US - Kriegsminister fordert stärkere Mililtarisierung Europas
24.02.2010
USA warnen vor "Kriegsmüdigkeit"
Von Dietmar Ostermann
Washington. Es ist ein neuer Ton, der über den Atlantik weht.
Ausgerechnet jetzt, da die Nato sich daran macht, bis Jahresende
ein neues strategisches Konzept zu erarbeiten, mussten die USA
ihrem Frust über die Rüstungs- und Kriegsmüdigkeit der Europäer
kräftig Luft machen.
Auf einem Strategieforum zur Zukunft der Allianz in Washington redete US-Verteidigungsminister Robert Gates Klartext: "Die Entmilitarisierung von Europa, wo große Teile der Öffentlichkeit und der politischen Klasse den Einsatz von Militär und die damit verbundenen Risiken scheuen, hat sich von einem Segen im 20. Jahrhundert zu einem Hindernis bei der Erlangung wirklicher Sicherheit und dauerhaften Friedens im 21. Jahrhundert entwickelt."
Vorwürfe an die Verbündeten über zu geringe Rüstungsetats, Klagen über fehlende Hubschrauber und Transportflugzeuge, Unmut über Kampfauflagen einzelner Nato-Staaten in Afghanistan - all das kannte man aus Washington. Die neue Generalkritik aber, die den Europäern einen gefährlichen Pazifismus unterstellt, rüttelt an den Grundfesten der Allianz.
Die USA sehen für die Nato in Zukunft eher mehr als weniger Aufgaben, deren Lösung schnell auch militärische Gewalt erfordern kann: Von der Piraterie auf den Meeren und der Sicherung der Energieversorgung über den Kampf gegen Waffenproliferation und Terrorismus bis zur Stabilisierung und Aufstandsbekämpfung in "gescheiterten Staaten" hat US-Außenministerin Hillary Clinton einen weit gefassten Katalog möglicher Nato-Einsätze umrissen.
"In einer miteinander verbundenen Welt können wir unsere Völker nicht verteidigen, indem wir uns hinter den geografischen Grenzen verkriechen", erklärte Clinton auf dem Washingtoner Nato-Forum:
"Die Realität hat das Gebiet definiert, in dem wir operieren." Man müsse neuen Gefahren begegnen, egal wo.
Nun hat sich die Allianz schon 1999, als das aktuelle Nato-Konzept verabschiedet wurde, zu Out-of-Area-Einsätzen bekannt. Vor Afrikas Küsten patrouillieren Nato-Kriegsschiffe, in Afghanistan kämpfen auch europäische Soldaten.
Die USA aber gewinnen den Eindruck, die Europäer seien bei dem Wandel der Nato von einem Verteidigungsbündnis zu einer global aufgestellten Allianz nur halbherzig bei der Sache - wenn überhaupt. "Wir glauben wirklich, dass die Reform der Nato auf beiden Seiten des Atlantik von allen Mitgliedern voll mitgetragen werden muss", mahnte Clinton.
Pentagonchef Gates, der wohl wichtigste strategische Kopf im Sicherheitsteam von Präsident Barack Obama, ging einen Schritt weiter. Die Allianz stehe vor "sehr ernsthaften, langfristigen und systematischen Problemen", betonte Gates mit Blick auf Europa.
Die scharfe Rhetorik zeigt, wie sehr die Ereignisse in den Niederlanden US-Strategen aufgeschreckt haben, wo die Regierungskoalition an der Afghanistan-Frage zerbrochen ist. Gates sprach von einem "Wendepunkt", Europa habe sich "zu weit in die andere Richtung" bewegt.
Auch der US-Sicherheitsexperte Andrew Bacevich sieht eine "tiefgreifende kulturelle" Abneigung der Verbündeten gegenüber Militäreinsätzen. Die "Pazifizierung Europas" sei wahrscheinlich "unumkehrbar". Sein Rat: "Lasst Europa Europa sein", die USA sollten sich aus der Nato zurückziehen.
Das freilich will in der US-Regierung niemand. Gates dankte den Verbündeten ausdrücklich, ihre Truppen in Afghanistan auf rund 50.000 Mann aufzustocken. Ohne die, das weiß auch Washington, wäre der Kampf am Hindukusch längst verloren.
Deutschlandfunk - Donnerstag, 25. Februar 2010 12:50 Uhr
PRESSESCHAU
Thema in der
NEW YORK TIMES ist der erwartete Rückzug der niederländischen Truppen aus Afghanistan nach dem Bruch der Regierungskoalition in Den Haag:
"Diese Entscheidung bringt die Niederlande, die Nato und Washington in Verlegenheit - - zu einem Zeitpunkt, wo Präsident Obamas Strategie zur Bekämpfung der Aufständischen vor einer entscheidenden Bewährungsprobe steht. Die Nato-Mitglieder sollten sich bemühen, zusätzliche Soldaten sowie Militär- und Polizeiausbilder nach Afghanistan zu entsenden. Zu befürchten ist allerdings, dass unsichere Politiker in anderen Ländern den niederländischen Rückzug als Ausrede nutzen - zum Beispiel in Deutschland oder Kanada, das seine Truppen Ende kommenden Jahres abziehen will. Die Nato ist stärker, wenn alle zusammenstehen. Wenn die Niederlande sich ins Abseits stellen, schwächen sie sich selbst und alle ihre Bündnispartner", kommentiert die
NEW YORK TIMES.
DE VOLKSKRANT aus Amsterdam geht auf die Kritik des amerikanischen Verteidigungsministers ein:
"Robert Gates beklagte eine 'Demilitarisierung Europas'. Den anstehenden Rückzug der niederländischen Truppen aus Afghanistan sprach er dabei zwar nicht direkt an. Seine kritischen Worte über die europäischen Nato-Mitglieder fielen aber kurz nach der Regierungskrise in Den Haag. Und in den amerikanischen Medien wird diese Verbindung auch hergestellt", bemerkt DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden.
"Die Enttäuschung war deutlich zwischen den Zeilen zu lesen, als sich Gates zum wachsenden Pazifismus in Europa äußerte", findet auch die norwegische Zeitung DAGSAVISEN.
"Konkret meinte der US-Verteidigungsminister Gates vor allem den wachsenden Widerstand gegen den Afghanistan-Krieg. Es ist kein Zufall, dass er diese Salve abschoss, kurz nachdem die niederländische Regierung an dieser Frage zerbrochen war. Der Kollaps in Den Haag war auch eine Folge des starken Drucks aus Washington auf die europäischen Regierungen, weitere Truppen nach Afghanistan zu entsenden oder die Einsätze zu verlängern. Das Nein aus den Niederlanden ist für die USA eine schlechte Nachricht, denn damit wird es für das Pentagon immer schwieriger, die Menschen im eigenen Land von dem Einsatz zu überzeugen", glaubt DAGSAVISEN aus Oslo.
Die britische TIMES befasst sich mit der Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan:
"Eine gerechte Sache, wie sie der Afghanistan-Mission zugrunde liegt, kann durch unethisches Verhalten im Kampf unterminiert werden. Die Nachricht, dass im Osten des Landes bei einer nächtlichen Razzia zehn Menschen getötet wurden, darunter acht Schulkinder, ist ein alarmierender Bruch mit den Prinzipien des gerechten Krieges. Die Nato erklärte, es habe einen 'Zwischenfall mit zivilen Opfern' gegeben - ein Euphemismus, der die Sache nur noch schlimmer machte. Wenn solche Fehler gemacht werden, ist es entscheidend, sie einzugestehen und die Verantwortung dafür zu übernehmen", mahnt THE TIMES aus London.