt sich vermeintlich nur über
Militärisches, mithin: wiederaufgerichteter Männlichkeit, wiederherstellen.
Militarisierte Männlichkeit erschien hier vornehmlich noch als Phänomen und Problem niederrangiger
Kombattanten. Allerdings bedürfen moderne, hoch spezialisierte und professionalisierte
Militärsysteme einer viel breiteren Palette von Männlichkeitskonstruktionen. Dieser Prozess sozialer
und kultureller Ausdifferenzierung von Männlichkeitsbildern in Armeen geht einher mit
voranschreitender Professionalisierung ihrer Organisationsstrukturen.
Als die USA den zweitenKrieg am Golf führte, war die US Army bereits eine Berufsarmee, an der
auch Frauen – wenngleich noch marginal an Zahl und Einfluss - beteiligt sind. Kriegführung erschien
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nicht mehr nur männlich inszeniert. Der Golf-Krieg führte aber nicht nur aktive weibliche Kriegführung
vor Augen, sondern leitete auch die Ära des "elektronischen Kriegs neuen Typs" ein.
Anfang der neunziger Jahre hatten viele den Golf-Krieg noch für einen "untypischen" Krieg gehalten
(vgl. Albrecht 1991: 136). Allerdings wurden in jenen Tagen schon die aktuellen Kriegskonzepte
antizipiert: "Save lives", und zwar eigene Leben, "but do not spare bombs", hieß es damals. Im
Videokrieg wurde suggeriert, dass mit neuen elektronischen Präzisionswaffen eine Einhegung des
Krieges gelinge, die zu weniger Opfern und Zerstörungen führe. Das Bild vom "unblutigen
Druckknopfkrieg" wurde generiert, der militärische Auseinandersetzungen per Luftkrieg mit genau
gezielten Schlägen führe, ehe es mit einem Minimalaufwand an Bodenkämpfen zur Entscheidung
komme (vgl. ebd.: 139).
Der Krieg im Kosovo als Arena von Männlichkeiten: zur aktuellen
Relevanz der Dekodierung von Geschlechtlichkeit des Krieges
In technischem Sinne hatte also eigentlich schon der Golf-Krieg 1991 als Versuchslabor für den
Kosovo-Krieg gewirkt. Anthony Giddens hat den Kosovo-Krieg als "Krieg neuen Typs" charakterisiert:
Neu erschien er ihm keineswegs nur wegen der militärtechnischen Revolution durch
Satellitentechnologie und neue Waffensysteme, neu an ihm war auch, dass er, wie Giddens meint,
angeblich zentrale Elemente der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts antizipiert hat.
Selbst das Geschlecht des Krieges ist nicht mehr so einfach festzustellen: Die meisten Debatten über
den Krieg im Kosovo wiesen der geschlechtlichen Inszenierung keine besondere Bedeutung zu. Im
Kosovo-Krieg wurden Vergewaltigungen von Frauen zwar stärker thematisiert als in anderen Kriegen,
aber auch hier wurden sie rasch wieder zum Anathema, weil sie als für jeden Krieg typisch gelten.
Dieser taktlose Modus der Banalisierung entkriminalisiert Gewalt an Frauen, legitimiert sie als
kriegsrechtgemäßes Handeln und integriert sie bagatellisierend als "Kavaliersdelikt" in männliche
Erlebniswelten. In ihr realisiert sich also zugleich der "Beweis" eigener Männlichkeit wie auch
absichtsvolle Verwundung gegnerischer Männlichkeit.
Männlichkeiten werden, so meine anfängliche Grundthese, politisch-diskursiv hergestellt. Auch Kriege
haben "diskursive" Bedeutung. Mehr als je zuvor signieren heute diverse, multiple, asynchron
geschichtete Männlichkeiten Geschlechterregime.
13
Der Krieg im Kosovo inszenierte sich auch als ein Krieg von Männlichkeiten. Die
Männlichkeitskonstruktionen haben Traditionalismen eingekapselt, zur selben Zeit spiegeln sie auch
verschiedene Grade an Modernisierung: So stand im Kosovo-Krieg die modernisiert-archaische
Männlichkeit der Serben in Konfrontation mit der archaischen Männlichkeit der kosovarischen Albaner
und über beiden Kontrahenten schwebte drohend und aggressiv die technologisch hochgerüstete
postmoderne Cyber- und Super-Männlichkeit der NATO. Den unmittelbaren Kriegshandlungen
zuvorgegangen war ein "maskierter", weil zunächst völkerrechtlich gebändigter oder vielleicht sich
auch nur verstellender, jedenfalls aber "noblerer" kriegerischer Gestus der Männlichkeit europäischer
und US-amerikanischer Diplomatie.
Diese recht grob geschnittene Typologie, der auch eine Hierarchie von Wertsetzungen unterliegt,
ließe sich noch weiter auffächern: in die in der NATO-Öffentlichkeit als ungebärdig imaginierte
serbische Soldateska und ihren gnadenlosen Führer (Milosevic), der die Kosovaren und die
"westliche Welt" in Geiselhaft hielt, in die "heroische" Entschlossenheit der wilden Männlichkeit der
UCK und in das "Unheroische" des Präsidenten eines machtlosen Schattenstaates (Rugova), in die
"sauber" bleibenden virtuellen Krieger, denen wesentlich rauere Männerhorden, genannt
Bodentruppen, folgen hätten sollen, um das schmutzige Geschäft dieses Krieges zu einem Ende zu
bringen6.
Madeleine Albright als erste weibliche US-Außenministerin, allemal Ton angebend im schrillen
Kriegsgeschehen auf dem Balkan, unterstreicht die Einsicht, dass Männlichkeitskonstruktionen in
gesellschaftlichen Diskursen erzeugt, in sozialen Praktiken generiert und verdichtet werden und daher
nicht unbedingt auf "biologisches" Geschlecht als Fundus angewiesen sind. Auch Krieg ist eine -
wenngleich besonders hohe humane Kosten einfordernde - Form politischen "Diskurses" und sozialer
"Praxis". Er ist ebenso Folge patriarchalen Geschlechterarrangements wie er auch an dessen
Nachjustierung und Kontinuität beteiligt ist.
Gut zu belegen ist dies auch an einer im Grunde höchst nebensächlichen Episode des Irak-Krieges,
die vom Pentagon nicht nur "frisiert" und medial "aufgeblasen", sondern auch spezifisch
"vergeschlechtlicht" wurde: das "dramatische" Narrativ von Jessica Lynch, der ersten US-Soldatin,
die im Irakkrieg zunächst "gefallen" ist, dann aber auf wundersame Weise aus der Hand der "bösen"
Iraker "befreit" wurde (Rötzer 2003).
6 In vielen Zeitungen vom Juni 1999 wurde diese in ihren Startlöchern scharrende militärische
Männlichkeit freilich getarnt, indem etwa Bilder britischer weiblicher Leutnants gezeigt wurden, die
allem Anschein nach auf "ihren" Einsatz nur "warteten" (z.B. in der österreichischen Tageszeitung
Kurier, 8.6.1999).
14
Der Pentagon agierte dabei ganz im Stil orientalischer Märchenerzähler, denen die Phantasie
durchgeht: Jessica Lynch, jung und hübsch, Mitglied einer Wartungseinheit wurde verletzt und
gefangen genommen. "Noch am Boden mit Wunden und einem gebrochenen Bein hatte sie sich
'heldenhaft' gewehrt und auf die Gegner geschossen", berichtete man. Sie wurde in ein Krankenhaus
gebracht, wo sie von "mehr als 40 mörderischen Killern" bewacht wurde. Vorsorglich wurde die Aktion
zu Lynchs Rettung mit einer Nachtsichtkamera aufgezeichnet, um die Story medial wirksam
verbreiten zu können.
Später wurde freilich eine "entheroisierte" Version der Geschichte kolportiert: Das Krankenhaus war
bereits verlassen, als die Spezialeinheiten eindrangen (Washington Post). Ärzte erzählten, dass es
keinerlei Widerstand bei der "heroischen Befreiungsaktion" gegeben habe.
Das wirklich Heroische leistete aber Jessica Lynch, indem sie alle Heroisierungen und Ehrungen nicht
nur zurückwies, sondern auch die offiziellen Darstellungen als Fälschungen denunzierte.
Literatur:
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15
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Konstruktion des Soldaten, Bremen.
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Links:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3251731.stm
www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,956255,00.html
www.nydailynews.com/front/Story/134264p-119598c.htm
www.fortwayne.com/mld/fortwayne/news/nation/7201846.htm
www.defenselink.mil/news/Jul2003/n072220033_200307226.html
www.jessica-lynch.com
Eva Kreisky (Vortrag Wien, 09.12.2003)
FRAGMENTE ZUM VERSTÄNDNIS DES GESCHLECHTS DES
KRIEGES
"Jeder Mann, der die mächtige Lust zur Schlacht in sich hat,
fühlt sie, wenn sich der Wolf in seinem Herzen erhebt"
(Thomas Jefferson)
Auch wenn man nicht den im Alltagsdenken mit Vorliebe "wesenhaft" aufgefüllten Bildern vom
kriegerischen Mann und der friedfertigen Frau folgt, bedeutet Thematisierung von Krieg und
Geschlecht zunächst einmal dennoch, den engen Konnex von Krieg und Männlichkeit auszuleuchten.
Dies kann aber nicht heißen, die "männliche Nähe zum Militärischen" mit einer "biologisch"
hergeleiteten größeren Aggressivität von Männern zu erklären (Seifert 1996: 79). Eine Fokussierung
auf Männer und Männlichkeit scheint aber trotzdem unverzichtbar, stehen doch männliche Akteure
empirisch häufiger und offenkundiger im Zentrum jedweden aktiven Kriegsgeschehens.
Allerdings werden in einer solchen Sicht männliche Vergeschlechtlichungen des Krieges als Produkt
sozialer und kultureller Konstruktion erkannt (vgl. ebd.: 87): Militär und Krieg strukturieren
Männlichkeit ebenso, wie Männlichkeitskonstruktionen Kriegsrealitäten und Kriegsverläufe zu lenken
vermögen.
Militärische Subjektbildung betraf seit der frühen Neuzeit "so gut wie ausschließlich Männer". Frauen
waren nie im selben Ausmaß militärischer Disziplinierung unterworfen (vgl. ebd.: 78). Ab einer
bestimmten militärtechnologischen Entwicklungsstufe wurden sie vom "Kriegshandwerk"
ausgeschlossen, blieben zugleich aber in weiblich-spezifischen, nunmehr jedoch einkommenslosen
Funktionen, in Kriegsgeschehen eingeschlossen. Die historische Transformation der Kriege von
Söldner- und Fürstenkriegen zu Volks- und Massenkriegen hat Frauen nicht nur wieder inkludiert,
sondern ihnen zudem spezielle Rollen, als Mütter und Ehegattinnen von Soldaten, sowie eigene Orte,
wie die "Heimatfront" oder das Krankenrevier, zugewiesen.
Von relevanten politischen Entscheidungszentren über Krieg und Frieden in nationalstaatlichen
Arkanbereichen von Regierung und Verwaltung wie auch in supranationalen Decision-Tanks, wie der
NATO oder der OSZE, sind Frauen allerdings auch heute noch von maßgeblichen Toppositionen
exkludiert. Es sind Sonderfälle der sozialen Gruppe Frauen, die in solche Entscheidungsspitzen
2
vorzudringen vermögen und die es daher zu bedenken gilt: Golda Meir und ihre politische
Entscheidungsnähe zum Sechstagekrieg 1967 und den militärischen Folgeproblemen, Maggie
Thatcher und ihre schon wesentlich direktere Entscheidungsnähe zum Falkland-Krieg 1982,
Madeleine Albright und ihre aktive Involviertheit in die Entscheidungskonfiguration rund um den
Kosovo-Krieg 1999, Condolezza Rice als National Security Adviser von George W. Bush Jr..
Weltweit gab es zudem bislang auch nur wenige Anomalien des Politischen, in denen Frauen als
Verteidigungsministerinnen zumindest für kurze Zeit Einfluss auf die militärische Entwicklung ihrer
Länder nahmen: Finnland, Kanada und Polen. Ihr episodischer Wert ist wohl evident.
Die sicherheitspolitische Architektur Europas und der Welt sowie ihre militärischen Fundierungen
unterliegen also einer seltsam männlichen Hegemonie: Es sind Männer und ihre soziale Kultur,
konkret: ihre maskulinen Ideologisierungen und Wertvorstellungen, die militärpolitisches Geschehen
wesentlich steuern. Diese These soll im Folgenden plausibel gemacht werden.
Momente einer Geschlechtergeschichte des neuzeitlichen Krieges
(1) Frauenausschluss durch "militärische Revolution"
Zu Beginn der achtziger Jahre hat der US-amerikanische Historiker Barton C. Hacker darauf
aufmerksam gemacht, dass die Inklusion von Frauen in Militär und Kriegführung keinesfalls erst ein
Ereignis der Moderne sei (vgl. Hacker 1981, 1988). Traditionell hatten Frauen vitale Bedeutung für
die Versorgung der Söldnerheere. Ohne ihre Reproduktionsarbeit ("Haus- und Kinderarbeit") wären
frühneuzeitliche Heere gar nicht funktionsfähig gewesen. Dadurch aber offerierten sie Frauen
außerhäusliche Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, so dass diese auch aus hochgradig patriarchalen
Lebenskontexten auszubrechen vermochten. Ob dies freilich ein minder patriarchaler
Lebenszusammenhang war, in den sie eintraten, sei dahingestellt. Aber immerhin gab es für Frauen
neben dem Klosterleben nunmehr eine weitere Option für eine materiell relativ gesicherte Existenz
außerhalb des beengten patriarchalen Hausverbandes.
Die "militärische Revolution" im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert, konkret die epochale
Innovation durch Feuerwaffensysteme, hat eine veränderte militärische Arbeitsteilung zur Folge.
Diese neuen Waffen hatten nämlich eine radikale Reform militärischer Taktik ausgelöst: strikte
hierarchische Organisation und straffe militärische Disziplin waren nunmehr unabdingbar (vgl.
Bröckling 1997: 31). Bis dahin waren militärisches und ziviles Leben voneinander nicht abgeschottet.
3
Hacker beschreibt Söldnerarmeen des 16. und 17. Jahrhunderts als "mobile Städte" mit einer
ausdifferenzierten Geschäfts- und Dienstleistungsinfrastruktur, eigenem Sozialleben und vor allem:
mitziehenden Familien. Die Zahl der Frauen und Kinder im Tross war nicht wesentlich kleiner als die
Zahl der Männer (vgl. Hacker 1981).
Individuelle Kampffähigkeit wie kollektive Wehrkraft waren bis in das frühe 19. Jahrhundert auf
weibliche Reproduktionsarbeit geradezu fundamental angewiesen. Erst im Zuge technologischer und
organisatorischer Modernisierung der Armeen sollten Frauen sukzessive ausgeschlossen werden: Die
Einführung stehender Heere und ihre wachsende Professionalisierung wirkten sich einschneidend auf
soziale und politische Organisationsweisen von Geschlechterverhältnissen innerhalb wie außerhalb
des Militärs aus.
Als "reguläre" Armeen allmählich zu Instrumenten nationalstaatlicher Machtpolitik wurden,
monopolisierte die Militärführung die Kontrolle auch über die Versorgung ihrer Truppen, um Soldaten
disziplinieren zu können sowie die Kriegführung durch Reduktion des Trosses zu effektivieren.
Staatliche Regulation (durch Heiratsverbot etwa) suchte nunmehr, das bisherige Gemenge aus
militärischer und ziviler Welt zu entwirren und weitere Mischung der Lebenswelten einzudämmen.
Allerdings zeigen historische Analysen auch, dass sich Militär und zivile Gesellschaft in den
Garnisonstädten bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht trennen ließen. Die Kasernen waren nicht von
Anfang an "Orte der separierten Männlichkeit" (Sabina Loriga, zit. n. Hagemann 1999: 14f.), sondern
dienten ursprünglich primär der Unterbringung von Soldatenfamilien, um dadurch der Bevölkerung
der Garnisonstädte die Lasten der Einquartierung zu ersparen.
Gleichzeitig aber haben Militärdienst und Kasernenleben auch eine "Demoralisierung" der Männer
bewirkt, was sie in Kombination mit ihrer ökonomischen Schwäche daran hinderte, stete und stabile
Familienbeziehungen einzugehen. Zumindest wurden sie von der Wohnbevölkerung der
Garnisonstädte so wahrgenommen (Peter K. Taylor, zit. n. ebd.: 15f.).
(2) Allgemeine Wehrpflicht und Männlichkeit
In der Genese des neuzeitlichen Staates hatte Waffenfähigkeit politische Subjektfähigkeit begründet.
Wer Dienst an der Waffe leistete, war anerkannter Teil der politischen Gemeinschaft. Mit der
militärisch-politischen Inklusion der Männer war aber gleichzeitig politische Exklusion von Frauen
fixiert worden.
4
Moderne Nationalstaatsbildung und Wehrpflichtarmeen waren markante politische Innovationen des
19. Jahrhunderts. Erstmalig wurden in Preußen breitere Männermilieus, einschließlich von Bildungsund
Besitzbürgern, für den Militärdienst "rekrutiert". Die norm- und verhaltensprägende Tragweite
militärischer Disziplinierung wurde daher immer evidenter (vgl. Bröckling 1997: 113ff.).
Damals wurde freilich auch Idealisierung männlicher Waffenfähigkeit politisch unumgänglich: Bis
dahin war Militärdienst in der Bevölkerung als etwas betrachtet worden, das familiäre Ökonomien und
Arbeitszusammenhänge bloß störte, wurden ihnen doch wichtige Arbeitskräfte entzogen. Also musste
Militärdienst politisch aufgewertet und "unkriegerischer Habitus der Zivilisten" dementsprechend
abgewertet werden (vgl. Frevert 1996: 81).
Die Wehrpflicht der Männer leitete eine neue Phase "männlicher Vergemeinschaftung" ein: Das
Militär vermittelte sich als Institution, der Männer nur angehörten, weil sie Männer waren.
Unterschiede zwischen Männern schienen im Medium Militär obsolet zu werden, nicht so aber
Unterschiede zu Frauen, diese wurden nun erst politikentscheidend. Das Militär konstituierte sich als
"frauenfreier" Raum.
Im "Männerhaus" Militär fand - für alle öffentlich sichtbar - die Initiation zum Mann statt. Zudem löste
das Militär Männer aus ihren privaten, nämlich familiären und sozialen Beziehungen und integrierte
sie in ein "neues, vollkommen abstraktes Referenzsystem" (ebd.: 82): Vaterland, Nation und Staat
bildeten nun wesentliche Bezugspunkte junger Männer. Das Militär machte also den Rekruten nicht
nur zum Mann, sondern vor allem auch zum Staatsbürger (vgl. ebd.: 83). Der nationalistische
Zeitgeist ließ einen "patriotisch-wehrhaften" Männlichkeitsentwurf entstehen. Politische und
militärische Fähigkeiten wurden kongruent, was Frauen ins politische Abseits drängte. Sie wurden
von der keimenden "Staatsbürgergesellschaft" ignoriert. Die "Nation in Waffen" wurde als männlicher
Raum konstruiert (vgl. Hagemann 1999: 18).
Sobald freilich Kriege als "Nationalkriege", nämlich auf Basis breitester männlicher Mobilisierung,
geführt wurden, verschärften sich auch "diskursiv konstruierte" Geschlechterdifferenzen und -
hierarchien. Zugleich erweiterte sich in Kriegsperioden paradoxerweise aber auch der "öffentliche
Handlungsspielraum" von Frauen (vgl. ebd.). Darin liegt freilich auch eine Gefährdung des
patriarchalen Geschlechterregimes: Wenn Frauen diese durch den Krieg eröffneten
Handlungschancen allzu bereitwillig aufgreifen und für eigene Interessen zu nutzen versuchen, wird
mit Ende solcher Kriege die alte Geschlechterordnung rekonstituiert, um Frauen neuerlich auf ihr
vermeintliches "Wesen" einzuschränken. Fast immer ist im Gefolge von Kriegen, ob von
Staatskriegen oder von "asymmetrischen Kriegen" (Münkler 2002) eine Re-Maskulinierung
gesellschaftlicher Verhältnisse konstatierbar (Jeffords 1989).
5
Das nationalsozialistische Regime perfektionierte schließlich dieses politisierte Modell des Mannes,
der als Soldat und Staatsbürger Nation und Volksgemeinschaft nicht nur zuverlässig ergeben sein
sollte, sondern sie letztlich auch verkörperte. Biologischer und politischer Körper des Mannes wurden
also in eins gesetzt.
Der Körper Militär: eine politische Synthese aus Männerkörpern
Politik und Krieg stehen zueinander in interdependentem Verhältnis: Meistens wird Krieg als
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gedeutet (vgl. Clausewitz 1980). In einer weitergehenden
Fragestellung wäre zudem auch nach dem "Kriegerischen in der Politik" (Krippendorff 1993: 60) zu
fragen. Das Politische beginnt zu verschwinden, der Krieg wird permanent (Virilio 1984: 25).
In jedem Falle geht es auch um Formen der Institutionalisierung von Männlichkeit und damit um
Machtressourcen der Männlichkeit. Beschäftigung mit der "Institution Militär" setzt jedenfalls die
Befassung mit dem "Mann in Uniform" voraus (vgl. ebd.: 51), was bedeutet, dass das Militär letztlich
als politischer Körper zu begreifen ist, der sich aus Männerkörpern zusammensetzt (so auch Morgan
1994: 167).
Am Militär wird die politische Symbiose aus Gewalt und Männlichkeit am offensichtlichsten (vgl.
Krippendorff 1993: 48f.; Morgan 1994: 179). Im regulären Soldaten begegnet uns politisch legitimierte
männliche Gewalt. Der Soldat erscheint geradezu als Inbegriff von Männlichkeit (vgl. Morgan 1994:
165), er fungiert als idealtypischer Symbolträger für das soziale und politische Konstrukt Männlichkeit.
Politische Männerbundtheorien haben daher niemals nur Staat und Männerbund, sondern immer
auch Militär und Männerbund in eins gesetzt (vgl. Kreisky 1992). Die Imagination des Mannes in
Männerbundtheorien beinhaltet immer den männlichen, soldatischen und heroischen Mann.
Nichtwaffenfähige oder Nichtwaffentragende wurden stets als "Weiber" minderbewertet (nachzulesen
bei Max Weber 1972: 616).
Etymologisch stehen "taugen" und "tauglich" mit germanischen Wortbildungen im Zusammenhang
wie Tüchtigkeit, Tapferkeit, Kraft, Gewalt, Vortrefflichkeit und Tugend. Ein "Tugendbold" war früher
eigentlich ein Raufbold. Erst unter dem Einfluss des Christentums wurde das Wort Tugend "sittlich"
aufgeladen und zum Gegenbegriff des "Lasters" (vgl. Duden, Bd.7, 1989).
6
Auch heute werden Wehruntaugliche, Wehrdienstverweigerer oder Zivildiener im Alltagsverständnis
immer noch tendenziell abgewertet, sie werden als "nichttugendhafte" - weil eben unmännliche -
Männer betrachtet. Und alles, was nicht (oder noch nicht) männlich ist, gilt in westlich-europäischen
Gesellschaften bekanntlich ohnehin als entweder weiblich oder eben infantil. Der Grat der
Männlichkeit ist äußerst schmal, Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden daher in der
Regel entweder mit sozialer Ent-Männlichung (d.h. soziales Stigmatisieren von Verhalten, Fähigkeiten
oder Erscheinungsbildern als unmännlich) oder mit politischer Ent-Männlichung (d.h. politisches
Vorenthalten formeller Rechte, die Männern qua Männlichkeit zustehen1) geahndet.
Im Gefolge der Französischen Revolution war Krieg zu einer "Sache des Volkes" mutiert (vgl.
Clausewitz 1980: 655), er wurde gewissermaßen "demokratisiert". Auf Grundlage von Wehrpflicht
rekrutierte junge Männer mussten nun massenhaft in Militärstrukturen eingebunden und konnten
gleichzeitig auch als Männer standardisiert werden.
Es ist offensichtlich, dass Militär nicht bloß irgendeine männliche Institution unter vielen anderen ist,
sondern vielmehr die grundlegende Schule der (männlichen) Nation und damit de facto die Schule der
Nation (zum Mann) darstellt. Das Militär gilt im sozialpsychologischen Sinne daher auch als
"Illusionsmaschine", die federführend "das Konstrukt der Männlichkeit produziert": Hier wird - ähnlich
wie in Männerhäusern früherer oder anderer Kulturen (oder wie heute etwa am Fußballplatz) - auch
das Geheimnis gepflegt, wodurch der Mann zum Mann wird (vgl. Erdheim 1982: 336).
Als zentraler Motor dieser militärischen "Illusionsmaschine" figuriert Drill. Entstanden im Zuge der
militärischen Revolution des 18. Jahrhunderts, bewirkte er nämlich, dass Massen von Männern in
Bewegung gesetzt werden konnten, ohne dass sie über das Warum dieser Bewegung informiert
waren. Die Kampfziele "bleiben dem Militär äußerlich und können deshalb auch beliebig
ausgewechselt werden" (ebd.: 338). Dem Anschein nach zunächst erhabene idealistische Ziele (wie
etwa Kaiser oder Vaterland) wurden mit der Zeit von trivialer Männlichkeit als eigentlicher und
vordringlicher Kampfmotivation überlagert. Zum Überleben der Männer wurde Kameradschaft, mit
anderen Worten: männliche Solidarität, prioritär und verselbständigte sich gegenüber anderen
politischen Zielwerten. Krieg und Militär wurden zu neuen sozialen Orten, an denen besondere
Formen männlicher Vergemeinschaftung erlebt werden konnten, die Männer vom banalen familiären
Alltag in eine ausschließliche Männerwelt vermeintlichen Abenteuers abheben ließen2.
(Schützengräbengemeinschaft als Vorbild für ideale Politik- und Staatsform)
1 Mit dem Eintreten in die preußische Wehrpflichtarmee wurde den Männern das Wahlrecht
genommen.
2 Ich teile nicht die Sicht von Stavros Mentzos, der Kameradschaft als Niederschlag "zunehmender
Demokratisierung der Gesellschaft" auch in der Sphäre von Krieg und Militär deutet (vgl. Mentzos
1993: 188) Eine solche Bewertung erfolgt, weil "Kameraden" im Vergleich zu "Vorgesetzten" gleicher
7
Es ist aber nicht bloß "äußerer Zwang", sondern es sind auch "libidinöse Strukturen", die Armeen
zusammenzuhalten vermögen (vgl. Freud 1974: 88). Jeder einzelne ist einerseits an den
Vorgesetzten und andererseits an die anderen Soldaten gebunden. Identifizierung mit dem führenden
Vorgesetzten lässt die bewusste Einzelpersönlichkeit schwinden, richtet Gedanken und Gefühle aus,
lässt Affektivität und Unbewusstes vorherrschen. Der Männerbund Militär reproduziert sich über
Initiationsriten, die Männer äußerst ungleiche Ordnung hinnehmen lassen. Neue Rekruten werden in
die Welt der älteren Männer eingeführt, in der Oben und Unten längst ausverhandelt und festgelegt
ist. Es gilt, selbstlose Unterordnung und Unterwerfung unter die Herrschaft der alten Männer
("Hierarchie") zu üben.
Der Rekrut muss hinter Kasernenmauern die für unsere Gesellschaft übliche Frauenrolle erlernen.
Für alles, wofür im zivilen Leben Frauen zuständig gemacht werden (z.B. Aufräumen, Putzen,
Kochen), werden im militärischen Leben junge Männer in die Pflicht genommen: "Nur ein Mann,
welcher derart als Frau behandelt wurde, wird sich dem weiblichen Geschlecht gegenüber so
verhalten können, wie es bei uns üblich ist" (vgl. Erdheim 1982: 343). Der militärische Initiationsritus
lässt also in die Welt "wahrer" Männlichkeit eintreten.
Die Kohäsion des Heeres in Form besonderer Bindung und Loyalität zur jeweiligen Einheit
(Korpsgeist) war in Deutschland traditionell über Rekrutierung nach Regionen oder Wehrkreisen
hergestellt worden (vgl. Bartov 1995: 52f.). Der Soldat sollte in seiner Einheit "eine Art Heimat"
entdecken, in die er immer wieder zurückkehren konnte. Die Einheit war eine "soziale Gruppe von
Männern", die also der Soldat "kannte und denen er vertraute" (ebd.: 53). Deutsche Offiziere sollten
ihre Männer nicht nur ins Gefecht führen, sondern ihnen auch das Gefühl geben, "Teil einer Familie
zu sein, wenn auch einer sehr hierarchisch geordneten und disziplinierten". Nicht selten sprachen
Offiziere ihre Männer auch als "Kinder" an (ebd.)3.
erscheinen. Aber genau das macht auch die männerbündisch-ideologische Unterfütterung des
männlichen Militärkörpers aus. Zudem war es gerade diese aus den Schützengräben des Ersten
Weltkrieges stammende Kameradschaftsmentalität, die die antidemokratischen Bataillone gegen die
Weimarer Republik entscheidend stärkte. War sie doch getragen vom politischen Wunsch, eine
ideale staatliche Gemeinschaft nach dem Vorbild männlicher Kriegsgemeinschaft zu formen als
Gegenmodell zur weiblich konnotierten Weimarer Republik (vgl. Theweleit 1987; Breuer 1993). An
diesem Beispiel wird nachvollziehbar, was passiert, wenn die grundsätzlich geschlechtliche
Konnotation des Kameradschaftsbegriffes dethematisiert und die politischen Intentionen und Inhalte
männlicher Vergemeinschaftung wegeskamotiert werden.
3 Von manchen Historikern wird daher der Zusammenhalt in der Deutschen Wehrmacht nicht
vorrangig auf "abstrakte Ideen" zurückgeführt, sondern stärker auf die "konkrete und klar
bestimmbare soziale Ordnung", die für enge persönliche Beziehungen zwischen den Soldaten in
einem Gefüge von "Primärgruppen" sorgte (vgl. Shils/Janowitz 1948, zit. n. Bartov 1995: 54).
Zahlreiche deutsche Soldaten kämpften "nicht aus dem Glauben an die Nazi-Ideologie heraus",
sondern weil sie sich als Mitglieder "einer geschlossenen, gut geführten Gruppe" fühlten, "deren
8
Alles in allem wird jungen Männern im Militär subkutan der komplexe Standpunkt vermittelt, von dem
aus Männer die Welt zu sehen haben (vgl. auch Seifert 1992). Und das ist schließlich auch in
politischer Hinsicht von Nutzen: Gilt doch Militär nicht nur als das "Herz der staatlichen Souveränität"
(Harold Laski, zit. n. Krippendorff 1993: 47), sondern vor allem als "organisierter Ausdruck" von
Gewalt. Unsere politische Kultur ist nicht nur eine patriarchalische, sondern zudem auch eine
"Kriegskultur", die als staatlich formierte Gewaltkultur agiert (vgl. Krippendorff 1993: 46f.).
Transformationen des modernen Krieges der Männer
Es soll nun der Gestaltwandel des Militärischen und Kriegerischen im 20. Jahrhundert4 in seinen
Implikationen für Männlichkeitskonstruktionen skizziert werden.
(1) Militarisierung der Männlichkeit
Die seit 1814 bestehende Wehrpflichtarmee Preußens hatte "militaristische Denkweisen" produziert,
die nicht nur Brauchbarkeit und Verfügbarkeit für den Krieg, sondern auch "Anbindung des absoluten
Gehorsams und der strikten Disziplin an einen loyalitätsbegründenden höheren Wert", nämlich die
Monarchie bzw. den König bezweckten (vgl. Messerschmidt 1995: 19f.). Damit verbunden war das
Konzept eines "sozialen Militarismus" (d.h. Militarisierung vor allem der männlichen Bevölkerung),
das retardierende politische (nämlich antidemokratische, antiparlamentarische) Kräfte freizusetzen
vermochte. Die Wehrpflichtarmee, als "Armee des Königs", hat eine "antirevolutionäre Ideologie
entwickelt, die die 'nur-soldatischen' Loyalitäts- und Disziplin-Begriffe überlagerte" (ebd). Dieser
Funktion, die Soldaten und in der Folge die männlichen Untertanen überhaupt revolutionsfest zu
machen, diente vor allem die Entpolitisierung der Armee, praktisch also die politische Entmündigung
Aufbau, Verwaltung und Arbeitsweise alles in allem als (...) unparteiisch und gerecht empfunden
wurde" (van Creveld 1991, zit. n. Bartov 1995: 55).
4 Die meisten Militärhistoriker beschreiben für die Menschheitsgeschichte vier Formen des Krieges im
Sinne eines historisches Ablaufschemas der Transformation: Sie unterscheiden zwischen dem
"primitiven", dem heroischen oder feudalen, dem zivilisierten oder reglementierten sowie dem
mechanischen Krieg. Gegenwärtig stehen wir beim atomaren oder High-Tech-Krieg (vgl. Mentzos
1993: 143), oder bei sogenannten "neuen Kriegen". Für unseren Themenzusammenhang ist vor allem
der Übergang zum mechanischen Krieg von Interesse, weil damit auch eine Ernüchterung im Hinblick
auf die Heroisierung des Kriegers - gewissermaßen eine Prosaisierung von Männlichkeit- eingeleitet
wurde.
9
der Soldaten. Das Wahlrecht wurde daher so konstruiert, dass es für Wehrpflichtige nicht in Betracht
kam, später wurde es Längerdienenden sogar explizit entzogen5.
Der gezielten entmündigenden politischen Ent-Männlichung der Rekruten folgte später auch eine
stigmatisierend entehrende Ent-Männlichung politisch unliebsamer Kräfte in der Armee. Neben den
äußeren Feinden des deutschen Heeres existierte plötzlich auch ein innerer Feind. Mit zunehmender
politischer Bedeutung der Sozialdemokratie erwuchs allmählich eine neue politische Kategorie im
militärischen Denken, nämlich die Formel von der "Wehrunwürdigkeit" (ebd.: 23).
(2) Ent-Heroisierung kriegerischer Männlichkeit
Ab dem Ersten Weltkrieg ist auf Grund fortschreitender Waffen- und Rüstungsentwicklung eine
Transformation des Krieges beobachtbar; Krieg wurde tendenziell zu technischer Auseinandersetzung
zwischen Geräten und Anlagen. Der Kampf von Mann zu Mann in traditionellen Formen existierte in
der Realität dieses Krieges immer weniger. Damit ist dem Soldaten, der in einen bloßen Maschinisten
der Vernichtung verwandelt wurde, freilich auch die traditionelle Aura des Heroischen abhanden
gekommen. Bemerkenswert ist auch, dass zur gleichen Zeit in regulären Armeen Kriegsneurosen
stark im Zunehmen waren. Kriegsneurotiker wurden freilich als Feiglinge und Simulanten
minderbewertet, sie sollten einfach nicht als Männer gelten dürfen: Eine eigene wissenschaftliche
Disziplin, die Militärpsychiatrie, wurde etabliert, um sie bloßzustellen, zu disziplinieren und für den
Krieg wiedereinsetzbar zu machen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man die deutsche Niederlage den "Mächten der Zersetzung"
zugeschrieben, nämlich Marxisten, Juden, Deserteuren und "Kriegsneurotikern" (vgl. Messerschmidt
1995: 35). In dieser Sicht war der mythische "Frontkämpfer" von "Etappenschweinen",
"Drückebergern", "Minderwertigen" und "Versagern" verraten worden (vgl. ebd.: 34f.). So wurde der
"Minderwertige" zum "politischen Feind". Das Bild des Deserteurs, "Zersetzers" und Verweigerers
wurde entindividualisiert und zu einem "politisch negativ besetzten Typus" herabgewürdigt (vgl. ebd.:
35), weil er Verrat an der männlichen Werte- und Notgemeinschaft des Krieges übte.
5 Also auch in dieser Hinsicht bestand eine strukturelle Analogie zwischen Soldaten und Frauen (vgl.
Erdheim 1982: 343), beide waren in politischer Hinsicht ohne Rechte. Nur Männer konnten, wie zuvor
ausgeführt, im modernen Staat politische Subjekte sein. Wurde nun einigen von ihnen dieser Status
entzogen, so ist dieser politische Vorgang als Ent-Männlichung zu beschreiben, zumal diese Männer
ja dann in den politisch subjektlosen Status von Frauen zurückfielen, ihnen also ihr politische
Männlichkeit genommen wurde.
10
Die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkrieges führte freilich nicht zur Hinterfragung dieses
gescheiterten soldatisch-heroischen Stereotyps der Männlichkeit, vielmehr reformulierte und
verstärkte es sich angesichts der gewandelten Geschlechterverhältnisse, die von der
krisengebeutelten Männlichkeit als besonders bedrohlich erlebt wurden.
(3) Politische Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes
soldatisches Verhalten
Die Deutsche Wehrmacht bietet ein überaus extremes Beispiel von Möglichkeiten politischer
Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes soldatisches Verhalten. Die gesellschaftliche
Tendenz zur Ineinssetzung von Soldatsein und Seinen-Mann-Stehen wurde geradezu extremistisch
realisiert, Wehrhaftigkeit wurde wieder auf ihren maskulinen Punkt gebracht.
Die Nationalsozialisten übten sich dabei in "geschickter Verknüpfung" deutsch-preußischer
militärischer Traditionen mit neuen Methoden der Armee- und Kriegsführung (vgl. ebd.: 32). Die
Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde durch flankierende Maßnahmen gegen
potentielle "Unruheherde" in der Armee abgesichert. Kriegsgegner und "zersetzende Elemente"
sollten von vornherein isoliert und ausgesondert werden (vgl. ebd.: 67). Nach Ausschaltung aller
Gegenkräfte sollte aus Deutschland eine militarisierte "Volksgemeinschaft" mit männerbündischen
Basisstrukturen werden. Wer diese vorgeblich konsensuale "Front der Gemeinschaft" gefährdete,
wurde zum "Gemeinschaftsschädling" erklärt. Militärische Vergehen waren leicht und gut als Angriffe
auf den männlichen Wertekatolog soldatischer Pflichten zu deuten: "Gefährdung der Manneszucht"
galt daher als ein - von Militärjustiz und ihr willfährig zur Seite stehender Militärpsychiatrie (vgl.
Klausch 1995: 69) häufig geahndeter - Fehltritt gegen die ideologischen Werte der deutschen "Volksund
Wehrgemeinschaft" (vgl. Messerschmidt 1995: 34).
Von der männlichen Post-Vietnam-Krise zum High-Tech-Golfkrieg:
ein geschlechtlicher Paradigmenwandel?
Als die USA den Krieg in Vietnam führte, war die US Army noch eine Wehrpflichtarmee von
ausschließlich Männern. Unterfüttert war dieses System von hochprofessionalisierten Militärs.
Das Besondere dieses Krieges war wohl das Aufeinandertreffen einer für damalige Verhältnisse
schon hochgerüsteten und subtil spezialisierten regulären Armee einer Weltmacht mit einer nach sehr
11
einfachen, aber durchaus effizienten technischen wie sozialen Technologien operierenden irregulären
Guerilla-Armee einer Dritte-Welt-Region.
Im Falle der USA war die Öffentlichkeit, was die Legitimität des Krieges anlangte, seit 1967/68
extrem gespalten: Die politische und die zivile Gesellschaft der USA lagen offen in Widerstreit.
Ihr kriegerisches "Gegenüber" agierte dagegen auf der Basis eines in der Bevölkerung weitgehend als
legitim wahrgenommenen und dementsprechend unterstützten Befreiungskrieges.
Während im vietnamesischen Dschungel zwangsrekrutierte amerikanische Männer also den Krieg
mehr oder weniger hautnah erlebten, leisteten in den USA beträchtliche Teile der (vor allem auch
weiblichen) Zivilgesellschaft Widerstand gegen diesen Krieg. Die Anti-Vietnamkriegsbewegung war
eine auch sichtbar weibliche Bewegung. Das Ende dieses Krieges wurde daher als militärische wie
zivile Niederlage erfahren. Im Gefolge des – vor allem von US-amerikanischen Männern als
traumatisch erlebten Endes des - Vietnam-Krieges machte sich - gewissermaßen als Rehabilitation
angeschlagener Männlichkeit - eine Re-Maskulinisierung Amerikas breit, die auch mit der Metapher
von der "Ramboisierung" ziviler Gesellschaft belegt wurde.
Über die massenmediale Kunstfigur Rambos als Supermännlichkeit vermochte sich Militarismus –
trotz dezidierten Endes des Krieges – effektiv, nachhaltig und sogar weltweit auszubreiten (vgl. Enloe
1988: 72). Vor allem aber US-amerikanische Männer sollten lernen, wie sie die "Demütigung" durch
die Niederlage an der Front und daheim sowie den Verrat der politischen Eliten "da oben" ertragen
können. Wieder erstarkte Männlichkeit schien dazu probates Mittel. Rambo versinnbildlicht
individuelles militärisches Abenteurertum, er ist einsamer Rebell, der in der zivilen, sich mittlerweile
auch verstärkt weiblich gebenden Welt einen Krieg weiterführt, den seine Vorgesetzten längst
beendet haben. Rambo verkörpert die verletzte Post-Vietnam-Männlichkeit, die es damals
schleunigst zu revitalisieren galt. Die Ehre der verletzten Nation lässt sich vermeintlich nur über
Militärisches, mithin: wiederaufgerichteter Männlichkeit, wiederherstellen.
Militarisierte Männlichkeit erschien hier vornehmlich noch als Phänomen und Problem niederrangiger
Kombattanten. Allerdings bedürfen moderne, hoch spezialisierte und professionalisierte
Militärsysteme einer viel breiteren Palette von Männlichkeitskonstruktionen. Dieser Prozess sozialer
und kultureller Ausdifferenzierung von Männlichkeitsbildern in Armeen geht einher mit
voranschreitender Professionalisierung ihrer Organisationsstrukturen.
Als die USA den zweitenKrieg am Golf führte, war die US Army bereits eine Berufsarmee, an der
auch Frauen – wenngleich noch marginal an Zahl und Einfluss - beteiligt sind. Kriegführung erschien
12
nicht mehr nur männlich inszeniert. Der Golf-Krieg führte aber nicht nur aktive weibliche Kriegführung
vor Augen, sondern leitete auch die Ära des "elektronischen Kriegs neuen Typs" ein.
Anfang der neunziger Jahre hatten viele den Golf-Krieg noch für einen "untypischen" Krieg gehalten
(vgl. Albrecht 1991: 136). Allerdings wurden in jenen Tagen schon die aktuellen Kriegskonzepte
antizipiert: "Save lives", und zwar eigene Leben, "but do not spare bombs", hieß es damals. Im
Videokrieg wurde suggeriert, dass mit neuen elektronischen Präzisionswaffen eine Einhegung des
Krieges gelinge, die zu weniger Opfern und Zerstörungen führe. Das Bild vom "unblutigen
Druckknopfkrieg" wurde generiert, der militärische Auseinandersetzungen per Luftkrieg mit genau
gezielten Schlägen führe, ehe es mit einem Minimalaufwand an Bodenkämpfen zur Entscheidung
komme (vgl. ebd.: 139).
Der Krieg im Kosovo als Arena von Männlichkeiten: zur aktuellen
Relevanz der Dekodierung von Geschlechtlichkeit des Krieges
In technischem Sinne hatte also eigentlich schon der Golf-Krieg 1991 als Versuchslabor für den
Kosovo-Krieg gewirkt. Anthony Giddens hat den Kosovo-Krieg als "Krieg neuen Typs" charakterisiert:
Neu erschien er ihm keineswegs nur wegen der militärtechnischen Revolution durch
Satellitentechnologie und neue Waffensysteme, neu an ihm war auch, dass er, wie Giddens meint,
angeblich zentrale Elemente der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts antizipiert hat.
Selbst das Geschlecht des Krieges ist nicht mehr so einfach festzustellen: Die meisten Debatten über
den Krieg im Kosovo wiesen der geschlechtlichen Inszenierung keine besondere Bedeutung zu. Im
Kosovo-Krieg wurden Vergewaltigungen von Frauen zwar stärker thematisiert als in anderen Kriegen,
aber auch hier wurden sie rasch wieder zum Anathema, weil sie als für jeden Krieg typisch gelten.
Dieser taktlose Modus der Banalisierung entkriminalisiert Gewalt an Frauen, legitimiert sie als
kriegsrechtgemäßes Handeln und integriert sie bagatellisierend als "Kavaliersdelikt" in männliche
Erlebniswelten. In ihr realisiert sich also zugleich der "Beweis" eigener Männlichkeit wie auch
absichtsvolle Verwundung gegnerischer Männlichkeit.
Männlichkeiten werden, so meine anfängliche Grundthese, politisch-diskursiv hergestellt. Auch Kriege
haben "diskursive" Bedeutung. Mehr als je zuvor signieren heute diverse, multiple, asynchron
geschichtete Männlichkeiten Geschlechterregime.
13
Der Krieg im Kosovo inszenierte sich auch als ein Krieg von Männlichkeiten. Die
Männlichkeitskonstruktionen haben Traditionalismen eingekapselt, zur selben Zeit spiegeln sie auch
verschiedene Grade an Modernisierung: So stand im Kosovo-Krieg die modernisiert-archaische
Männlichkeit der Serben in Konfrontation mit der archaischen Männlichkeit der kosovarischen Albaner
und über beiden Kontrahenten schwebte drohend und aggressiv die technologisch hochgerüstete
postmoderne Cyber- und Super-Männlichkeit der NATO. Den unmittelbaren Kriegshandlungen
zuvorgegangen war ein "maskierter", weil zunächst völkerrechtlich gebändigter oder vielleicht sich
auch nur verstellender, jedenfalls aber "noblerer" kriegerischer Gestus der Männlichkeit europäischer
und US-amerikanischer Diplomatie.
Diese recht grob geschnittene Typologie, der auch eine Hierarchie von Wertsetzungen unterliegt,
ließe sich noch weiter auffächern: in die in der NATO-Öffentlichkeit als ungebärdig imaginierte
serbische Soldateska und ihren gnadenlosen Führer (Milosevic), der die Kosovaren und die
"westliche Welt" in Geiselhaft hielt, in die "heroische" Entschlossenheit der wilden Männlichkeit der
UCK und in das "Unheroische" des Präsidenten eines machtlosen Schattenstaates (Rugova), in die
"sauber" bleibenden virtuellen Krieger, denen wesentlich rauere Männerhorden, genannt
Bodentruppen, folgen hätten sollen, um das schmutzige Geschäft dieses Krieges zu einem Ende zu
bringen6.
Madeleine Albright als erste weibliche US-Außenministerin, allemal Ton angebend im schrillen
Kriegsgeschehen auf dem Balkan, unterstreicht die Einsicht, dass Männlichkeitskonstruktionen in
gesellschaftlichen Diskursen erzeugt, in sozialen Praktiken generiert und verdichtet werden und daher
nicht unbedingt auf "biologisches" Geschlecht als Fundus angewiesen sind. Auch Krieg ist eine -
wenngleich besonders hohe humane Kosten einfordernde - Form politischen "Diskurses" und sozialer
"Praxis". Er ist ebenso Folge patriarchalen Geschlechterarrangements wie er auch an dessen
Nachjustierung und Kontinuität beteiligt ist.
Gut zu belegen ist dies auch an einer im Grunde höchst nebensächlichen Episode des Irak-Krieges,
die vom Pentagon nicht nur "frisiert" und medial "aufgeblasen", sondern auch spezifisch
"vergeschlechtlicht" wurde: das "dramatische" Narrativ von Jessica Lynch, der ersten US-Soldatin,
die im Irakkrieg zunächst "gefallen" ist, dann aber auf wundersame Weise aus der Hand der "bösen"
Iraker "befreit" wurde (Rötzer 2003).
6 In vielen Zeitungen vom Juni 1999 wurde diese in ihren Startlöchern scharrende militärische
Männlichkeit freilich getarnt, indem etwa Bilder britischer weiblicher Leutnants gezeigt wurden, die
allem Anschein nach auf "ihren" Einsatz nur "warteten" (z.B. in der österreichischen Tageszeitung
Kurier, 8.6.1999).
14
Der Pentagon agierte dabei ganz im Stil orientalischer Märchenerzähler, denen die Phantasie
durchgeht: Jessica Lynch, jung und hübsch, Mitglied einer Wartungseinheit wurde verletzt und
gefangen genommen. "Noch am Boden mit Wunden und einem gebrochenen Bein hatte sie sich
'heldenhaft' gewehrt und auf die Gegner geschossen", berichtete man. Sie wurde in ein Krankenhaus
gebracht, wo sie von "mehr als 40 mörderischen Killern" bewacht wurde. Vorsorglich wurde die Aktion
zu Lynchs Rettung mit einer Nachtsichtkamera aufgezeichnet, um die Story medial wirksam
verbreiten zu können.
Später wurde freilich eine "entheroisierte" Version der Geschichte kolportiert: Das Krankenhaus war
bereits verlassen, als die Spezialeinheiten eindrangen (Washington Post). Ärzte erzählten, dass es
keinerlei Widerstand bei der "heroischen Befreiungsaktion" gegeben habe.
Das wirklich Heroische leistete aber Jessica Lynch, indem sie alle Heroisierungen und Ehrungen nicht
nur zurückwies, sondern auch die offiziellen Darstellungen als Fälschungen denunzierte.
Literatur:
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Reinbek bei Hamburg.
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15
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Seifert, Ruth (1996), Militär – Kultur- Identität. Individualisierung, geschlechterverhältnisse und die soziale
Konstruktion des Soldaten, Bremen.
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Weber, Max (1972/1922), Wirtschaft und Gesellschaft, Frankfurt/M.
Links:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3251731.stm
www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,956255,00.html
www.nydailynews.com/front/Story/134264p-119598c.htm
www.fortwayne.com/mld/fortwayne/news/nation/7201846.htm
www.defenselink.mil/news/Jul2003/n072220033_200307226.html
www.jessica-lynch.com
Eva Kreisky (Vortrag Wien, 09.12.2003)
FRAGMENTE ZUM VERSTÄNDNIS DES GESCHLECHTS DES
KRIEGES
"Jeder Mann, der die mächtige Lust zur Schlacht in sich hat,
fühlt sie, wenn sich der Wolf in seinem Herzen erhebt"
(Thomas Jefferson)
Auch wenn man nicht den im Alltagsdenken mit Vorliebe "wesenhaft" aufgefüllten Bildern vom
kriegerischen Mann und der friedfertigen Frau folgt, bedeutet Thematisierung von Krieg und
Geschlecht zunächst einmal dennoch, den engen Konnex von Krieg und Männlichkeit auszuleuchten.
Dies kann aber nicht heißen, die "männliche Nähe zum Militärischen" mit einer "biologisch"
hergeleiteten größeren Aggressivität von Männern zu erklären (Seifert 1996: 79). Eine Fokussierung
auf Männer und Männlichkeit scheint aber trotzdem unverzichtbar, stehen doch männliche Akteure
empirisch häufiger und offenkundiger im Zentrum jedweden aktiven Kriegsgeschehens.
Allerdings werden in einer solchen Sicht männliche Vergeschlechtlichungen des Krieges als Produkt
sozialer und kultureller Konstruktion erkannt (vgl. ebd.: 87): Militär und Krieg strukturieren
Männlichkeit ebenso, wie Männlichkeitskonstruktionen Kriegsrealitäten und Kriegsverläufe zu lenken
vermögen.
Militärische Subjektbildung betraf seit der frühen Neuzeit "so gut wie ausschließlich Männer". Frauen
waren nie im selben Ausmaß militärischer Disziplinierung unterworfen (vgl. ebd.: 78). Ab einer
bestimmten militärtechnologischen Entwicklungsstufe wurden sie vom "Kriegshandwerk"
ausgeschlossen, blieben zugleich aber in weiblich-spezifischen, nunmehr jedoch einkommenslosen
Funktionen, in Kriegsgeschehen eingeschlossen. Die historische Transformation der Kriege von
Söldner- und Fürstenkriegen zu Volks- und Massenkriegen hat Frauen nicht nur wieder inkludiert,
sondern ihnen zudem spezielle Rollen, als Mütter und Ehegattinnen von Soldaten, sowie eigene Orte,
wie die "Heimatfront" oder das Krankenrevier, zugewiesen.
Von relevanten politischen Entscheidungszentren über Krieg und Frieden in nationalstaatlichen
Arkanbereichen von Regierung und Verwaltung wie auch in supranationalen Decision-Tanks, wie der
NATO oder der OSZE, sind Frauen allerdings auch heute noch von maßgeblichen Toppositionen
exkludiert. Es sind Sonderfälle der sozialen Gruppe Frauen, die in solche Entscheidungsspitzen
2
vorzudringen vermögen und die es daher zu bedenken gilt: Golda Meir und ihre politische
Entscheidungsnähe zum Sechstagekrieg 1967 und den militärischen Folgeproblemen, Maggie
Thatcher und ihre schon wesentlich direktere Entscheidungsnähe zum Falkland-Krieg 1982,
Madeleine Albright und ihre aktive Involviertheit in die Entscheidungskonfiguration rund um den
Kosovo-Krieg 1999, Condolezza Rice als National Security Adviser von George W. Bush Jr..
Weltweit gab es zudem bislang auch nur wenige Anomalien des Politischen, in denen Frauen als
Verteidigungsministerinnen zumindest für kurze Zeit Einfluss auf die militärische Entwicklung ihrer
Länder nahmen: Finnland, Kanada und Polen. Ihr episodischer Wert ist wohl evident.
Die sicherheitspolitische Architektur Europas und der Welt sowie ihre militärischen Fundierungen
unterliegen also einer seltsam männlichen Hegemonie: Es sind Männer und ihre soziale Kultur,
konkret: ihre maskulinen Ideologisierungen und Wertvorstellungen, die militärpolitisches Geschehen
wesentlich steuern. Diese These soll im Folgenden plausibel gemacht werden.
Momente einer Geschlechtergeschichte des neuzeitlichen Krieges
(1) Frauenausschluss durch "militärische Revolution"
Zu Beginn der achtziger Jahre hat der US-amerikanische Historiker Barton C. Hacker darauf
aufmerksam gemacht, dass die Inklusion von Frauen in Militär und Kriegführung keinesfalls erst ein
Ereignis der Moderne sei (vgl. Hacker 1981, 1988). Traditionell hatten Frauen vitale Bedeutung für
die Versorgung der Söldnerheere. Ohne ihre Reproduktionsarbeit ("Haus- und Kinderarbeit") wären
frühneuzeitliche Heere gar nicht funktionsfähig gewesen. Dadurch aber offerierten sie Frauen
außerhäusliche Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, so dass diese auch aus hochgradig patriarchalen
Lebenskontexten auszubrechen vermochten. Ob dies freilich ein minder patriarchaler
Lebenszusammenhang war, in den sie eintraten, sei dahingestellt. Aber immerhin gab es für Frauen
neben dem Klosterleben nunmehr eine weitere Option für eine materiell relativ gesicherte Existenz
außerhalb des beengten patriarchalen Hausverbandes.
Die "militärische Revolution" im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert, konkret die epochale
Innovation durch Feuerwaffensysteme, hat eine veränderte militärische Arbeitsteilung zur Folge.
Diese neuen Waffen hatten nämlich eine radikale Reform militärischer Taktik ausgelöst: strikte
hierarchische Organisation und straffe militärische Disziplin waren nunmehr unabdingbar (vgl.
Bröckling 1997: 31). Bis dahin waren militärisches und ziviles Leben voneinander nicht abgeschottet.
3
Hacker beschreibt Söldnerarmeen des 16. und 17. Jahrhunderts als "mobile Städte" mit einer
ausdifferenzierten Geschäfts- und Dienstleistungsinfrastruktur, eigenem Sozialleben und vor allem:
mitziehenden Familien. Die Zahl der Frauen und Kinder im Tross war nicht wesentlich kleiner als die
Zahl der Männer (vgl. Hacker 1981).
Individuelle Kampffähigkeit wie kollektive Wehrkraft waren bis in das frühe 19. Jahrhundert auf
weibliche Reproduktionsarbeit geradezu fundamental angewiesen. Erst im Zuge technologischer und
organisatorischer Modernisierung der Armeen sollten Frauen sukzessive ausgeschlossen werden: Die
Einführung stehender Heere und ihre wachsende Professionalisierung wirkten sich einschneidend auf
soziale und politische Organisationsweisen von Geschlechterverhältnissen innerhalb wie außerhalb
des Militärs aus.
Als "reguläre" Armeen allmählich zu Instrumenten nationalstaatlicher Machtpolitik wurden,
monopolisierte die Militärführung die Kontrolle auch über die Versorgung ihrer Truppen, um Soldaten
disziplinieren zu können sowie die Kriegführung durch Reduktion des Trosses zu effektivieren.
Staatliche Regulation (durch Heiratsverbot etwa) suchte nunmehr, das bisherige Gemenge aus
militärischer und ziviler Welt zu entwirren und weitere Mischung der Lebenswelten einzudämmen.
Allerdings zeigen historische Analysen auch, dass sich Militär und zivile Gesellschaft in den
Garnisonstädten bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht trennen ließen. Die Kasernen waren nicht von
Anfang an "Orte der separierten Männlichkeit" (Sabina Loriga, zit. n. Hagemann 1999: 14f.), sondern
dienten ursprünglich primär der Unterbringung von Soldatenfamilien, um dadurch der Bevölkerung
der Garnisonstädte die Lasten der Einquartierung zu ersparen.
Gleichzeitig aber haben Militärdienst und Kasernenleben auch eine "Demoralisierung" der Männer
bewirkt, was sie in Kombination mit ihrer ökonomischen Schwäche daran hinderte, stete und stabile
Familienbeziehungen einzugehen. Zumindest wurden sie von der Wohnbevölkerung der
Garnisonstädte so wahrgenommen (Peter K. Taylor, zit. n. ebd.: 15f.).
(2) Allgemeine Wehrpflicht und Männlichkeit
In der Genese des neuzeitlichen Staates hatte Waffenfähigkeit politische Subjektfähigkeit begründet.
Wer Dienst an der Waffe leistete, war anerkannter Teil der politischen Gemeinschaft. Mit der
militärisch-politischen Inklusion der Männer war aber gleichzeitig politische Exklusion von Frauen
fixiert worden.
4
Moderne Nationalstaatsbildung und Wehrpflichtarmeen waren markante politische Innovationen des
19. Jahrhunderts. Erstmalig wurden in Preußen breitere Männermilieus, einschließlich von Bildungsund
Besitzbürgern, für den Militärdienst "rekrutiert". Die norm- und verhaltensprägende Tragweite
militärischer Disziplinierung wurde daher immer evidenter (vgl. Bröckling 1997: 113ff.).
Damals wurde freilich auch Idealisierung männlicher Waffenfähigkeit politisch unumgänglich: Bis
dahin war Militärdienst in der Bevölkerung als etwas betrachtet worden, das familiäre Ökonomien und
Arbeitszusammenhänge bloß störte, wurden ihnen doch wichtige Arbeitskräfte entzogen. Also musste
Militärdienst politisch aufgewertet und "unkriegerischer Habitus der Zivilisten" dementsprechend
abgewertet werden (vgl. Frevert 1996: 81).
Die Wehrpflicht der Männer leitete eine neue Phase "männlicher Vergemeinschaftung" ein: Das
Militär vermittelte sich als Institution, der Männer nur angehörten, weil sie Männer waren.
Unterschiede zwischen Männern schienen im Medium Militär obsolet zu werden, nicht so aber
Unterschiede zu Frauen, diese wurden nun erst politikentscheidend. Das Militär konstituierte sich als
"frauenfreier" Raum.
Im "Männerhaus" Militär fand - für alle öffentlich sichtbar - die Initiation zum Mann statt. Zudem löste
das Militär Männer aus ihren privaten, nämlich familiären und sozialen Beziehungen und integrierte
sie in ein "neues, vollkommen abstraktes Referenzsystem" (ebd.: 82): Vaterland, Nation und Staat
bildeten nun wesentliche Bezugspunkte junger Männer. Das Militär machte also den Rekruten nicht
nur zum Mann, sondern vor allem auch zum Staatsbürger (vgl. ebd.: 83). Der nationalistische
Zeitgeist ließ einen "patriotisch-wehrhaften" Männlichkeitsentwurf entstehen. Politische und
militärische Fähigkeiten wurden kongruent, was Frauen ins politische Abseits drängte. Sie wurden
von der keimenden "Staatsbürgergesellschaft" ignoriert. Die "Nation in Waffen" wurde als männlicher
Raum konstruiert (vgl. Hagemann 1999: 18).
Sobald freilich Kriege als "Nationalkriege", nämlich auf Basis breitester männlicher Mobilisierung,
geführt wurden, verschärften sich auch "diskursiv konstruierte" Geschlechterdifferenzen und -
hierarchien. Zugleich erweiterte sich in Kriegsperioden paradoxerweise aber auch der "öffentliche
Handlungsspielraum" von Frauen (vgl. ebd.). Darin liegt freilich auch eine Gefährdung des
patriarchalen Geschlechterregimes: Wenn Frauen diese durch den Krieg eröffneten
Handlungschancen allzu bereitwillig aufgreifen und für eigene Interessen zu nutzen versuchen, wird
mit Ende solcher Kriege die alte Geschlechterordnung rekonstituiert, um Frauen neuerlich auf ihr
vermeintliches "Wesen" einzuschränken. Fast immer ist im Gefolge von Kriegen, ob von
Staatskriegen oder von "asymmetrischen Kriegen" (Münkler 2002) eine Re-Maskulinierung
gesellschaftlicher Verhältnisse konstatierbar (Jeffords 1989).
5
Das nationalsozialistische Regime perfektionierte schließlich dieses politisierte Modell des Mannes,
der als Soldat und Staatsbürger Nation und Volksgemeinschaft nicht nur zuverlässig ergeben sein
sollte, sondern sie letztlich auch verkörperte. Biologischer und politischer Körper des Mannes wurden
also in eins gesetzt.
Der Körper Militär: eine politische Synthese aus Männerkörpern
Politik und Krieg stehen zueinander in interdependentem Verhältnis: Meistens wird Krieg als
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gedeutet (vgl. Clausewitz 1980). In einer weitergehenden
Fragestellung wäre zudem auch nach dem "Kriegerischen in der Politik" (Krippendorff 1993: 60) zu
fragen. Das Politische beginnt zu verschwinden, der Krieg wird permanent (Virilio 1984: 25).
In jedem Falle geht es auch um Formen der Institutionalisierung von Männlichkeit und damit um
Machtressourcen der Männlichkeit. Beschäftigung mit der "Institution Militär" setzt jedenfalls die
Befassung mit dem "Mann in Uniform" voraus (vgl. ebd.: 51), was bedeutet, dass das Militär letztlich
als politischer Körper zu begreifen ist, der sich aus Männerkörpern zusammensetzt (so auch Morgan
1994: 167).
Am Militär wird die politische Symbiose aus Gewalt und Männlichkeit am offensichtlichsten (vgl.
Krippendorff 1993: 48f.; Morgan 1994: 179). Im regulären Soldaten begegnet uns politisch legitimierte
männliche Gewalt. Der Soldat erscheint geradezu als Inbegriff von Männlichkeit (vgl. Morgan 1994:
165), er fungiert als idealtypischer Symbolträger für das soziale und politische Konstrukt Männlichkeit.
Politische Männerbundtheorien haben daher niemals nur Staat und Männerbund, sondern immer
auch Militär und Männerbund in eins gesetzt (vgl. Kreisky 1992). Die Imagination des Mannes in
Männerbundtheorien beinhaltet immer den männlichen, soldatischen und heroischen Mann.
Nichtwaffenfähige oder Nichtwaffentragende wurden stets als "Weiber" minderbewertet (nachzulesen
bei Max Weber 1972: 616).
Etymologisch stehen "taugen" und "tauglich" mit germanischen Wortbildungen im Zusammenhang
wie Tüchtigkeit, Tapferkeit, Kraft, Gewalt, Vortrefflichkeit und Tugend. Ein "Tugendbold" war früher
eigentlich ein Raufbold. Erst unter dem Einfluss des Christentums wurde das Wort Tugend "sittlich"
aufgeladen und zum Gegenbegriff des "Lasters" (vgl. Duden, Bd.7, 1989).
6
Auch heute werden Wehruntaugliche, Wehrdienstverweigerer oder Zivildiener im Alltagsverständnis
immer noch tendenziell abgewertet, sie werden als "nichttugendhafte" - weil eben unmännliche -
Männer betrachtet. Und alles, was nicht (oder noch nicht) männlich ist, gilt in westlich-europäischen
Gesellschaften bekanntlich ohnehin als entweder weiblich oder eben infantil. Der Grat der
Männlichkeit ist äußerst schmal, Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden daher in der
Regel entweder mit sozialer Ent-Männlichung (d.h. soziales Stigmatisieren von Verhalten, Fähigkeiten
oder Erscheinungsbildern als unmännlich) oder mit politischer Ent-Männlichung (d.h. politisches
Vorenthalten formeller Rechte, die Männern qua Männlichkeit zustehen1) geahndet.
Im Gefolge der Französischen Revolution war Krieg zu einer "Sache des Volkes" mutiert (vgl.
Clausewitz 1980: 655), er wurde gewissermaßen "demokratisiert". Auf Grundlage von Wehrpflicht
rekrutierte junge Männer mussten nun massenhaft in Militärstrukturen eingebunden und konnten
gleichzeitig auch als Männer standardisiert werden.
Es ist offensichtlich, dass Militär nicht bloß irgendeine männliche Institution unter vielen anderen ist,
sondern vielmehr die grundlegende Schule der (männlichen) Nation und damit de facto die Schule der
Nation (zum Mann) darstellt. Das Militär gilt im sozialpsychologischen Sinne daher auch als
"Illusionsmaschine", die federführend "das Konstrukt der Männlichkeit produziert": Hier wird - ähnlich
wie in Männerhäusern früherer oder anderer Kulturen (oder wie heute etwa am Fußballplatz) - auch
das Geheimnis gepflegt, wodurch der Mann zum Mann wird (vgl. Erdheim 1982: 336).
Als zentraler Motor dieser militärischen "Illusionsmaschine" figuriert Drill. Entstanden im Zuge der
militärischen Revolution des 18. Jahrhunderts, bewirkte er nämlich, dass Massen von Männern in
Bewegung gesetzt werden konnten, ohne dass sie über das Warum dieser Bewegung informiert
waren. Die Kampfziele "bleiben dem Militär äußerlich und können deshalb auch beliebig
ausgewechselt werden" (ebd.: 338). Dem Anschein nach zunächst erhabene idealistische Ziele (wie
etwa Kaiser oder Vaterland) wurden mit der Zeit von trivialer Männlichkeit als eigentlicher und
vordringlicher Kampfmotivation überlagert. Zum Überleben der Männer wurde Kameradschaft, mit
anderen Worten: männliche Solidarität, prioritär und verselbständigte sich gegenüber anderen
politischen Zielwerten. Krieg und Militär wurden zu neuen sozialen Orten, an denen besondere
Formen männlicher Vergemeinschaftung erlebt werden konnten, die Männer vom banalen familiären
Alltag in eine ausschließliche Männerwelt vermeintlichen Abenteuers abheben ließen2.
(Schützengräbengemeinschaft als Vorbild für ideale Politik- und Staatsform)
1 Mit dem Eintreten in die preußische Wehrpflichtarmee wurde den Männern das Wahlrecht
genommen.
2 Ich teile nicht die Sicht von Stavros Mentzos, der Kameradschaft als Niederschlag "zunehmender
Demokratisierung der Gesellschaft" auch in der Sphäre von Krieg und Militär deutet (vgl. Mentzos
1993: 188) Eine solche Bewertung erfolgt, weil "Kameraden" im Vergleich zu "Vorgesetzten" gleicher
7
Es ist aber nicht bloß "äußerer Zwang", sondern es sind auch "libidinöse Strukturen", die Armeen
zusammenzuhalten vermögen (vgl. Freud 1974: 88). Jeder einzelne ist einerseits an den
Vorgesetzten und andererseits an die anderen Soldaten gebunden. Identifizierung mit dem führenden
Vorgesetzten lässt die bewusste Einzelpersönlichkeit schwinden, richtet Gedanken und Gefühle aus,
lässt Affektivität und Unbewusstes vorherrschen. Der Männerbund Militär reproduziert sich über
Initiationsriten, die Männer äußerst ungleiche Ordnung hinnehmen lassen. Neue Rekruten werden in
die Welt der älteren Männer eingeführt, in der Oben und Unten längst ausverhandelt und festgelegt
ist. Es gilt, selbstlose Unterordnung und Unterwerfung unter die Herrschaft der alten Männer
("Hierarchie") zu üben.
Der Rekrut muss hinter Kasernenmauern die für unsere Gesellschaft übliche Frauenrolle erlernen.
Für alles, wofür im zivilen Leben Frauen zuständig gemacht werden (z.B. Aufräumen, Putzen,
Kochen), werden im militärischen Leben junge Männer in die Pflicht genommen: "Nur ein Mann,
welcher derart als Frau behandelt wurde, wird sich dem weiblichen Geschlecht gegenüber so
verhalten können, wie es bei uns üblich ist" (vgl. Erdheim 1982: 343). Der militärische Initiationsritus
lässt also in die Welt "wahrer" Männlichkeit eintreten.
Die Kohäsion des Heeres in Form besonderer Bindung und Loyalität zur jeweiligen Einheit
(Korpsgeist) war in Deutschland traditionell über Rekrutierung nach Regionen oder Wehrkreisen
hergestellt worden (vgl. Bartov 1995: 52f.). Der Soldat sollte in seiner Einheit "eine Art Heimat"
entdecken, in die er immer wieder zurückkehren konnte. Die Einheit war eine "soziale Gruppe von
Männern", die also der Soldat "kannte und denen er vertraute" (ebd.: 53). Deutsche Offiziere sollten
ihre Männer nicht nur ins Gefecht führen, sondern ihnen auch das Gefühl geben, "Teil einer Familie
zu sein, wenn auch einer sehr hierarchisch geordneten und disziplinierten". Nicht selten sprachen
Offiziere ihre Männer auch als "Kinder" an (ebd.)3.
erscheinen. Aber genau das macht auch die männerbündisch-ideologische Unterfütterung des
männlichen Militärkörpers aus. Zudem war es gerade diese aus den Schützengräben des Ersten
Weltkrieges stammende Kameradschaftsmentalität, die die antidemokratischen Bataillone gegen die
Weimarer Republik entscheidend stärkte. War sie doch getragen vom politischen Wunsch, eine
ideale staatliche Gemeinschaft nach dem Vorbild männlicher Kriegsgemeinschaft zu formen als
Gegenmodell zur weiblich konnotierten Weimarer Republik (vgl. Theweleit 1987; Breuer 1993). An
diesem Beispiel wird nachvollziehbar, was passiert, wenn die grundsätzlich geschlechtliche
Konnotation des Kameradschaftsbegriffes dethematisiert und die politischen Intentionen und Inhalte
männlicher Vergemeinschaftung wegeskamotiert werden.
3 Von manchen Historikern wird daher der Zusammenhalt in der Deutschen Wehrmacht nicht
vorrangig auf "abstrakte Ideen" zurückgeführt, sondern stärker auf die "konkrete und klar
bestimmbare soziale Ordnung", die für enge persönliche Beziehungen zwischen den Soldaten in
einem Gefüge von "Primärgruppen" sorgte (vgl. Shils/Janowitz 1948, zit. n. Bartov 1995: 54).
Zahlreiche deutsche Soldaten kämpften "nicht aus dem Glauben an die Nazi-Ideologie heraus",
sondern weil sie sich als Mitglieder "einer geschlossenen, gut geführten Gruppe" fühlten, "deren
8
Alles in allem wird jungen Männern im Militär subkutan der komplexe Standpunkt vermittelt, von dem
aus Männer die Welt zu sehen haben (vgl. auch Seifert 1992). Und das ist schließlich auch in
politischer Hinsicht von Nutzen: Gilt doch Militär nicht nur als das "Herz der staatlichen Souveränität"
(Harold Laski, zit. n. Krippendorff 1993: 47), sondern vor allem als "organisierter Ausdruck" von
Gewalt. Unsere politische Kultur ist nicht nur eine patriarchalische, sondern zudem auch eine
"Kriegskultur", die als staatlich formierte Gewaltkultur agiert (vgl. Krippendorff 1993: 46f.).
Transformationen des modernen Krieges der Männer
Es soll nun der Gestaltwandel des Militärischen und Kriegerischen im 20. Jahrhundert4 in seinen
Implikationen für Männlichkeitskonstruktionen skizziert werden.
(1) Militarisierung der Männlichkeit
Die seit 1814 bestehende Wehrpflichtarmee Preußens hatte "militaristische Denkweisen" produziert,
die nicht nur Brauchbarkeit und Verfügbarkeit für den Krieg, sondern auch "Anbindung des absoluten
Gehorsams und der strikten Disziplin an einen loyalitätsbegründenden höheren Wert", nämlich die
Monarchie bzw. den König bezweckten (vgl. Messerschmidt 1995: 19f.). Damit verbunden war das
Konzept eines "sozialen Militarismus" (d.h. Militarisierung vor allem der männlichen Bevölkerung),
das retardierende politische (nämlich antidemokratische, antiparlamentarische) Kräfte freizusetzen
vermochte. Die Wehrpflichtarmee, als "Armee des Königs", hat eine "antirevolutionäre Ideologie
entwickelt, die die 'nur-soldatischen' Loyalitäts- und Disziplin-Begriffe überlagerte" (ebd). Dieser
Funktion, die Soldaten und in der Folge die männlichen Untertanen überhaupt revolutionsfest zu
machen, diente vor allem die Entpolitisierung der Armee, praktisch also die politische Entmündigung
Aufbau, Verwaltung und Arbeitsweise alles in allem als (...) unparteiisch und gerecht empfunden
wurde" (van Creveld 1991, zit. n. Bartov 1995: 55).
4 Die meisten Militärhistoriker beschreiben für die Menschheitsgeschichte vier Formen des Krieges im
Sinne eines historisches Ablaufschemas der Transformation: Sie unterscheiden zwischen dem
"primitiven", dem heroischen oder feudalen, dem zivilisierten oder reglementierten sowie dem
mechanischen Krieg. Gegenwärtig stehen wir beim atomaren oder High-Tech-Krieg (vgl. Mentzos
1993: 143), oder bei sogenannten "neuen Kriegen". Für unseren Themenzusammenhang ist vor allem
der Übergang zum mechanischen Krieg von Interesse, weil damit auch eine Ernüchterung im Hinblick
auf die Heroisierung des Kriegers - gewissermaßen eine Prosaisierung von Männlichkeit- eingeleitet
wurde.
9
der Soldaten. Das Wahlrecht wurde daher so konstruiert, dass es für Wehrpflichtige nicht in Betracht
kam, später wurde es Längerdienenden sogar explizit entzogen5.
Der gezielten entmündigenden politischen Ent-Männlichung der Rekruten folgte später auch eine
stigmatisierend entehrende Ent-Männlichung politisch unliebsamer Kräfte in der Armee. Neben den
äußeren Feinden des deutschen Heeres existierte plötzlich auch ein innerer Feind. Mit zunehmender
politischer Bedeutung der Sozialdemokratie erwuchs allmählich eine neue politische Kategorie im
militärischen Denken, nämlich die Formel von der "Wehrunwürdigkeit" (ebd.: 23).
(2) Ent-Heroisierung kriegerischer Männlichkeit
Ab dem Ersten Weltkrieg ist auf Grund fortschreitender Waffen- und Rüstungsentwicklung eine
Transformation des Krieges beobachtbar; Krieg wurde tendenziell zu technischer Auseinandersetzung
zwischen Geräten und Anlagen. Der Kampf von Mann zu Mann in traditionellen Formen existierte in
der Realität dieses Krieges immer weniger. Damit ist dem Soldaten, der in einen bloßen Maschinisten
der Vernichtung verwandelt wurde, freilich auch die traditionelle Aura des Heroischen abhanden
gekommen. Bemerkenswert ist auch, dass zur gleichen Zeit in regulären Armeen Kriegsneurosen
stark im Zunehmen waren. Kriegsneurotiker wurden freilich als Feiglinge und Simulanten
minderbewertet, sie sollten einfach nicht als Männer gelten dürfen: Eine eigene wissenschaftliche
Disziplin, die Militärpsychiatrie, wurde etabliert, um sie bloßzustellen, zu disziplinieren und für den
Krieg wiedereinsetzbar zu machen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man die deutsche Niederlage den "Mächten der Zersetzung"
zugeschrieben, nämlich Marxisten, Juden, Deserteuren und "Kriegsneurotikern" (vgl. Messerschmidt
1995: 35). In dieser Sicht war der mythische "Frontkämpfer" von "Etappenschweinen",
"Drückebergern", "Minderwertigen" und "Versagern" verraten worden (vgl. ebd.: 34f.). So wurde der
"Minderwertige" zum "politischen Feind". Das Bild des Deserteurs, "Zersetzers" und Verweigerers
wurde entindividualisiert und zu einem "politisch negativ besetzten Typus" herabgewürdigt (vgl. ebd.:
35), weil er Verrat an der männlichen Werte- und Notgemeinschaft des Krieges übte.
5 Also auch in dieser Hinsicht bestand eine strukturelle Analogie zwischen Soldaten und Frauen (vgl.
Erdheim 1982: 343), beide waren in politischer Hinsicht ohne Rechte. Nur Männer konnten, wie zuvor
ausgeführt, im modernen Staat politische Subjekte sein. Wurde nun einigen von ihnen dieser Status
entzogen, so ist dieser politische Vorgang als Ent-Männlichung zu beschreiben, zumal diese Männer
ja dann in den politisch subjektlosen Status von Frauen zurückfielen, ihnen also ihr politische
Männlichkeit genommen wurde.
10
Die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkrieges führte freilich nicht zur Hinterfragung dieses
gescheiterten soldatisch-heroischen Stereotyps der Männlichkeit, vielmehr reformulierte und
verstärkte es sich angesichts der gewandelten Geschlechterverhältnisse, die von der
krisengebeutelten Männlichkeit als besonders bedrohlich erlebt wurden.
(3) Politische Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes
soldatisches Verhalten
Die Deutsche Wehrmacht bietet ein überaus extremes Beispiel von Möglichkeiten politischer
Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes soldatisches Verhalten. Die gesellschaftliche
Tendenz zur Ineinssetzung von Soldatsein und Seinen-Mann-Stehen wurde geradezu extremistisch
realisiert, Wehrhaftigkeit wurde wieder auf ihren maskulinen Punkt gebracht.
Die Nationalsozialisten übten sich dabei in "geschickter Verknüpfung" deutsch-preußischer
militärischer Traditionen mit neuen Methoden der Armee- und Kriegsführung (vgl. ebd.: 32). Die
Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde durch flankierende Maßnahmen gegen
potentielle "Unruheherde" in der Armee abgesichert. Kriegsgegner und "zersetzende Elemente"
sollten von vornherein isoliert und ausgesondert werden (vgl. ebd.: 67). Nach Ausschaltung aller
Gegenkräfte sollte aus Deutschland eine militarisierte "Volksgemeinschaft" mit männerbündischen
Basisstrukturen werden. Wer diese vorgeblich konsensuale "Front der Gemeinschaft" gefährdete,
wurde zum "Gemeinschaftsschädling" erklärt. Militärische Vergehen waren leicht und gut als Angriffe
auf den männlichen Wertekatolog soldatischer Pflichten zu deuten: "Gefährdung der Manneszucht"
galt daher als ein - von Militärjustiz und ihr willfährig zur Seite stehender Militärpsychiatrie (vgl.
Klausch 1995: 69) häufig geahndeter - Fehltritt gegen die ideologischen Werte der deutschen "Volksund
Wehrgemeinschaft" (vgl. Messerschmidt 1995: 34).
Von der männlichen Post-Vietnam-Krise zum High-Tech-Golfkrieg:
ein geschlechtlicher Paradigmenwandel?
Als die USA den Krieg in Vietnam führte, war die US Army noch eine Wehrpflichtarmee von
ausschließlich Männern. Unterfüttert war dieses System von hochprofessionalisierten Militärs.
Das Besondere dieses Krieges war wohl das Aufeinandertreffen einer für damalige Verhältnisse
schon hochgerüsteten und subtil spezialisierten regulären Armee einer Weltmacht mit einer nach sehr
11
einfachen, aber durchaus effizienten technischen wie sozialen Technologien operierenden irregulären
Guerilla-Armee einer Dritte-Welt-Region.
Im Falle der USA war die Öffentlichkeit, was die Legitimität des Krieges anlangte, seit 1967/68
extrem gespalten: Die politische und die zivile Gesellschaft der USA lagen offen in Widerstreit.
Ihr kriegerisches "Gegenüber" agierte dagegen auf der Basis eines in der Bevölkerung weitgehend als
legitim wahrgenommenen und dementsprechend unterstützten Befreiungskrieges.
Während im vietnamesischen Dschungel zwangsrekrutierte amerikanische Männer also den Krieg
mehr oder weniger hautnah erlebten, leisteten in den USA beträchtliche Teile der (vor allem auch
weiblichen) Zivilgesellschaft Widerstand gegen diesen Krieg. Die Anti-Vietnamkriegsbewegung war
eine auch sichtbar weibliche Bewegung. Das Ende dieses Krieges wurde daher als militärische wie
zivile Niederlage erfahren. Im Gefolge des – vor allem von US-amerikanischen Männern als
traumatisch erlebten Endes des - Vietnam-Krieges machte sich - gewissermaßen als Rehabilitation
angeschlagener Männlichkeit - eine Re-Maskulinisierung Amerikas breit, die auch mit der Metapher
von der "Ramboisierung" ziviler Gesellschaft belegt wurde.
Über die massenmediale Kunstfigur Rambos als Supermännlichkeit vermochte sich Militarismus –
trotz dezidierten Endes des Krieges – effektiv, nachhaltig und sogar weltweit auszubreiten (vgl. Enloe
1988: 72). Vor allem aber US-amerikanische Männer sollten lernen, wie sie die "Demütigung" durch
die Niederlage an der Front und daheim sowie den Verrat der politischen Eliten "da oben" ertragen
können. Wieder erstarkte Männlichkeit schien dazu probates Mittel. Rambo versinnbildlicht
individuelles militärisches Abenteurertum, er ist einsamer Rebell, der in der zivilen, sich mittlerweile
auch verstärkt weiblich gebenden Welt einen Krieg weiterführt, den seine Vorgesetzten längst
beendet haben. Rambo verkörpert die verletzte Post-Vietnam-Männlichkeit, die es damals
schleunigst zu revitalisieren galt. Die Ehre der verletzten Nation lässt sich vermeintlich nur über
Militärisches, mithin: wiederaufgerichteter Männlichkeit, wiederherstellen.
Militarisierte Männlichkeit erschien hier vornehmlich noch als Phänomen und Problem niederrangiger
Kombattanten. Allerdings bedürfen moderne, hoch spezialisierte und professionalisierte
Militärsysteme einer viel breiteren Palette von Männlichkeitskonstruktionen. Dieser Prozess sozialer
und kultureller Ausdifferenzierung von Männlichkeitsbildern in Armeen geht einher mit
voranschreitender Professionalisierung ihrer Organisationsstrukturen.
Als die USA den zweitenKrieg am Golf führte, war die US Army bereits eine Berufsarmee, an der
auch Frauen – wenngleich noch marginal an Zahl und Einfluss - beteiligt sind. Kriegführung erschien
12
nicht mehr nur männlich inszeniert. Der Golf-Krieg führte aber nicht nur aktive weibliche Kriegführung
vor Augen, sondern leitete auch die Ära des "elektronischen Kriegs neuen Typs" ein.
Anfang der neunziger Jahre hatten viele den Golf-Krieg noch für einen "untypischen" Krieg gehalten
(vgl. Albrecht 1991: 136). Allerdings wurden in jenen Tagen schon die aktuellen Kriegskonzepte
antizipiert: "Save lives", und zwar eigene Leben, "but do not spare bombs", hieß es damals. Im
Videokrieg wurde suggeriert, dass mit neuen elektronischen Präzisionswaffen eine Einhegung des
Krieges gelinge, die zu weniger Opfern und Zerstörungen führe. Das Bild vom "unblutigen
Druckknopfkrieg" wurde generiert, der militärische Auseinandersetzungen per Luftkrieg mit genau
gezielten Schlägen führe, ehe es mit einem Minimalaufwand an Bodenkämpfen zur Entscheidung
komme (vgl. ebd.: 139).
Der Krieg im Kosovo als Arena von Männlichkeiten: zur aktuellen
Relevanz der Dekodierung von Geschlechtlichkeit des Krieges
In technischem Sinne hatte also eigentlich schon der Golf-Krieg 1991 als Versuchslabor für den
Kosovo-Krieg gewirkt. Anthony Giddens hat den Kosovo-Krieg als "Krieg neuen Typs" charakterisiert:
Neu erschien er ihm keineswegs nur wegen der militärtechnischen Revolution durch
Satellitentechnologie und neue Waffensysteme, neu an ihm war auch, dass er, wie Giddens meint,
angeblich zentrale Elemente der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts antizipiert hat.
Selbst das Geschlecht des Krieges ist nicht mehr so einfach festzustellen: Die meisten Debatten über
den Krieg im Kosovo wiesen der geschlechtlichen Inszenierung keine besondere Bedeutung zu. Im
Kosovo-Krieg wurden Vergewaltigungen von Frauen zwar stärker thematisiert als in anderen Kriegen,
aber auch hier wurden sie rasch wieder zum Anathema, weil sie als für jeden Krieg typisch gelten.
Dieser taktlose Modus der Banalisierung entkriminalisiert Gewalt an Frauen, legitimiert sie als
kriegsrechtgemäßes Handeln und integriert sie bagatellisierend als "Kavaliersdelikt" in männliche
Erlebniswelten. In ihr realisiert sich also zugleich der "Beweis" eigener Männlichkeit wie auch
absichtsvolle Verwundung gegnerischer Männlichkeit.
Männlichkeiten werden, so meine anfängliche Grundthese, politisch-diskursiv hergestellt. Auch Kriege
haben "diskursive" Bedeutung. Mehr als je zuvor signieren heute diverse, multiple, asynchron
geschichtete Männlichkeiten Geschlechterregime.
13
Der Krieg im Kosovo inszenierte sich auch als ein Krieg von Männlichkeiten. Die
Männlichkeitskonstruktionen haben Traditionalismen eingekapselt, zur selben Zeit spiegeln sie auch
verschiedene Grade an Modernisierung: So stand im Kosovo-Krieg die modernisiert-archaische
Männlichkeit der Serben in Konfrontation mit der archaischen Männlichkeit der kosovarischen Albaner
und über beiden Kontrahenten schwebte drohend und aggressiv die technologisch hochgerüstete
postmoderne Cyber- und Super-Männlichkeit der NATO. Den unmittelbaren Kriegshandlungen
zuvorgegangen war ein "maskierter", weil zunächst völkerrechtlich gebändigter oder vielleicht sich
auch nur verstellender, jedenfalls aber "noblerer" kriegerischer Gestus der Männlichkeit europäischer
und US-amerikanischer Diplomatie.
Diese recht grob geschnittene Typologie, der auch eine Hierarchie von Wertsetzungen unterliegt,
ließe sich noch weiter auffächern: in die in der NATO-Öffentlichkeit als ungebärdig imaginierte
serbische Soldateska und ihren gnadenlosen Führer (Milosevic), der die Kosovaren und die
"westliche Welt" in Geiselhaft hielt, in die "heroische" Entschlossenheit der wilden Männlichkeit der
UCK und in das "Unheroische" des Präsidenten eines machtlosen Schattenstaates (Rugova), in die
"sauber" bleibenden virtuellen Krieger, denen wesentlich rauere Männerhorden, genannt
Bodentruppen, folgen hätten sollen, um das schmutzige Geschäft dieses Krieges zu einem Ende zu
bringen6.
Madeleine Albright als erste weibliche US-Außenministerin, allemal Ton angebend im schrillen
Kriegsgeschehen auf dem Balkan, unterstreicht die Einsicht, dass Männlichkeitskonstruktionen in
gesellschaftlichen Diskursen erzeugt, in sozialen Praktiken generiert und verdichtet werden und daher
nicht unbedingt auf "biologisches" Geschlecht als Fundus angewiesen sind. Auch Krieg ist eine -
wenngleich besonders hohe humane Kosten einfordernde - Form politischen "Diskurses" und sozialer
"Praxis". Er ist ebenso Folge patriarchalen Geschlechterarrangements wie er auch an dessen
Nachjustierung und Kontinuität beteiligt ist.
Gut zu belegen ist dies auch an einer im Grunde höchst nebensächlichen Episode des Irak-Krieges,
die vom Pentagon nicht nur "frisiert" und medial "aufgeblasen", sondern auch spezifisch
"vergeschlechtlicht" wurde: das "dramatische" Narrativ von Jessica Lynch, der ersten US-Soldatin,
die im Irakkrieg zunächst "gefallen" ist, dann aber auf wundersame Weise aus der Hand der "bösen"
Iraker "befreit" wurde (Rötzer 2003).
6 In vielen Zeitungen vom Juni 1999 wurde diese in ihren Startlöchern scharrende militärische
Männlichkeit freilich getarnt, indem etwa Bilder britischer weiblicher Leutnants gezeigt wurden, die
allem Anschein nach auf "ihren" Einsatz nur "warteten" (z.B. in der österreichischen Tageszeitung
Kurier, 8.6.1999).
14
Der Pentagon agierte dabei ganz im Stil orientalischer Märchenerzähler, denen die Phantasie
durchgeht: Jessica Lynch, jung und hübsch, Mitglied einer Wartungseinheit wurde verletzt und
gefangen genommen. "Noch am Boden mit Wunden und einem gebrochenen Bein hatte sie sich
'heldenhaft' gewehrt und auf die Gegner geschossen", berichtete man. Sie wurde in ein Krankenhaus
gebracht, wo sie von "mehr als 40 mörderischen Killern" bewacht wurde. Vorsorglich wurde die Aktion
zu Lynchs Rettung mit einer Nachtsichtkamera aufgezeichnet, um die Story medial wirksam
verbreiten zu können.
Später wurde freilich eine "entheroisierte" Version der Geschichte kolportiert: Das Krankenhaus war
bereits verlassen, als die Spezialeinheiten eindrangen (Washington Post). Ärzte erzählten, dass es
keinerlei Widerstand bei der "heroischen Befreiungsaktion" gegeben habe.
Das wirklich Heroische leistete aber Jessica Lynch, indem sie alle Heroisierungen und Ehrungen nicht
nur zurückwies, sondern auch die offiziellen Darstellungen als Fälschungen denunzierte.
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Links:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3251731.stm
www.guardian.co.uk/Iraq/Story/0,2763,956255,00.html
www.nydailynews.com/front/Story/134264p-119598c.htm
www.fortwayne.com/mld/fortwayne/news/nation/7201846.htm
www.defenselink.mil/news/Jul2003/n072220033_200307226.html
www.jessica-lynch.com
Eva Kreisky (Vortrag Wien, 09.12.2003)
FRAGMENTE ZUM VERSTÄNDNIS DES GESCHLECHTS DES
KRIEGES
"Jeder Mann, der die mächtige Lust zur Schlacht in sich hat,
fühlt sie, wenn sich der Wolf in seinem Herzen erhebt"
(Thomas Jefferson)
Auch wenn man nicht den im Alltagsdenken mit Vorliebe "wesenhaft" aufgefüllten Bildern vom
kriegerischen Mann und der friedfertigen Frau folgt, bedeutet Thematisierung von Krieg und
Geschlecht zunächst einmal dennoch, den engen Konnex von Krieg und Männlichkeit auszuleuchten.
Dies kann aber nicht heißen, die "männliche Nähe zum Militärischen" mit einer "biologisch"
hergeleiteten größeren Aggressivität von Männern zu erklären (Seifert 1996: 79). Eine Fokussierung
auf Männer und Männlichkeit scheint aber trotzdem unverzichtbar, stehen doch männliche Akteure
empirisch häufiger und offenkundiger im Zentrum jedweden aktiven Kriegsgeschehens.
Allerdings werden in einer solchen Sicht männliche Vergeschlechtlichungen des Krieges als Produkt
sozialer und kultureller Konstruktion erkannt (vgl. ebd.: 87): Militär und Krieg strukturieren
Männlichkeit ebenso, wie Männlichkeitskonstruktionen Kriegsrealitäten und Kriegsverläufe zu lenken
vermögen.
Militärische Subjektbildung betraf seit der frühen Neuzeit "so gut wie ausschließlich Männer". Frauen
waren nie im selben Ausmaß militärischer Disziplinierung unterworfen (vgl. ebd.: 78). Ab einer
bestimmten militärtechnologischen Entwicklungsstufe wurden sie vom "Kriegshandwerk"
ausgeschlossen, blieben zugleich aber in weiblich-spezifischen, nunmehr jedoch einkommenslosen
Funktionen, in Kriegsgeschehen eingeschlossen. Die historische Transformation der Kriege von
Söldner- und Fürstenkriegen zu Volks- und Massenkriegen hat Frauen nicht nur wieder inkludiert,
sondern ihnen zudem spezielle Rollen, als Mütter und Ehegattinnen von Soldaten, sowie eigene Orte,
wie die "Heimatfront" oder das Krankenrevier, zugewiesen.
Von relevanten politischen Entscheidungszentren über Krieg und Frieden in nationalstaatlichen
Arkanbereichen von Regierung und Verwaltung wie auch in supranationalen Decision-Tanks, wie der
NATO oder der OSZE, sind Frauen allerdings auch heute noch von maßgeblichen Toppositionen
exkludiert. Es sind Sonderfälle der sozialen Gruppe Frauen, die in solche Entscheidungsspitzen
2
vorzudringen vermögen und die es daher zu bedenken gilt: Golda Meir und ihre politische
Entscheidungsnähe zum Sechstagekrieg 1967 und den militärischen Folgeproblemen, Maggie
Thatcher und ihre schon wesentlich direktere Entscheidungsnähe zum Falkland-Krieg 1982,
Madeleine Albright und ihre aktive Involviertheit in die Entscheidungskonfiguration rund um den
Kosovo-Krieg 1999, Condolezza Rice als National Security Adviser von George W. Bush Jr..
Weltweit gab es zudem bislang auch nur wenige Anomalien des Politischen, in denen Frauen als
Verteidigungsministerinnen zumindest für kurze Zeit Einfluss auf die militärische Entwicklung ihrer
Länder nahmen: Finnland, Kanada und Polen. Ihr episodischer Wert ist wohl evident.
Die sicherheitspolitische Architektur Europas und der Welt sowie ihre militärischen Fundierungen
unterliegen also einer seltsam männlichen Hegemonie: Es sind Männer und ihre soziale Kultur,
konkret: ihre maskulinen Ideologisierungen und Wertvorstellungen, die militärpolitisches Geschehen
wesentlich steuern. Diese These soll im Folgenden plausibel gemacht werden.
Momente einer Geschlechtergeschichte des neuzeitlichen Krieges
(1) Frauenausschluss durch "militärische Revolution"
Zu Beginn der achtziger Jahre hat der US-amerikanische Historiker Barton C. Hacker darauf
aufmerksam gemacht, dass die Inklusion von Frauen in Militär und Kriegführung keinesfalls erst ein
Ereignis der Moderne sei (vgl. Hacker 1981, 1988). Traditionell hatten Frauen vitale Bedeutung für
die Versorgung der Söldnerheere. Ohne ihre Reproduktionsarbeit ("Haus- und Kinderarbeit") wären
frühneuzeitliche Heere gar nicht funktionsfähig gewesen. Dadurch aber offerierten sie Frauen
außerhäusliche Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, so dass diese auch aus hochgradig patriarchalen
Lebenskontexten auszubrechen vermochten. Ob dies freilich ein minder patriarchaler
Lebenszusammenhang war, in den sie eintraten, sei dahingestellt. Aber immerhin gab es für Frauen
neben dem Klosterleben nunmehr eine weitere Option für eine materiell relativ gesicherte Existenz
außerhalb des beengten patriarchalen Hausverbandes.
Die "militärische Revolution" im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert, konkret die epochale
Innovation durch Feuerwaffensysteme, hat eine veränderte militärische Arbeitsteilung zur Folge.
Diese neuen Waffen hatten nämlich eine radikale Reform militärischer Taktik ausgelöst: strikte
hierarchische Organisation und straffe militärische Disziplin waren nunmehr unabdingbar (vgl.
Bröckling 1997: 31). Bis dahin waren militärisches und ziviles Leben voneinander nicht abgeschottet.
3
Hacker beschreibt Söldnerarmeen des 16. und 17. Jahrhunderts als "mobile Städte" mit einer
ausdifferenzierten Geschäfts- und Dienstleistungsinfrastruktur, eigenem Sozialleben und vor allem:
mitziehenden Familien. Die Zahl der Frauen und Kinder im Tross war nicht wesentlich kleiner als die
Zahl der Männer (vgl. Hacker 1981).
Individuelle Kampffähigkeit wie kollektive Wehrkraft waren bis in das frühe 19. Jahrhundert auf
weibliche Reproduktionsarbeit geradezu fundamental angewiesen. Erst im Zuge technologischer und
organisatorischer Modernisierung der Armeen sollten Frauen sukzessive ausgeschlossen werden: Die
Einführung stehender Heere und ihre wachsende Professionalisierung wirkten sich einschneidend auf
soziale und politische Organisationsweisen von Geschlechterverhältnissen innerhalb wie außerhalb
des Militärs aus.
Als "reguläre" Armeen allmählich zu Instrumenten nationalstaatlicher Machtpolitik wurden,
monopolisierte die Militärführung die Kontrolle auch über die Versorgung ihrer Truppen, um Soldaten
disziplinieren zu können sowie die Kriegführung durch Reduktion des Trosses zu effektivieren.
Staatliche Regulation (durch Heiratsverbot etwa) suchte nunmehr, das bisherige Gemenge aus
militärischer und ziviler Welt zu entwirren und weitere Mischung der Lebenswelten einzudämmen.
Allerdings zeigen historische Analysen auch, dass sich Militär und zivile Gesellschaft in den
Garnisonstädten bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht trennen ließen. Die Kasernen waren nicht von
Anfang an "Orte der separierten Männlichkeit" (Sabina Loriga, zit. n. Hagemann 1999: 14f.), sondern
dienten ursprünglich primär der Unterbringung von Soldatenfamilien, um dadurch der Bevölkerung
der Garnisonstädte die Lasten der Einquartierung zu ersparen.
Gleichzeitig aber haben Militärdienst und Kasernenleben auch eine "Demoralisierung" der Männer
bewirkt, was sie in Kombination mit ihrer ökonomischen Schwäche daran hinderte, stete und stabile
Familienbeziehungen einzugehen. Zumindest wurden sie von der Wohnbevölkerung der
Garnisonstädte so wahrgenommen (Peter K. Taylor, zit. n. ebd.: 15f.).
(2) Allgemeine Wehrpflicht und Männlichkeit
In der Genese des neuzeitlichen Staates hatte Waffenfähigkeit politische Subjektfähigkeit begründet.
Wer Dienst an der Waffe leistete, war anerkannter Teil der politischen Gemeinschaft. Mit der
militärisch-politischen Inklusion der Männer war aber gleichzeitig politische Exklusion von Frauen
fixiert worden.
4
Moderne Nationalstaatsbildung und Wehrpflichtarmeen waren markante politische Innovationen des
19. Jahrhunderts. Erstmalig wurden in Preußen breitere Männermilieus, einschließlich von Bildungsund
Besitzbürgern, für den Militärdienst "rekrutiert". Die norm- und verhaltensprägende Tragweite
militärischer Disziplinierung wurde daher immer evidenter (vgl. Bröckling 1997: 113ff.).
Damals wurde freilich auch Idealisierung männlicher Waffenfähigkeit politisch unumgänglich: Bis
dahin war Militärdienst in der Bevölkerung als etwas betrachtet worden, das familiäre Ökonomien und
Arbeitszusammenhänge bloß störte, wurden ihnen doch wichtige Arbeitskräfte entzogen. Also musste
Militärdienst politisch aufgewertet und "unkriegerischer Habitus der Zivilisten" dementsprechend
abgewertet werden (vgl. Frevert 1996: 81).
Die Wehrpflicht der Männer leitete eine neue Phase "männlicher Vergemeinschaftung" ein: Das
Militär vermittelte sich als Institution, der Männer nur angehörten, weil sie Männer waren.
Unterschiede zwischen Männern schienen im Medium Militär obsolet zu werden, nicht so aber
Unterschiede zu Frauen, diese wurden nun erst politikentscheidend. Das Militär konstituierte sich als
"frauenfreier" Raum.
Im "Männerhaus" Militär fand - für alle öffentlich sichtbar - die Initiation zum Mann statt. Zudem löste
das Militär Männer aus ihren privaten, nämlich familiären und sozialen Beziehungen und integrierte
sie in ein "neues, vollkommen abstraktes Referenzsystem" (ebd.: 82): Vaterland, Nation und Staat
bildeten nun wesentliche Bezugspunkte junger Männer. Das Militär machte also den Rekruten nicht
nur zum Mann, sondern vor allem auch zum Staatsbürger (vgl. ebd.: 83). Der nationalistische
Zeitgeist ließ einen "patriotisch-wehrhaften" Männlichkeitsentwurf entstehen. Politische und
militärische Fähigkeiten wurden kongruent, was Frauen ins politische Abseits drängte. Sie wurden
von der keimenden "Staatsbürgergesellschaft" ignoriert. Die "Nation in Waffen" wurde als männlicher
Raum konstruiert (vgl. Hagemann 1999: 18).
Sobald freilich Kriege als "Nationalkriege", nämlich auf Basis breitester männlicher Mobilisierung,
geführt wurden, verschärften sich auch "diskursiv konstruierte" Geschlechterdifferenzen und -
hierarchien. Zugleich erweiterte sich in Kriegsperioden paradoxerweise aber auch der "öffentliche
Handlungsspielraum" von Frauen (vgl. ebd.). Darin liegt freilich auch eine Gefährdung des
patriarchalen Geschlechterregimes: Wenn Frauen diese durch den Krieg eröffneten
Handlungschancen allzu bereitwillig aufgreifen und für eigene Interessen zu nutzen versuchen, wird
mit Ende solcher Kriege die alte Geschlechterordnung rekonstituiert, um Frauen neuerlich auf ihr
vermeintliches "Wesen" einzuschränken. Fast immer ist im Gefolge von Kriegen, ob von
Staatskriegen oder von "asymmetrischen Kriegen" (Münkler 2002) eine Re-Maskulinierung
gesellschaftlicher Verhältnisse konstatierbar (Jeffords 1989).
5
Das nationalsozialistische Regime perfektionierte schließlich dieses politisierte Modell des Mannes,
der als Soldat und Staatsbürger Nation und Volksgemeinschaft nicht nur zuverlässig ergeben sein
sollte, sondern sie letztlich auch verkörperte. Biologischer und politischer Körper des Mannes wurden
also in eins gesetzt.
Der Körper Militär: eine politische Synthese aus Männerkörpern
Politik und Krieg stehen zueinander in interdependentem Verhältnis: Meistens wird Krieg als
Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln gedeutet (vgl. Clausewitz 1980). In einer weitergehenden
Fragestellung wäre zudem auch nach dem "Kriegerischen in der Politik" (Krippendorff 1993: 60) zu
fragen. Das Politische beginnt zu verschwinden, der Krieg wird permanent (Virilio 1984: 25).
In jedem Falle geht es auch um Formen der Institutionalisierung von Männlichkeit und damit um
Machtressourcen der Männlichkeit. Beschäftigung mit der "Institution Militär" setzt jedenfalls die
Befassung mit dem "Mann in Uniform" voraus (vgl. ebd.: 51), was bedeutet, dass das Militär letztlich
als politischer Körper zu begreifen ist, der sich aus Männerkörpern zusammensetzt (so auch Morgan
1994: 167).
Am Militär wird die politische Symbiose aus Gewalt und Männlichkeit am offensichtlichsten (vgl.
Krippendorff 1993: 48f.; Morgan 1994: 179). Im regulären Soldaten begegnet uns politisch legitimierte
männliche Gewalt. Der Soldat erscheint geradezu als Inbegriff von Männlichkeit (vgl. Morgan 1994:
165), er fungiert als idealtypischer Symbolträger für das soziale und politische Konstrukt Männlichkeit.
Politische Männerbundtheorien haben daher niemals nur Staat und Männerbund, sondern immer
auch Militär und Männerbund in eins gesetzt (vgl. Kreisky 1992). Die Imagination des Mannes in
Männerbundtheorien beinhaltet immer den männlichen, soldatischen und heroischen Mann.
Nichtwaffenfähige oder Nichtwaffentragende wurden stets als "Weiber" minderbewertet (nachzulesen
bei Max Weber 1972: 616).
Etymologisch stehen "taugen" und "tauglich" mit germanischen Wortbildungen im Zusammenhang
wie Tüchtigkeit, Tapferkeit, Kraft, Gewalt, Vortrefflichkeit und Tugend. Ein "Tugendbold" war früher
eigentlich ein Raufbold. Erst unter dem Einfluss des Christentums wurde das Wort Tugend "sittlich"
aufgeladen und zum Gegenbegriff des "Lasters" (vgl. Duden, Bd.7, 1989).
6
Auch heute werden Wehruntaugliche, Wehrdienstverweigerer oder Zivildiener im Alltagsverständnis
immer noch tendenziell abgewertet, sie werden als "nichttugendhafte" - weil eben unmännliche -
Männer betrachtet. Und alles, was nicht (oder noch nicht) männlich ist, gilt in westlich-europäischen
Gesellschaften bekanntlich ohnehin als entweder weiblich oder eben infantil. Der Grat der
Männlichkeit ist äußerst schmal, Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden daher in der
Regel entweder mit sozialer Ent-Männlichung (d.h. soziales Stigmatisieren von Verhalten, Fähigkeiten
oder Erscheinungsbildern als unmännlich) oder mit politischer Ent-Männlichung (d.h. politisches
Vorenthalten formeller Rechte, die Männern qua Männlichkeit zustehen1) geahndet.
Im Gefolge der Französischen Revolution war Krieg zu einer "Sache des Volkes" mutiert (vgl.
Clausewitz 1980: 655), er wurde gewissermaßen "demokratisiert". Auf Grundlage von Wehrpflicht
rekrutierte junge Männer mussten nun massenhaft in Militärstrukturen eingebunden und konnten
gleichzeitig auch als Männer standardisiert werden.
Es ist offensichtlich, dass Militär nicht bloß irgendeine männliche Institution unter vielen anderen ist,
sondern vielmehr die grundlegende Schule der (männlichen) Nation und damit de facto die Schule der
Nation (zum Mann) darstellt. Das Militär gilt im sozialpsychologischen Sinne daher auch als
"Illusionsmaschine", die federführend "das Konstrukt der Männlichkeit produziert": Hier wird - ähnlich
wie in Männerhäusern früherer oder anderer Kulturen (oder wie heute etwa am Fußballplatz) - auch
das Geheimnis gepflegt, wodurch der Mann zum Mann wird (vgl. Erdheim 1982: 336).
Als zentraler Motor dieser militärischen "Illusionsmaschine" figuriert Drill. Entstanden im Zuge der
militärischen Revolution des 18. Jahrhunderts, bewirkte er nämlich, dass Massen von Männern in
Bewegung gesetzt werden konnten, ohne dass sie über das Warum dieser Bewegung informiert
waren. Die Kampfziele "bleiben dem Militär äußerlich und können deshalb auch beliebig
ausgewechselt werden" (ebd.: 338). Dem Anschein nach zunächst erhabene idealistische Ziele (wie
etwa Kaiser oder Vaterland) wurden mit der Zeit von trivialer Männlichkeit als eigentlicher und
vordringlicher Kampfmotivation überlagert. Zum Überleben der Männer wurde Kameradschaft, mit
anderen Worten: männliche Solidarität, prioritär und verselbständigte sich gegenüber anderen
politischen Zielwerten. Krieg und Militär wurden zu neuen sozialen Orten, an denen besondere
Formen männlicher Vergemeinschaftung erlebt werden konnten, die Männer vom banalen familiären
Alltag in eine ausschließliche Männerwelt vermeintlichen Abenteuers abheben ließen2.
(Schützengräbengemeinschaft als Vorbild für ideale Politik- und Staatsform)
1 Mit dem Eintreten in die preußische Wehrpflichtarmee wurde den Männern das Wahlrecht
genommen.
2 Ich teile nicht die Sicht von Stavros Mentzos, der Kameradschaft als Niederschlag "zunehmender
Demokratisierung der Gesellschaft" auch in der Sphäre von Krieg und Militär deutet (vgl. Mentzos
1993: 188) Eine solche Bewertung erfolgt, weil "Kameraden" im Vergleich zu "Vorgesetzten" gleicher
7
Es ist aber nicht bloß "äußerer Zwang", sondern es sind auch "libidinöse Strukturen", die Armeen
zusammenzuhalten vermögen (vgl. Freud 1974: 88). Jeder einzelne ist einerseits an den
Vorgesetzten und andererseits an die anderen Soldaten gebunden. Identifizierung mit dem führenden
Vorgesetzten lässt die bewusste Einzelpersönlichkeit schwinden, richtet Gedanken und Gefühle aus,
lässt Affektivität und Unbewusstes vorherrschen. Der Männerbund Militär reproduziert sich über
Initiationsriten, die Männer äußerst ungleiche Ordnung hinnehmen lassen. Neue Rekruten werden in
die Welt der älteren Männer eingeführt, in der Oben und Unten längst ausverhandelt und festgelegt
ist. Es gilt, selbstlose Unterordnung und Unterwerfung unter die Herrschaft der alten Männer
("Hierarchie") zu üben.
Der Rekrut muss hinter Kasernenmauern die für unsere Gesellschaft übliche Frauenrolle erlernen.
Für alles, wofür im zivilen Leben Frauen zuständig gemacht werden (z.B. Aufräumen, Putzen,
Kochen), werden im militärischen Leben junge Männer in die Pflicht genommen: "Nur ein Mann,
welcher derart als Frau behandelt wurde, wird sich dem weiblichen Geschlecht gegenüber so
verhalten können, wie es bei uns üblich ist" (vgl. Erdheim 1982: 343). Der militärische Initiationsritus
lässt also in die Welt "wahrer" Männlichkeit eintreten.
Die Kohäsion des Heeres in Form besonderer Bindung und Loyalität zur jeweiligen Einheit
(Korpsgeist) war in Deutschland traditionell über Rekrutierung nach Regionen oder Wehrkreisen
hergestellt worden (vgl. Bartov 1995: 52f.). Der Soldat sollte in seiner Einheit "eine Art Heimat"
entdecken, in die er immer wieder zurückkehren konnte. Die Einheit war eine "soziale Gruppe von
Männern", die also der Soldat "kannte und denen er vertraute" (ebd.: 53). Deutsche Offiziere sollten
ihre Männer nicht nur ins Gefecht führen, sondern ihnen auch das Gefühl geben, "Teil einer Familie
zu sein, wenn auch einer sehr hierarchisch geordneten und disziplinierten". Nicht selten sprachen
Offiziere ihre Männer auch als "Kinder" an (ebd.)3.
erscheinen. Aber genau das macht auch die männerbündisch-ideologische Unterfütterung des
männlichen Militärkörpers aus. Zudem war es gerade diese aus den Schützengräben des Ersten
Weltkrieges stammende Kameradschaftsmentalität, die die antidemokratischen Bataillone gegen die
Weimarer Republik entscheidend stärkte. War sie doch getragen vom politischen Wunsch, eine
ideale staatliche Gemeinschaft nach dem Vorbild männlicher Kriegsgemeinschaft zu formen als
Gegenmodell zur weiblich konnotierten Weimarer Republik (vgl. Theweleit 1987; Breuer 1993). An
diesem Beispiel wird nachvollziehbar, was passiert, wenn die grundsätzlich geschlechtliche
Konnotation des Kameradschaftsbegriffes dethematisiert und die politischen Intentionen und Inhalte
männlicher Vergemeinschaftung wegeskamotiert werden.
3 Von manchen Historikern wird daher der Zusammenhalt in der Deutschen Wehrmacht nicht
vorrangig auf "abstrakte Ideen" zurückgeführt, sondern stärker auf die "konkrete und klar
bestimmbare soziale Ordnung", die für enge persönliche Beziehungen zwischen den Soldaten in
einem Gefüge von "Primärgruppen" sorgte (vgl. Shils/Janowitz 1948, zit. n. Bartov 1995: 54).
Zahlreiche deutsche Soldaten kämpften "nicht aus dem Glauben an die Nazi-Ideologie heraus",
sondern weil sie sich als Mitglieder "einer geschlossenen, gut geführten Gruppe" fühlten, "deren
8
Alles in allem wird jungen Männern im Militär subkutan der komplexe Standpunkt vermittelt, von dem
aus Männer die Welt zu sehen haben (vgl. auch Seifert 1992). Und das ist schließlich auch in
politischer Hinsicht von Nutzen: Gilt doch Militär nicht nur als das "Herz der staatlichen Souveränität"
(Harold Laski, zit. n. Krippendorff 1993: 47), sondern vor allem als "organisierter Ausdruck" von
Gewalt. Unsere politische Kultur ist nicht nur eine patriarchalische, sondern zudem auch eine
"Kriegskultur", die als staatlich formierte Gewaltkultur agiert (vgl. Krippendorff 1993: 46f.).
Transformationen des modernen Krieges der Männer
Es soll nun der Gestaltwandel des Militärischen und Kriegerischen im 20. Jahrhundert4 in seinen
Implikationen für Männlichkeitskonstruktionen skizziert werden.
(1) Militarisierung der Männlichkeit
Die seit 1814 bestehende Wehrpflichtarmee Preußens hatte "militaristische Denkweisen" produziert,
die nicht nur Brauchbarkeit und Verfügbarkeit für den Krieg, sondern auch "Anbindung des absoluten
Gehorsams und der strikten Disziplin an einen loyalitätsbegründenden höheren Wert", nämlich die
Monarchie bzw. den König bezweckten (vgl. Messerschmidt 1995: 19f.). Damit verbunden war das
Konzept eines "sozialen Militarismus" (d.h. Militarisierung vor allem der männlichen Bevölkerung),
das retardierende politische (nämlich antidemokratische, antiparlamentarische) Kräfte freizusetzen
vermochte. Die Wehrpflichtarmee, als "Armee des Königs", hat eine "antirevolutionäre Ideologie
entwickelt, die die 'nur-soldatischen' Loyalitäts- und Disziplin-Begriffe überlagerte" (ebd). Dieser
Funktion, die Soldaten und in der Folge die männlichen Untertanen überhaupt revolutionsfest zu
machen, diente vor allem die Entpolitisierung der Armee, praktisch also die politische Entmündigung
Aufbau, Verwaltung und Arbeitsweise alles in allem als (...) unparteiisch und gerecht empfunden
wurde" (van Creveld 1991, zit. n. Bartov 1995: 55).
4 Die meisten Militärhistoriker beschreiben für die Menschheitsgeschichte vier Formen des Krieges im
Sinne eines historisches Ablaufschemas der Transformation: Sie unterscheiden zwischen dem
"primitiven", dem heroischen oder feudalen, dem zivilisierten oder reglementierten sowie dem
mechanischen Krieg. Gegenwärtig stehen wir beim atomaren oder High-Tech-Krieg (vgl. Mentzos
1993: 143), oder bei sogenannten "neuen Kriegen". Für unseren Themenzusammenhang ist vor allem
der Übergang zum mechanischen Krieg von Interesse, weil damit auch eine Ernüchterung im Hinblick
auf die Heroisierung des Kriegers - gewissermaßen eine Prosaisierung von Männlichkeit- eingeleitet
wurde.
9
der Soldaten. Das Wahlrecht wurde daher so konstruiert, dass es für Wehrpflichtige nicht in Betracht
kam, später wurde es Längerdienenden sogar explizit entzogen5.
Der gezielten entmündigenden politischen Ent-Männlichung der Rekruten folgte später auch eine
stigmatisierend entehrende Ent-Männlichung politisch unliebsamer Kräfte in der Armee. Neben den
äußeren Feinden des deutschen Heeres existierte plötzlich auch ein innerer Feind. Mit zunehmender
politischer Bedeutung der Sozialdemokratie erwuchs allmählich eine neue politische Kategorie im
militärischen Denken, nämlich die Formel von der "Wehrunwürdigkeit" (ebd.: 23).
(2) Ent-Heroisierung kriegerischer Männlichkeit
Ab dem Ersten Weltkrieg ist auf Grund fortschreitender Waffen- und Rüstungsentwicklung eine
Transformation des Krieges beobachtbar; Krieg wurde tendenziell zu technischer Auseinandersetzung
zwischen Geräten und Anlagen. Der Kampf von Mann zu Mann in traditionellen Formen existierte in
der Realität dieses Krieges immer weniger. Damit ist dem Soldaten, der in einen bloßen Maschinisten
der Vernichtung verwandelt wurde, freilich auch die traditionelle Aura des Heroischen abhanden
gekommen. Bemerkenswert ist auch, dass zur gleichen Zeit in regulären Armeen Kriegsneurosen
stark im Zunehmen waren. Kriegsneurotiker wurden freilich als Feiglinge und Simulanten
minderbewertet, sie sollten einfach nicht als Männer gelten dürfen: Eine eigene wissenschaftliche
Disziplin, die Militärpsychiatrie, wurde etabliert, um sie bloßzustellen, zu disziplinieren und für den
Krieg wiedereinsetzbar zu machen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man die deutsche Niederlage den "Mächten der Zersetzung"
zugeschrieben, nämlich Marxisten, Juden, Deserteuren und "Kriegsneurotikern" (vgl. Messerschmidt
1995: 35). In dieser Sicht war der mythische "Frontkämpfer" von "Etappenschweinen",
"Drückebergern", "Minderwertigen" und "Versagern" verraten worden (vgl. ebd.: 34f.). So wurde der
"Minderwertige" zum "politischen Feind". Das Bild des Deserteurs, "Zersetzers" und Verweigerers
wurde entindividualisiert und zu einem "politisch negativ besetzten Typus" herabgewürdigt (vgl. ebd.:
35), weil er Verrat an der männlichen Werte- und Notgemeinschaft des Krieges übte.
5 Also auch in dieser Hinsicht bestand eine strukturelle Analogie zwischen Soldaten und Frauen (vgl.
Erdheim 1982: 343), beide waren in politischer Hinsicht ohne Rechte. Nur Männer konnten, wie zuvor
ausgeführt, im modernen Staat politische Subjekte sein. Wurde nun einigen von ihnen dieser Status
entzogen, so ist dieser politische Vorgang als Ent-Männlichung zu beschreiben, zumal diese Männer
ja dann in den politisch subjektlosen Status von Frauen zurückfielen, ihnen also ihr politische
Männlichkeit genommen wurde.
10
Die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkrieges führte freilich nicht zur Hinterfragung dieses
gescheiterten soldatisch-heroischen Stereotyps der Männlichkeit, vielmehr reformulierte und
verstärkte es sich angesichts der gewandelten Geschlechterverhältnisse, die von der
krisengebeutelten Männlichkeit als besonders bedrohlich erlebt wurden.
(3) Politische Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes
soldatisches Verhalten
Die Deutsche Wehrmacht bietet ein überaus extremes Beispiel von Möglichkeiten politischer
Konversion normaler Männlichkeit in brutalisiertes soldatisches Verhalten. Die gesellschaftliche
Tendenz zur Ineinssetzung von Soldatsein und Seinen-Mann-Stehen wurde geradezu extremistisch
realisiert, Wehrhaftigkeit wurde wieder auf ihren maskulinen Punkt gebracht.
Die Nationalsozialisten übten sich dabei in "geschickter Verknüpfung" deutsch-preußischer
militärischer Traditionen mit neuen Methoden der Armee- und Kriegsführung (vgl. ebd.: 32). Die
Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde durch flankierende Maßnahmen gegen
potentielle "Unruheherde" in der Armee abgesichert. Kriegsgegner und "zersetzende Elemente"
sollten von vornherein isoliert und ausgesondert werden (vgl. ebd.: 67). Nach Ausschaltung aller
Gegenkräfte sollte aus Deutschland eine militarisierte "Volksgemeinschaft" mit männerbündischen
Basisstrukturen werden. Wer diese vorgeblich konsensuale "Front der Gemeinschaft" gefährdete,
wurde zum "Gemeinschaftsschädling" erklärt. Militärische Vergehen waren leicht und gut als Angriffe
auf den männlichen Wertekatolog soldatischer Pflichten zu deuten: "Gefährdung der Manneszucht"
galt daher als ein - von Militärjustiz und ihr willfährig zur Seite stehender Militärpsychiatrie (vgl.
Klausch 1995: 69) häufig geahndeter - Fehltritt gegen die ideologischen Werte der deutschen "Volksund
Wehrgemeinschaft" (vgl. Messerschmidt 1995: 34).
Von der männlichen Post-Vietnam-Krise zum High-Tech-Golfkrieg:
ein geschlechtlicher Paradigmenwandel?
Als die USA den Krieg in Vietnam führte, war die US Army noch eine Wehrpflichtarmee von
ausschließlich Männern. Unterfüttert war dieses System von hochprofessionalisierten Militärs.
Das Besondere dieses Krieges war wohl das Aufeinandertreffen einer für damalige Verhältnisse
schon hochgerüsteten und subtil spezialisierten regulären Armee einer Weltmacht mit einer nach sehr
11
einfachen, aber durchaus effizienten technischen wie sozialen Technologien operierenden irregulären
Guerilla-Armee einer Dritte-Welt-Region.
Im Falle der USA war die Öffentlichkeit, was die Legitimität des Krieges anlangte, seit 1967/68
extrem gespalten: Die politische und die zivile Gesellschaft der USA lagen offen in Widerstreit.
Ihr kriegerisches "Gegenüber" agierte dagegen auf der Basis eines in der Bevölkerung weitgehend als
legitim wahrgenommenen und dementsprechend unterstützten Befreiungskrieges.
Während im vietnamesischen Dschungel zwangsrekrutierte amerikanische Männer also den Krieg
mehr oder weniger hautnah erlebten, leisteten in den USA beträchtliche Teile der (vor allem auch
weiblichen) Zivilgesellschaft Widerstand gegen diesen Krieg. Die Anti-Vietnamkriegsbewegung war
eine auch sichtbar weibliche Bewegung. Das Ende dieses Krieges wurde daher als militärische wie
zivile Niederlage erfahren. Im Gefolge des – vor allem von US-amerikanischen Männern als
traumatisch erlebten Endes des - Vietnam-Krieges machte sich - gewissermaßen als Rehabilitation
angeschlagener Männlichkeit - eine Re-Maskulinisierung Amerikas breit, die auch mit der Metapher
von der "Ramboisierung" ziviler Gesellschaft belegt wurde.
Über die massenmediale Kunstfigur Rambos als Supermännlichkeit vermochte sich Militarismus –
trotz dezidierten Endes des Krieges – effektiv, nachhaltig und sogar weltweit auszubreiten (vgl. Enloe
1988: 72). Vor allem aber US-amerikanische Männer sollten lernen, wie sie die "Demütigung" durch
die Niederlage an der Front und daheim sowie den Verrat der politischen Eliten "da oben" ertragen
können. Wieder erstarkte Männlichkeit schien dazu probates Mittel. Rambo versinnbildlicht
individuelles militärisches Abenteurertum, er ist einsamer Rebell, der in der zivilen, sich mittlerweile
auch verstärkt weiblich gebenden Welt einen Krieg weiterführt, den seine Vorgesetzten längst
beendet haben. Rambo verkörpert die verletzte Post-Vietnam-Männlichkeit, die es damals
schleunigst zu revitalisieren galt. Die Ehre der verletzten Nation lässt sich vermeintlich nur über
Militärisches, mithin: wiederaufgerichteter Männlichkeit, wiederherstellen.
Militarisierte Männlichkeit erschien hier vornehmlich noch als Phänomen und Problem niederrangiger
Kombattanten. Allerdings bedürfen moderne, hoch spezialisierte und professionalisierte
Militärsysteme einer viel breiteren Palette von Männlichkeitskonstruktionen. Dieser Prozess sozialer
und kultureller Ausdifferenzierung von Männlichkeitsbildern in Armeen geht einher mit
voranschreitender Professionalisierung ihrer Organisationsstrukturen.
Als die USA den zweitenKrieg am Golf führte, war die US Army bereits eine Berufsarmee, an der
auch Frauen – wenngleich noch marginal an Zahl und Einfluss - beteiligt sind. Kriegführung erschien
12
nicht mehr nur männlich inszeniert. Der Golf-Krieg führte aber nicht nur aktive weibliche Kriegführung
vor Augen, sondern leitete auch die Ära des "elektronischen Kriegs neuen Typs" ein.
Anfang der neunziger Jahre hatten viele den Golf-Krieg noch für einen "untypischen" Krieg gehalten
(vgl. Albrecht 1991: 136). Allerdings wurden in jenen Tagen schon die aktuellen Kriegskonzepte
antizipiert: "Save lives", und zwar eigene Leben, "but do not spare bombs", hieß es damals. Im
Videokrieg wurde suggeriert, dass mit neuen elektronischen Präzisionswaffen eine Einhegung des
Krieges gelinge, die zu weniger Opfern und Zerstörungen führe. Das Bild vom "unblutigen
Druckknopfkrieg" wurde generiert, der militärische Auseinandersetzungen per Luftkrieg mit genau
gezielten Schlägen führe, ehe es mit einem Minimalaufwand an Bodenkämpfen zur Entscheidung
komme (vgl. ebd.: 139).
Der Krieg im Kosovo als Arena von Männlichkeiten: zur aktuellen
Relevanz der Dekodierung von Geschlechtlichkeit des Krieges
In technischem Sinne hatte also eigentlich schon der Golf-Krieg 1991 als Versuchslabor für den
Kosovo-Krieg gewirkt. Anthony Giddens hat den Kosovo-Krieg als "Krieg neuen Typs" charakterisiert:
Neu erschien er ihm keineswegs nur wegen der militärtechnischen Revolution durch
Satellitentechnologie und neue Waffensysteme, neu an ihm war auch, dass er, wie Giddens meint,
angeblich zentrale Elemente der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts antizipiert hat.
Selbst das Geschlecht des Krieges ist nicht mehr so einfach festzustellen: Die meisten Debatten über
den Krieg im Kosovo wiesen der geschlechtlichen Inszenierung keine besondere Bedeutung zu. Im
Kosovo-Krieg wurden Vergewaltigungen von Frauen zwar stärker thematisiert als in anderen Kriegen,
aber auch hier wurden sie rasch wieder zum Anathema, weil sie als für jeden Krieg typisch gelten.
Dieser taktlose Modus der Banalisierung entkriminalisiert Gewalt an Frauen, legitimiert sie als
kriegsrechtgemäßes Handeln und integriert sie bagatellisierend als "Kavaliersdelikt" in männliche
Erlebniswelten. In ihr realisiert sich also zugleich der "Beweis" eigener Männlichkeit wie auch
absichtsvolle Verwundung gegnerischer Männlichkeit.
Männlichkeiten werden, so meine anfängliche Grundthese, politisch-diskursiv hergestellt. Auch Kriege
haben "diskursive" Bedeutung. Mehr als je zuvor signieren heute diverse, multiple, asynchron
geschichtete Männlichkeiten Geschlechterregime.
13
Der Krieg im Kosovo inszenierte sich auch als ein Krieg von Männlichkeiten. Die
Männlichkeitskonstruktionen haben Traditionalismen eingekapselt, zur selben Zeit spiegeln sie auch
verschiedene Grade an Modernisierung: So stand im Kosovo-Krieg die modernisiert-archaische
Männlichkeit der Serben in Konfrontation mit der archaischen Männlichkeit der kosovarischen Albaner
und über beiden Kontrahenten schwebte drohend und aggressiv die technologisch hochgerüstete
postmoderne Cyber- und Super-Männlichkeit der NATO. Den unmittelbaren Kriegshandlungen
zuvorgegangen war ein "maskierter", weil zunächst völkerrechtlich gebändigter oder vielleicht sich
auch nur verstellender, jedenfalls aber "noblerer" kriegerischer Gestus der Männlichkeit europäischer
und US-amerikanischer Diplomatie.
Diese recht grob geschnittene Typologie, der auch eine Hierarchie von Wertsetzungen unterliegt,
ließe sich noch weiter auffächern: in die in der NATO-Öffentlichkeit als ungebärdig imaginierte
serbische Soldateska und ihren gnadenlosen Führer (Milosevic), der die Kosovaren und die
"westliche Welt" in Geiselhaft hielt, in die "heroische" Entschlossenheit der wilden Männlichkeit der
UCK und in das "Unheroische" des Präsidenten eines machtlosen Schattenstaates (Rugova), in die
"sauber" bleibenden virtuellen Krieger, denen wesentlich rauere Männerhorden, genannt
Bodentruppen, folgen hätten sollen, um das schmutzige Geschäft dieses Krieges zu einem Ende zu
bringen6.
Madeleine Albright als erste weibliche US-Außenministerin, allemal Ton angebend im schrillen
Kriegsgeschehen auf dem Balkan, unterstreicht die Einsicht, dass Männlichkeitskonstruktionen in
gesellschaftlichen Diskursen erzeugt, in sozialen Praktiken generiert und verdichtet werden und daher
nicht unbedingt auf "biologisches" Geschlecht als Fundus angewiesen sind. Auch Krieg ist eine -
wenngleich besonders hohe humane Kosten einfordernde - Form politischen "Diskurses" und sozialer
"Praxis". Er ist ebenso Folge patriarchalen Geschlechterarrangements wie er auch an dessen
Nachjustierung und Kontinuität beteiligt ist.
Gut zu belegen ist dies auch an einer im Grunde höchst nebensächlichen Episode des Irak-Krieges,
die vom Pentagon nicht nur "frisiert" und medial "aufgeblasen", sondern auch spezifisch
"vergeschlechtlicht" wurde: das "dramatische" Narrativ von Jessica Lynch, der ersten US-Soldatin,
die im Irakkrieg zunächst "gefallen" ist, dann aber auf wundersame Weise aus der Hand der "bösen"
Iraker "befreit" wurde (Rötzer 2003).
6 In vielen Zeitungen vom Juni 1999 wurde diese in ihren Startlöchern scharrende militärische
Männlichkeit freilich getarnt, indem etwa Bilder britischer weiblicher Leutnants gezeigt wurden, die
allem Anschein nach auf "ihren" Einsatz nur "warteten" (z.B. in der österreichischen Tageszeitung
Kurier, 8.6.1999).
14
Der Pentagon agierte dabei ganz im Stil orientalischer Märchenerzähler, denen die Phantasie
durchgeht: Jessica Lynch, jung und hübsch, Mitglied einer Wartungseinheit wurde verletzt und
gefangen genommen. "Noch am Boden mit Wunden und einem gebrochenen Bein hatte sie sich
'heldenhaft' gewehrt und auf die Gegner geschossen", berichtete man. Sie wurde in ein Krankenhaus
gebracht, wo sie von "mehr als 40 mörderischen Killern" bewacht wurde. Vorsorglich wurde die Aktion
zu Lynchs Rettung mit einer Nachtsichtkamera aufgezeichnet, um die Story medial wirksam
verbreiten zu können.
Später wurde freilich eine "entheroisierte" Version der Geschichte kolportiert: Das Krankenhaus war
bereits verlassen, als die Spezialeinheiten eindrangen (Washington Post). Ärzte erzählten, dass es
keinerlei Widerstand bei der "heroischen Befreiungsaktion" gegeben habe.
Das wirklich Heroische leistete aber Jessica Lynch, indem sie alle Heroisierungen und Ehrungen nicht
nur zurückwies, sondern auch die offiziellen Darstellungen als Fälschungen denunzierte.
Literatur:
_
Bartov, Omer (1995/1992), Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges,
Reinbek bei Hamburg.
Bröckling, Ulrich (1997), Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion,
München.
_
Clausewitz, Carl von (1980/1832), Vom Kriege, Frankfurt/M.
Erdheim, Mario (1982), "Heiße" Gesellschaften und "kaltes" Militär, in: Kursbuch 67, S. 59-70.
Freud, Sigmund (1974/1921), Massenpsychologie und Ich-Analyse, in: Ders., Studienausgabe, Bd. IX,
Frankfurt/M., S. 61-134.
_
Frevert, Ute (1996), Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit,
in: Thomas Kühne (Hg.), Männergeschichte - Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der
Moderne, Frankfurt/M./New York, S. 69-87.
_
Gibson, James William (1994), Warrior Dreams. Violence and Manhood in Post-Vietnam America, New
York.
Hacker, Barton C. (1981), Women and Military Institutions in Early Modern Europe: A Reconnaissance, in:
Signs 6/4, S. 643 – 671.
_
Hacker, Barton C. (1988), From Military Revolution to Industrial Revolution: Armies, Women and Political
Economy in Early Modern Europe, in: Eva Isaksson (Hg.), Women and the Military system, New York, S.
11 – 29.
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