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Psychosoziale Arbeit in Gewaltkontexten

 

medico international

Psychosoziale Arbeit in Gewaltkontexten

Konzeptionelle Überlegungen

Definition

Psychosoziale Arbeit meint die methodische Orientierung, sich sowohl mit subjektiven Lebenswirklichkeiten als auch mit soziokulturellen (ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen) Bedingungen auseinanderzusetzen. Im Kontext von Globalisierungsprozessen, die große Teile der Menschen insbesondere in den Ländern des Südens durch strukturelle und direkte Gewalt ausgrenzen, sind die subjektiven Realitäten vieler Menschen und Gesellschaften durch zahlreiche traumatische Erfahrungen geprägt. Diese strukturellen und subjektiven Realitäten als veränderbar zu begreifen, ist das Anliegen solidarischer Hilfe, die auch gegen die Ursachen von Gewalt und Ausgrenzung gerichtet ist. Psychosoziale Arbeit versucht Interventionsformen zu finden, die sowohl den Individuen helfen als auch soziale und politische Bewältigungsmöglichkeiten fördern, die präventiv wirken können. Dabei geht sie prozessorientiert vor, fragt nach Potentialen (der beteiligten Subjekte) und Ressourcen und nicht nach dem Defizit und versucht die Arbeit an der 'community' zu orientieren im Sinne eines solidarischen Sozialen.

1. Herausforderungen psychosozialer Arbeit - Problemverständnis und Hintergrund

Den Kontext von Gewalterfahrungen verstehen

Die wachsende globale Ungleichheit ist eine wesentliche Ursache der eskalierenden Gewalt. Der Globalisierungsprozess hat einerseits die Integration der Welt zu einem globalen System ermöglicht und andererseits die Ausgrenzung von großen Teilen der Weltbevölkerung verursacht, für die es in eben diesem System keinen Platz zu geben scheint. Das Ergebnis sind Ungleichheiten nie gekannten Ausmaßes zwischen dem Süden und dem Norden aber auch innerhalb einzelner Länder. Das begünstigt Bandenkriminalität, Zerfall staatlicher Autorität und Warlordismus in den verarmten Regionen, hingegen einen Sicherheitsimperialismus in den ökonomischen Zentren, der die bestehenden Macht- und Wirtschaftsverhältnisse absichern will. Irrational und sinnlos anmutende Gewalt ist auf diesem Hintergrund durchaus zielgerichtet: Sie produziert Gewinner und Nutznießer ebenso wie Verlierer. Weitere zentrale Faktoren prägen den Kontext von Gewalterfahrungen:

  • Die Macht der Vergangenheit - ungelöste historische Konflikte und Identitäten: Kolonialgeschichte, interethnische und -religiöse Konflikte, Regionalkonflikte, ideologische Differenzen, Instrumentalisierung von Opfererfahrungen, Mobilisierung von Gruppenidentitäten durch Ausgrenzung und Polarisierung
  • Strategien der Kriegsführung: Terrorisierung und Traumatisierung von Zivilisten (besonders Frauen und Kinder) als Kriegsziel, systematische Zerstörung von sozialen und kulturellen Strukturen und Sinnzusammenhängen, Einsatz von Kindern als Soldaten
  • Die Geschlechterbeziehung im Rechts- und Glaubenssystem, in der geschlechtlichen Arbeitsteilung aber auch als Identitätsfaktor
  • Eine 'Kultur der Gewalt', die Gewalt als gesellschaftliches Regulationsinstrument akzeptiert

Trauma als Prozess denken

Trauma bedeutet einen vollständigen psychischen Zusammenbruch des Individuums, die Erfahrung endloser Angst und totaler Hilflosigkeit in einer ausweglosen Situation. Es entsteht in einem spezifischen historischen, ökonomischen und soziokulturellen Kontext und kann nur in Bezug auf diesen Kontext verstanden werden. Die Diagnose einer post-traumatischen Belastungsstörung (PTSD) beschreibt die Auswirkungen von menschenverursachter Gewalt nur unzureichend, besonders im Kontext von Armut und Marginalisierung. Sie individualisiert und pathologisiert die Folgen traumatischer Erfahrungen, die normale Reaktionen auf 'unnormale' verstörende Erfahrungen sind und unterstellt eine post-traumatische Situation, die einem Ereignis folgt. Sinnvoller ist es, von einem traumatischen Prozess zu sprechen, der in Phasen einer sich verändernden traumatischen Situation stattfindet, welche die Auswirkungen, Bewältigungsbedingungen und Heilungsperspektiven in unterschiedlicher Weise prägen. Man unterscheidet zum Beispiel die Sequenz der direkten Verfolgung von der Sequenz der Nachkriegszeit, die gleichermaßen Auswirkungen auf den Grad der Traumatisierung haben. Historische Erfahrungen haben gezeigt, dass die Bedingungen der 'Nach-Trauma-Zeit' wesentliche Auswirkungen auf die Ausbildung von Symptomen haben, die gleich oder viele Jahre später auftreten können.(1)

Die Auswirkungen von Trauma und Gewalt auf den verschiedenen Systemebenen

Gewalt wirkt auf verschiedenen Ebenen strukturzerstörend. Sie zerstückelt – 'fragmentiert' – Gesellschaften und soziale Beziehungen. Lässt Menschen ohnmächtig und handlungsunfähig werden. Zerstört Konflikt- und Kooperationsfähigkeiten und erhöht das Gewaltrisiko im familiären und gesellschaftlichen Rahmen. Auswirkungen lassen sich auf folgenden Ebenen unterscheiden und mit Stichworten charakterisieren:

  • Individuum (Symptome der Strukturzerstörung und Spaltung, Zersplitterung des Gedächtnisses und der Erinnerung, Selbst- und Fremdaggression, Drogenmissbrauch, Handlungsunfähigkeit)
  • Familie/Verwandtschaft (Geschlechtergewalt, Generationengewalt, Trennung und Fragmentierung, Überforderung)
  • Gemeinde (Zerstörung des Sozialzusammenhangs, Misstrauen, Verrat, Spaltung, Entwicklungshemmung)
  • Gesellschaft und Staat (Zerfall des Gewaltmonopols und der staatlichen Interventions- und Integrationskraft, nicht Recht, sondern auf Gewalt basierende Macht reguliert gesellschaftliche Prozesse, mangelnde Partizipations- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten, Korruption, auch ethischer Werte und Rechtsvorstellungen, Zerstörung und Manipulation historischer Erinnerung)

Die Vielschichtigkeit und Ambivalenz von Opfer - Täterbeziehungen kennen

Kriegs- und Gewalterfahrungen in den armgehaltenen Regionen sind durch vielschichtige Opfer-Täter Ebenen geprägt. Moderne Kriegsstrategien beinhalten die 'Delegation' der Gewaltausführung durch Spaltung sozialer Gruppen und Gemeinden, durch den Einsatz von Kindern und durch Privatisierung von 'Sicherheitsaufgaben' (als einkommensschaffende Maßnahmen.) Die Förderung von Missbrauch und Verrat sind strategische Mittel im Kontext einer »Teile und Herrsche« Politik. Straflosigkeit, auch gerade von sexualisierter (Kriegs-) Gewalt, zementiert Geschlechterhierarchien und privatisiert Wut und Hass auf Kosten von Frauen und Kindern. Auftraggeber, Nutznießer und Verantwortliche organisierter Gewalt sind häufig als Täter unsichtbar und werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Terror, Angst und ökonomische Not erhöhen die Zahl der Mitläufer und passiven Unterstützer. In polarisierten Kontexten wirken Opfer- und Täteridentitäten sinnstiftend und können gleichzeitig die Übernahme von Verantwortung verhindern.

Alle Formen der Bewältigung und Intervention sind kulturabhängig

Problemverständnis und Bedarfsanalysen sind geprägt durch das jeweilige kulturelle Verständnis der Welt, der sozialen Beziehungen und der Identität der Einzelnen. Die Nutzung derselben Begrifflichkeiten für Trauma bedeutet nicht, dass auch dasselbe darunter verstanden wird. Kultur, definiert als die jeweils lokale Mischung von sozialen und symbolischen Bezügen, prägt die Geschlechterbeziehung, das Verständnis von Recht und Unrecht, die Interpretation von Symptomen, das Verständnis von Krankheit und Gesundheit, von Leben und Tod, das Verhältnis zu den Toten, zum 'Diesseits' und 'Jenseits' und zur Vorstellung des Göttlichen. Kultur prägt die Trauerrituale und die Zuständigkeit für bestimmte Heilungs- und Versöhnungsprozesse. Sie prägt die Rolle von öffentlichem Sprechen und Schweigen, die Bedeutung von verbalen und non-verbalen Formen der Kommunikation, Metaphern und Symbolen, die Definition von Widerstand und Versöhnung, und vieles mehr. Durch Kultur interpretieren Menschen sich selbst und die Welt. Die Bewältigung von traumatischen Erfahrungen findet daher auf vielen Ebenen statt und braucht nicht zwangsläufig externe Interventionen. Kulturgeschichtlich kamen die meisten Heilungs- und Versöhnungsprozesse nach Kriegserfahrungen ohne 'Projekte' und professionelle Helfer zustande. Ein psychisches Trauma ist anders als ein körperliches Trauma: Menschen registrieren nicht die Einwirkung von äußerer Gewalt (im Gegensatz z.B. zu einer Verletzung des Beines durch eine Kugel) passiv, sondern beschäftigen sich in einer aktiven und 'problemlösenden' Weise mit ihr. Auch wenn Hilfe nötig wird, muss die Übertragbarkeit von Hilfskonzepten, besonders wenn sie in einem westlich geprägten Rahmen entstanden sind, in jedem Kontext neu überprüft werden.

Gewaltauswirkungen prägen jede Entwicklungsarbeit in (Konflikt)Kontexten

Hilfsorganisationen müssen sich bewusst sein, dass jede Maßnahme der Entwicklungszusammenarbeit von den Auswirkungen der Gewalt betroffen ist. Die Sensibilisierung für psychosoziale Folgen der Gewalt und die Integration von psychosozialenAnsätzen in Entwicklungsprogramme sollte Querschnittsaufgabe sein. Sie erfordert eine konzeptionelle Integration ökonomischer, friedenspolitischer und persönlichkeitsstärkender Entwicklungsmaßnahmen.

2. Prinzipien von Hilfsangeboten und Interventionen

Psychosoziale Projekte brauchen lokale 'Ownership'

Gewaltstrategien zielen auf Ausgrenzung und die Aberkennung des Subjektstatus der Betroffenen. Die Ausweglosigkeit traumatischer Erfahrungen lähmt die Handlungsfähigkeit massiv. Der Kampf um (die Wiedergewinnung von) Respekt und Würde setzt die aktive Beteiligung der Betroffenen voraus. Sie brauchen Räume, in denen sie wieder Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen können. 'Ownership' meint ebenso die autonome Entscheidung darüber, ob und in welcher Form Hilfe benötigt wird und was hilfreich sein könnte. Psychosoziale Projekte sollten in der Hand lokaler Träger sein und von lokal und kulturell verwurzeltem Personal konzipiert und durchgeführt werden. Das heißt nicht, dass sie von anderen nicht lernen könnten oder Unterstützung von Menschen nicht hilfreich sein kann, die aus einem anderen Kontext kommen. Aber lokale 'Ownership' sollte bei Projektentscheidungen Priorität haben.

Ethische Werte und Prinzipien, die psychosoziale Interventionen leiten, bestimmen die Qualität der Arbeit

Lokale 'Ownership' allein ist kein Qualitätsmerkmal. Gewalt schafft Misstrauen, Respektlosigkeit und Ausgrenzung. Menschen wurden auf allen Ebenen mißbraucht und verraten. Daher muss jede Intervention klaren ethischen Werten und Prinzipien folgen:

  • Respekt gegenüber allen Menschen, der Glaube an die menschliche Würde und den Wert des Anderen
  • Glaubwürdigkeit und Transparenz im eigenen Vorgehen
  • Gewaltfreiheit sowie Parteinahme und Sensibilität für die Opfer und ihre Erfahrungen
  • Transparente Position im Konfliktfall, Unparteilichkeit auf Gemeindeebene, Trennung von Tat und Täter
  • Partizipation, Gleichberechtigung und vertrauensbildende Partnerschaft
  • Empowerment – Glaube an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen
  • Geschlechterdifferenzierung im Interesse einer Aufhebung von Machtstrukturen
  • erfahrungsorientiertes, ganzheitliches Lernen
  • eine selbstkritische Haltung.

Psychosoziale Arbeit braucht Zeit. Sie muss prozessorientiert vorgehen, langfristig denken und sich kontinuierlich selbst reflektieren

Nach traumatischen Gewalterfahrungen gibt es keine schnelle 'technische' Hilfe, die das Geschehene ungeschehen machen kann. Das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit angesichts einer tiefen, nachwirkenden Zerstörung ist Voraussetzung, um Hilfe zu entwickeln. Da psychosoziale Arbeit kontext- und kulturspezifisch ist, gibt es keine universell übertragbaren Modelle. Es gibt höchstens Fragestellungen und Strategien, auf deren Basis Konzepte immer wieder neu entwickelt und ausgewertet werden müssen. Die Arbeit mit schwer traumatisierten Individuen und Gemeinden in Armutskontexten ist extrem belastend und birgt die Gefahr des burn-out und der Mitarbeiterfluktuation. Um diesen hohen Anforderungen gewachsen zu sein, sollten Maßnahmen des Selbstschutzes, der burn-out Prävention und des Selbstmonitoring integraler Bestandteil der Organisationskultur und der Arbeitsbedingungen sein.

Traumabearbeitung muss in einen breiteren Prozess der sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklung integriert werden

Trauma-Arbeit, welche die soziale, politische und ökonomische Realität der Menschen in einem Kontext extremer Armut nicht berücksichtigt und mit Entwicklungsperspektiven verbindet, wirkt oft eher entfremdend als heilend und handlungsfördernd. Andererseits scheitern viele soziale und ökonomische Entwicklungsanstrengungen, wenn sie die Folgen der Traumatisierung nicht wahrnehmen. Es ist wichtig, mit den Betroffenen zu klären, welches die zentralen (und aktuellen) Bedürfnisse sind und welche Hilfsmaßnahmen entwickelt werden können (welche Maßnahmen hilfreich sein könnten), die soziale, ökonomische, politische und psychische Bedürfnisse sinnvoll integrieren.

3. Ziele und Inhalte der Hilfe

Herstellung von Sicherheit

Psychosoziale Arbeit braucht sichere Orte auch in unsicheren Kontexten. Sachliche Information, berechenbare Organisationsstrukturen und stabile Gruppentreffen in einer wertschätzenden, empathischen Atmosphäre können helfen, innere Strukturen wiederzufinden und Vertrauen zu entwickeln. Im Rahmen von sicheren Orten können wieder respektvolle, tragfähige Beziehungen entstehen, die alternative Konfliktbearbeitungsmechanismen erproben. Gruppenbildungserfahrungen können im Verlauf der Vernetzung mit anderen Strukturen und Ressourcen zur Rekonstruktion sozialer Prozesse in gespaltenen Gemeinden beitragen.

Wiederaneignung von Würde und Subjektivität

Psychosoziale Arbeit unterstützt die Überlebenden, der Entwürdigung ihrer Existenz entgegenzuwirken und (wieder) Subjekte ihres Lebens zu werden. Auf der persönlichen Ebene hilft die Integration der traumatischen Erfahrungen in die eigene Biographie nach einem Trauerprozess, ein 'Verstehen' der Auswirkungen und eine Stärkung der vorhandenen Ressourcen, um wieder handlungsfähig zu werden. Auf der Familien – und Gemeindeebene geht es um ein Verständnis und eine Unterbrechung von Gewaltkreisläufen.

Anerkennung und Entprivatisierung des Leids

Die 'irrational' und 'sinnlos' anmutende Form der Gewalt, der strukturzerstörende Charakter von Repression und Kriegsführung spaltet und isoliert die Opfer und individualisiert das Leid. Sie verbreitet Angst und Schweigen und verhindert Auseinandersetzungen um Ursachen und Verantwortung. Die Wut richtet sich gegen Nachbarn, gegen Frauen und Kinder oder gegen sich selbst. Im Zentrum jeder psychosozialen Arbeit steht daher die persönliche wie gesellschaftliche Anerkennung des Leids und damit die Entprivatisierung des Traumas. Diese Anerkennung ermöglicht dem Individuum die notwendigen Trauerprozesse, die Auseinandersetzung mit Wut, Hass, Rache- und Schuldgefühlen. Gesellschaftlich bedeutet diese Anerkennung die Aufhebung der privatisierenden Wirkung der Gewalt, die Rückgewinnung von sozialer Erinnerung, von historischer 'Rationalität' und 'Sinngebung'. Als Zeugen von Menschenrechtsverbrechen brauchen Gewaltüberlebende Beistand und Schutz bei ihrem Bemühen, an der Schaffung menschenwürdiger, gewaltfreier gesellschaftlicher Verhältnisse mitzuwirken. Zur Anerkennung des Leids gehört auch der Respekt vor den verschiedenen kulturellen und individuellen Wegen, auf denen Menschen sich Hilfe suchen oder alleine mit den Erfahrungen umgehen wollen. Und ein Verständnis dafür, wenn schwer Traumatisierte nicht mehr uneingeschränkt leistungs- und 'funktions'fähig sind.

Rekonstruktion des Sozialen

Wenn gesellschaftlicher Gewalt die Zerschlagung von sozialen Strukturen zum Ziel hat, ist auch das Gemeinwesen selbst angegriffen. So wie das Trauma im Inneren der Individuen strukturzerstörend wirkt, so wirkt das psychosoziale Trauma im Kollektiv. Leid entsteht in und aus einem gesellschaftlichen Kontext und wird gleichzeitig in einem solchen bewältigt, unter guten oder schlechten Bedingungen. Das Subjekt psychosozialer Arbeit ist daher gleichzeitig das Gemeinwesen. Ziel ist die Überwindung von Fragmentierung und Ohnmacht (Disempowerment) in den sozialen Beziehungen, um auf politischer und ökonomischer aber auch kultureller und spiritueller Ebene wieder handlungsfähig zu sein. Dabei können Lösungen für die Gewalt genauso multidimensional sein wie ihre Ursachen, denn Heilungs- und Versöhnungsprozesse sind vielschichtig und finden auf verschiedenen Ebenen statt.

Gerechtigkeit und Entschädigung

Die Täter und Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, ist ein zentrales Element der Wiederherstellung von Würde. Ziel ist die Wiederherstellung eines Gleichgewichts, das durch die Gewalt zerstört wurde. Dabei gibt es verschiedene gesellschaftliche und individuelle Wege, bei denen Strafe und Formen der Wiedergutmachung eine wichtige Rolle spielen. Gewalt, die ohne Folgen bleibt, bedeutet eine weitere Aggression gegen die Opfer, weil sie sich an die traumatischen Folgen der Schutzlosigkeit anfügt und zentrale Normen von Menschlichkeit auf den Kopf stellt. Strafverfolgung der Täter und Entschädigungen für Opfer können das Verlorene und Zerstörte nicht 'wiedergutmachen', doch als symbolische Geste der Anerkennung des Leids haben sie große Bedeutung. Dabei ist das Entschädigungsverfahren und die Art seines Zustandekommens mindestens ebenso bedeutsam wie die Höhe und Form der Entschädigung. Manchmal können jedoch Entschädigungsverfahren selbst Konflikte verschärfen, wenn sie nicht transparent und politisch legitimiert sind. Ähnliches gilt für Strafprozesse und Amnestieverfahren im Rahmen von Wahrheitskommissionen.

Sicherung der Existenz auf würdige Weise

Die Wiederaneignung von Respekt und Würde setzt einen »vollen Magen« voraus. In Armutsgesellschaften stehen existentielle Überlebensbedürfnisse meist im Zentrum des Bedarfs. Ohne Existenzsicherung, ohne ein Minimum an Sicherheit kann es psychosoziale Arbeit nicht geben. Dabei geht es nicht um humanitäre Hilfe, die den Status Quo der Hilfsempfänger festschreibt und die Würde des Hungernden erneut verletzt. Psychosoziale Arbeit hat etwas mit der Weise zu tun, wie dem Hungernden geholfen wird. Es geht um Respekt, Gleichberechtigung und die Entwicklung eigenständiger Existenzsicherungsmöglichkeiten, die menschenwürdige Lebensbedingungen jenseits des reinen Überlebens zum Ziel haben.

Prävention

Die beste psychosoziale Arbeit ist eine, die verhindert, dass sie nötig wird. Alle Maßnahmen sollten sowohl die Bewältigung von erfahrenem Unrecht, als auch die Prävention vor erneuter Gewalt im Auge behalten. Kampagnen gegen Kriegsursachen, Forderungen nach Strafverfolgung und Entschädigung, Kampf um globale soziale Gerechtigkeit sind Konfliktlösungsstrategien, die den Konflikt nicht aus den Augen verlieren und langfristige soziale Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit zum Ziel haben.

4. Interventionsformen und Handlungsebenen

Im Sinne eines Public Health Modells setzt psychosoziale Arbeit auf verschiedenen Systemebenen an, die sich quantitativ unterscheiden und verschiedene Zielgruppen im Auge haben. So geht es nicht um flächendeckende Therapieangebote sondern um die Förderung von sozialen und politischen Bewältigungsmöglichkeiten, die individuelle Hilfe für die mit einschließt, die ihrer bedürfen. Ohne Vollständigkeit behaupten zu wollen, zeigt nebenstehende Grafik die verschiedenen Ebenen und Interventionsformen, die psychosoziale Arbeit bedeuten kann.

Literatur

  • Almedom Astier M.: Mental Well-Being in Settings of 'Complex Emergency', Journal of Biosocial Science Special Issue,Vol.36,No.4, 2004
  • Bracken Patrick/Petty Celia (1998): Rethinking the Trauma of War
  • GTZ (2003) Entwicklungsorientierte Traumabearbeitung in Nachkriegssituationen, (www.gtz.de/crisisprevention)
  • Herman Judith (2003): Die Narben der Gewalt
  • Higson-Smith Craig (2002): Supporting Communities affected by Violence
  • medica mondiale (2004): Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen
  • Summerfield (ODI 1996): The Impact of War and Atrocity on Civilian Populations: Basic Principles for NGO Interventions and a Critique of Psychosocial Trauma Projects

Online-Informationen

Fußnoten

(1) siehe Hans Keilson, Sequentielle Traumatisierung bei Kindern, 1979

Dieser Text erschien im medico-Report 26, Im Innern der Globalisierung, medico international 2005

Ankündigungen (siehe: Aufrufe und Einladungen)  
  Zur Zeit sind Soldaten der Bundeswehr in folgenden Ländern im Einsatz:

Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Afghanistan, Usbekistan ,Sudan
Horn von Afrika (Djibouti) und vor den Küsten Libanons und Somalias

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