www.tagesschau.deStand: 10.08.2010 19:15 Uhr:
Guantánamo-Prozesse
Von Obamas Versprechen ist wenig zu spüren
In Guantánamo wurde heute ein Urteil gefällt - und ein Prozess eröffnet. Verurteilt wurde Bin Ladens ehemaliger Leibwächter - wie hoch die Strafe ist, bleibt aber geheim. Der Prozess gemacht wird dem Kanadier Omar Khadr. Dessen Geständnis wurde unter Folter erpresst, ist aber trotzdem vor Gericht zulässig.
Von Ralph Sina, WDR-Hörfunkstudio Washington
[ Ibrahim al-Kosi ]
Mehr Transparenz bei den Verfahren der Militärtribunale hatte der US-Präsident Barack Obama versprochen. Doch als jetzt zum ersten Mal während seiner Präsidentschaft ein Guantánamo-Häftling verurteilt wurde, da war vom Transparenz-Versprechen wenig zu spüren: Das Urteil gegen den 50-jährigen Sudanesen Ibrahim Mohammed al Kusi, verhängt von einer Militärrichterin in den USA, wird wie ein Staatsgeheimnis behandelt.
Bekannt ist nur, dass der ehemalige-Leibwächter, Koch und Finanzbuchhalter von Osama bin Laden mit den Militärbehörden eine Begrenzung des Strafmaßes ausgehandelt und sich im Gegenzug in allen Anklagepunkten für schuldig erklärt hat. Al Kusi durfte daraufhin Guantánomo Richtung USA verlassen und wird in einem amerikanischen Militärgefängnis seine Strafe absitzen, bevor er in den Sudan abgeschoben wird.
Acht Jahre lang war der ehemalige Bin Laden-Vertraute in Guantánamo inhaftiert. Acht Jahre lang wurde auch der ehemalige Al-Quaida-Kindersoldat Omar Khadr dort festgehalten - gegen ihn begann heute der Prozess in dem Gefangenenlager auf Kuba.
Erster Prozess in Obamas-Amtszeit
Der Fall des 23-jährigen gebürtigen Kanadiers Omar Khadr sorgt für Schlagzeilen in den US-Medien. Denn er ist der mittlerweile einzige Staatsbürger eines westlichen Landes, dem vor dem Guantánamo-Militärtribunal der Prozess gemacht wird.
Gerade mal 15 Jahre alt war Omar Khadr, als er von US-Truppen in Afghanistan festgenommen und nach Guantánamo überstellt wurde. Über ein Drittel seines Lebens hat er in den Zellen des Sondergefängnisses verbracht. Als kleinen Junge hatten ihn seine Eltern nach Afghanistan gebracht und zwangen das Kind zum Terrortraining. Kurz vor seiner Festnahme soll Omar Khadr einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet haben, so die Anklage.
Unter Folter erpesste Aussagen zulässig
Omar Khadr habe das schwere Verbrechen während der Verhöre gestanden, so das Militärtribunal. Den Einwand des Angeklagten und seines Verteidigers, dass alle entscheidenden Aussagen nur unter folterähnlichen Verhörmethoden zustande gekommen seien, ließ der zuständige Richter nicht gelten. "Die Guantánamo-Aussagen des Angeklagten sind nach dem Urteil des Richters als Beweismaterial zulässig", berichtet Amerikas Nationaler Radiosender NPR.
"Ein Skandal ersten Ranges", so die Kritik amerikanischer Bürgerrechtsorganisationen. Zwar habe Obama die Folter-Verhöre seines Vorgängers George W. Bush verboten. Aber Aussagen, die während dieser brutalen Verhöre gemacht wurden, seien plötzlich trotzdem beweiskräftig.
Er habe nur gestanden, weil er systematisch misshandelt worden sei, sagt Omar Khadr. Man habe ihn mehrfach beinahe erstickt und die Luft bis zur Ohnmacht abgeschnitten. Die Vernehmungsbeamten hätten Hunde auf ihn gehetzt. Gleichzeitig habe man seinen Kopf mit einer Plastiktüte umwickelt.
Ankläger: "Schläge sind keine Folter"
Die Ankläger geben zwar zu, dass der Gefangene mehrfach geschlagen wurde. Auch Schlafentzug sei angeordnet worden. Doch diese gezielt herbeigeführten sogenannten "Stresssituationen" hätten mit Folter oder folterähnlichen Verhörmethoden nichts zu tun.
Noch völlig unklar ist, ob sich das Alter des Angeklagten strafmildernd auswirken wird. Der 15-Jährige habe den Status eines Kindersoldaten und sei nach internationalem Recht deshalb nicht als eigenverantwortlich zur Rechenschaft zu ziehen, so die Argumentation von US-Menschenrechtsorganisationen. Doch internationales Recht und die Guantánamo-Militär-Sondergerichte habe auch unter Obama sehr wenig miteinander zu tun.
Weltatlas: Kuba [Flash|HTML]
www.tagesschau.deStand: 10.08.2010 05:12 Uhr:
Prozess gegen Omar Khadr
Heikler Fall vor Guantánamo-Militärtribunal
Mit nur 15 Jahren wurde er in Afghanistan festgenommen - und er sagt, er sei mit Folter zu Aussagen gezwungen worden. Heute beginnt im US-Gefangenenlager Guantánamo der Prozess gegen den Kanadier Khadr. Er soll einen US-Sanitäter getötet haben.
Von Albrecht Ziegler, SWR-Hörfunkstudio Washington
Omar Khadr wurde im Juli 2002 bei einem Angriff auf ein Al-Kaida-Lager festgenommen. Bei einem Feuergefecht zwischen den Extremisten und amerikanischen Soldaten soll er eine Handgranate auf einen US-Sanitäter geworfen haben, der dadurch getötet wurde. Das ist einer der Hauptvorwürfe, weshalb er vor Gericht steht.
Ex-General John Altenburg, der in der Bush-Regierung für Militärtribunale auf Guantánamo zuständig war, sagte dazu im Fernsehsender CNN: "Es gibt Beweise, dass er derjenige war, der eine Handgranate geworfen hat, die einen amerikanischen Soldaten tötete." Dies bestreitet Khadrs Verteidiger, Oberstleutnant Jon Jackson: "Die Beweise in diesem Fall sind eindeutig, dass Omar Khadr die Handgranate nicht geworfen hat."
Ein 15-Jähriger gerät in US-Gefangenschaft
[Bildunterschrift: Omar Khadr war bei seiner Festnahme 15. Ob er einen US-Sanitäter getötet hat, ist unklar. ]
Daneben gibt es weitere Vorwürfe gegen den 23-Jährigen. Er soll Sprengfallen gebaut und den Terrorismus unterstützt haben. Khadrs Fall sorgte für Aufsehen, weil er mehr als ein Drittel seines Lebens ins US-Haft verbracht und erst 15 Jahre alt war, als er von Amerikanern festgenommen wurde. Khadr sei ein Kindersoldat, sagt Verteidiger Jackson, und fordert deshalb Nachsicht. Ein Ankläger machte jedoch klar, dass das Alter keine Rolle spielen solle, solange die Schuldfrage geklärt wird. Erst wenn es um die Frage gehe, wie lange Khadr in Haft müsse, sei das Alter von Bedeutung.
Verteidiger Jackson griff vor diesem Hintergrund Präsident Barack Obama scharf an, der im Wahlkampf versprochen hatte, Guantánamo ein Jahr nach Amtsantritt zu schließen. Obama halte an den Militärtribunalen fest, die von der Bush-Regierung für Guantánamo-Insassen eingeführt wurden. Obama habe sich entschlossen, das nächste traurige, erbärmliche Kapitel im Buch der Militärkommissionen zu schreiben. Unglücklicherweise beginne der Präsident mit dem Fall eines Kindersoldaten.
Aussagen unter Folter erzwungen?
[: Offiziell bleibt es Obamas Ziel, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen. ]
Die Obama-Regierung verschärfte zwar die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Tribunale. So dürfen beispielsweise Beweise, die unter Folter zustande gekommen sind, nicht mehr im Prozess verwendet werden. Khadr behauptet jedoch, dass seine Aussagen mit solchen Mitteln erzwungen wurden.
Der Journalist Spencer Ackerman war bei den Anhörungen im Vorfeld des Prozesses dabei, bei denen auch US-Militärs, die im Gefangenenlager Baghram in Afghanistan stationiert waren, zu Wort kamen. "Wir haben Aussagen gehört, dass Omar Khadr kurz nach seiner Verhaftung, während seiner Haft in Baghram, als er fast tödliche Schusswunden überlebt hatte, mit Handschellen gefesselt wurde – an den Türrahmen, die Hände über dem Kopf", sagt Ackerman im öffentlich-rechtlichen Radiosender NPR. Auch habe man Khadr eine Kapuze übergestülpt.
Offiziellen Dokumenten zufolge war Khadr in Guantanamo auch im "Vielfliegerprogramm". Das ist Militärjargon für ein Vorgehen, bei dem Gefangene alle drei Stunden von einer Zelle in eine andere verlegt werden. So wird ihnen vor Verhören der Schlaf entzogen, um sie gefügig zu machen.
Im Verhör zusammengebrochen
[ Gefangener in Guantánamo. Wie viele andere Insassen wurde Khadr nicht von seinem Heimatland Kanada zurückgenommen. ]
Khadr ist kanadischer Staatsbürger. Er wurde in Toronto geboren und lebte bis zu seinem neunten Lebensjahr dort, bis sein Vater mit der Familie nach Afghanistan ging. Er wude während der Haft in Guantánamo auch von Geheimdienstmitarbeitern seines Heimatlandes verhört. Seine Verteidiger veröffentlichten Videoauszüge der Befragung des damals 16-Jährigen, die auch auf die Internetseite Youtube gestellt wurden. "Schau' mir in die Augen und sag' mir, dass du ehrlich bist", sagte ein kanadischer Agent darin. Khadr antwortete, er sei ehrlich. Später brach der Teenager zusammen.
Kanada hat kein Interesse, Khadr zurückzunehmen, sagt der Journalist Ackerman. Die Regierung habe nicht einmal einen Auslieferungsantrag gestellt. "Sie wollen ihn im Grunde nicht zurück haben. Sie wollen, dass die Vereinigten Staaten den Fall juristisch abwickeln."
Weltatlas: USA [Flash|HTML]