Unsere Position
Krieg und Gewalt im Kontext der Globalisierung
In Ländern wie Afghanistan, Irak oder dem Kongo herrscht heute ein eigentümlicher Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden. Man weiß nie genau, ob der Krieg zuende ist oder nur eine Pause einlegt. Ob es morgen wieder losgeht und nicht der Krieg längst die Normalität ist. Dabei gibt es selten klare Unterscheidungen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, auch sind kaum identifizierbare militärische Fronten auszumachen. Hinzukommt eine weitgehende Aushöhlung des im Kriegsvölkerrecht geregelten Schutzes der Zivilbevölkerung und – was Organisationen wie medico verstärkt zu schaffen macht - die Instrumentalisierung von Hilfe für kriegerische Zwecke.
Friedensbemühungen scheitern bereits daran, dass meist völlig unklar, mit wem eigentlich über Frieden verhandelt werden könnte. Wer beispielsweise sollte im heutigen Kongo der Ansprechpartner sein, wo lokale Warlords, begierige Anrainerstaaten, machtvolle multinationale Konzerne, Privatarmeen und verstreute Reste der regulären Armee miteinander kämpfen.
Ökonomisierung der Kriege
Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass für die „Entgrenzung“ der Gewalt unter anderen eine zunehmende Ökonomisierung der Kriege verantwortlich ist. Und zwar in einem ganz besonderen Sinne. Denn dienten auch frühere Kriege wirtschaftlichen Zielen, etwa der Eroberung von Absatzmärkten oder der Vernichtung von Kapital, ist es heute der Krieg selbst, der Profit und dabei relevante Bereiche der Weltwirtschaft sichert. In dieser spezifischen Ökonomisierung kriegerischer Gewalt liegt der Schlüssel zu ihrem Verständnis.
Erst der anhaltende Krieg ermöglichte es ausländischen Firmen und international vernetzten mafiösen Strukturen, unter Umgehung von Sozialstandards und Steuerzahlungen, also im Zustand völliger Liberalisierung, Bodenschätze zu extrahieren, Öl zu fördern oder Drogen und Waffen zu handeln. Man nennt solche im Verborgenen existierenden Wirtschaftskriegsläufe „globale Schattenwirtschaften“, deren Anteil an der Weltwirtschaft seit Jahren steigt. Sie erlauben glänzende Geschäfte, aber würden sofort zu Ende kommen, wenn auch der Krieg zu Ende käme.
Ein irres Spiel könnte man meinen, aber leider ein Beispiel für den irrationalen Zustand, in dem sich die Welt heute befindet. Eine Welt, in der relevante wirtschaftliche Sphären nur im Schatten von Kriegen gedeihen und das ordnungspolitische Bemühen die Zerrüttung der sozialen Verhältnisse vorantreibt. Erst vor dem Hintergrund des stattfindenden Globalisierungsprozesses werden diese Konflikte und Kriege, die heute die Welt überziehen, verständlich.
Verwüstung der sozialen Verhältnisse
Mit der ökonomischen Globalisierung ist die Welt zwar näher zusammen gerückt, aber zu einem „globalen Dorf“, wie es mitunter euphemistisch hieß, ist sie nicht geworden. Im Gegenteil: die Welt war nie von so tiefen Spaltungen geprägt wie heute. Hier der reiche globale Norden, mit seiner wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Vorherrschaft, dort der globale Süden, die Zonen des Elends, in denen die Verlierer zuhause sind, jene Menschen, die der globalen Ökonomie entbehrlich sind: „überflüssige Menschen“.
Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich die Globalisierung in zwei gegenläufigen Bewegungen vollzogen hat: Sie hat einerseits die Integration der Welt zu einem globalen System ermöglicht, das erstmals weltgesellschaftliche Verhältnisse aufscheinen lässt, und sie hat andererseits die Ausgrenzung von großen Teilen der Weltbevölkerung verursacht, für die es in eben diesem System keinen Platz zu geben scheint. Die Parallelität von Einschluss und Ausschluss, von Integration und Exklusion, genau das ist das Wesen der Globalisierung, wie sie derzeit stattfindet.
Es entstand eine Ungleichheit von nie gekanntem Ausmaß. Gewaltige Disparitäten, die sowohl im Verhältnis zwischen dem Süden und dem Norden auszumachen sind, als auch innerhalb der einzelnen Länder selbst. Längst sind auch in den europäischen und nordamerikanischen Großstädten Zonen des globalen Südens auszumachen, während Inseln des globalen Nordens immer deutlicher auch in Ländern des Südens zum Vorschein kommen. Dort, wo der Schatten der Ausgrenzung hinfällt, wo Elend, Gleichgültigkeit, Bindungslosigkeit, enttäuschte Hoffungen und Perspektivlosigkeit herrschen, verbreiten sich Schonungs- und Rücksichtslosigkeit, moralische Indifferenz und eine latente Feindseligkeit, die jederzeit in Gewalt umschlagen kann.
Begünstigt werden Bandenkriminalität und das Entstehen von nichtstaatlichen Akteuren der Gewalt überall dort, wo es zu einer dramatischen Verwüstung der sozialen Verhältnisse gekommen ist. Auch das ist vor allem eine Folge der ökonomischen Globalisierung. Insbesondere in Afrika, aber auch in Teilen Lateinamerikas haben die extreme Auslandsverschuldung, Kreditauflagen und aufgezwungene Budgetkürzungen die Institutionen des Staates derart ausgehöhlt, dass von Staatlichkeit nicht eigentlich mehr die Rede sein kann.
Mittel, die für Bildung, Gesundheit und Sozialpolitik benötigt würden, gingen in den Schuldendienst oder versickerten in korrupten Strukturen. Wenn Staaten ihren Bewohnern aber nur mehr Elend, Korruption und Repression zu bieten haben, verlieren sie ihre Legitimation. An die Stelle demokratischer Legitimation treten Klientelismus, Patronagewesen und Populismus. Opponierende Kräfte, quasi-feudale Herrschaftsverhältnisse, Warlordismus und private Sicherheitsdienste entstehen. Es kommt es zur Informalisierung der Gewalt.
Insbesondere an den Nahtstellen, dort wo die Zonen des Ausschlusses auf die prosperierenden Gebiete treffen, ist das Gewaltpotential zu erahnen, das in der rapide anwachsenden Ungleichheit liegt.
Sicherheitsimperialismus
Um die rentablen Zonen der Welt zu verteidigen, wird immer häufiger auch in den Zusammenbruchsregionen selbst interveniert. Völlig unverblümt machte das Bundesverteidigungsminister Struck deutlich, als er zum Erstaunen all jener, die noch vom Gedanken der humanitären Intervention beseelt waren, sagte, dass am Hindukusch die Sicherheit Deutschland verteidigt werde.
Und so geht es in den Kriegen in Afghanistan oder dem Irak gewiss auch um Öl, um Pipelines, das Geschäft beim Wiederaufbau oder um geostrategische Interessen, aber mehr noch um die Durchsetzung einer von den mächtigen Staaten diktierten neuen Weltordnung. Das Ziel ist die Schaffung eines neuen globalen Gewaltmonopols, das keinen Widerspruch mehr duldet. Alles was als Gefahr des herrschenden Wirtschaftsmodells, der bestehenden Privilegien, der politischen Vormacht einiger weniger, also des Status Quo verstanden werden kann, wird bekämpft. Das ist das eigentliche Ziel gegen den Terror.
Auch wenn die Umstände neu sind, gibt es doch eine historische Parallele: den Krieg gegen das Piratentum im 19. Jahrhundert, der zu einer wesentlichen Voraussetzung für die Ausbreitung des Kolonialismus wurde. Wie damals, als die Piraten quasi vogelfrei waren und ihre Bekämpfung vor keiner noch so rauhen Methoden zurückschreckte, scheinen auch heute alle Mittel recht zu sein: der Verstoß gegen die UNO-Charta, die Folter, klandestine Gefängnisse, behördlich legitimiertes Verschwindenlassen und die Demoralisierung der eigenen Bevölkerung über systematische Lügenkampagnen.
Im Unterschied zum Krieg gegen das Piratentum geht es heute nicht um die Ausbreitung, sondern um die Absicherung der bestehenden Macht- und Wirtschaftsverhältnisse. Und so sind viele der heutigen Kriege Weltordnungskriege, die von einer Art Sicherheitsimperialismus angetrieben werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie sich all jene, für die es in den profitablen Zonen der Welt keinen Platz gibt, vom Leib gehalten werden können.
Politisches Denken statt Sachzwängen
Bekanntlich wuchern die Gewaltverhältnisse, die in der Welt herrschen, auf den Ruinen vorgegangener Interventionen. Kolonialismus, Stellvertreterkriege, IWF-Strukturpassungsprogramme, das Geschäft mit Waffen, Drogen und Bodenschätzen bilden eine einzige Kette von am Ende fehlgeschlagenen Interventionen.
Statt mit fatalem Wiederholungszwang immer nur wieder eine nächste Runde der Intervention einzuläuten, wäre jene „Notbremse“ zu ziehen, die sich Walter Benjamin bereits im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges gewünscht hatte. Fraglos ist Kooperation notwendig, bedarf es der Hilfe in Not und dem Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. Sie dürfen aber nicht von Paternalismus, Besserwisserei und Eigennutz getragen werden, sondern von der Einsicht darin, dass der Zerstörungsprozess auch vor uns selbst nicht halt macht, wenn die Geschichte so weiter geht, wie sie sich im Augenblick ereignet.
Es war der verstorbene französische Soziologe Pierre Bourdieu, der überzeugend darauf aufmerksam gemacht hat, dass die globale Entfesselung der Ökonomie nur deshalb so widerspruchslos umgesetzt werden konnte, weil sie sich mit der Aura ökonomischer Sachzwänge umgeben konnte. Die Globalisierung aber ist keine Zwangsläufigkeit, die keinen Raum mehr für Politik ließe, sondern sie folgt selbst einer Politik. Diese Politik nannte Bourdieu – scheinbar paradox – eine Politik der Entpolitisierung. Wenn eine andere Welt möglich werden soll, dann erfordert der Weg dorthin zuallererst, die Politik der Entpolitisierung zu durchbrechen und das politische Denken gegen die Sachzwänge zu verteidigen.