"Inge Viett werden versuchte Gefangenenbefreiung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte."
Junge Welt:
"Militaristische Rituale"
Inge Viett, früheres Mitglied der Bewegung »2. Juni«, wurde bei Protesten gegen das Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin festgenommen und stand am Donnerstag vor Gericht. Sie gab dort eine Erklärung ab, in der es heißt:
Es ist mir zunächst einmal wichtig, einiges über den Anlaß und den Hintergrund dieses Verfahrens anzumerken, denn schließlich ist dieser Gerichtstermin das Ergebnis einer Protestkundgebung gegen Krieg und Militarismus, an der ich 2008 anläßlich eines öffentlichen Gelöbnisses der Bundeswehr teilnahm. Die öffentlichen Rituale wie Zapfenstreich, Gelöbnisse, Orden, Waffenshows, Militärkonzerte, sind ja Ausdruck der Wiederkehr von Hurrapatriotismus und Großmachtpolitik.
Kolonialkriege, Völkermord und zuletzt zwei Weltkriege wurden bereits in dieser Tradition geführt, und sie führt heute wieder direkt zu den Angriffskriegen und Kriegseinsätzen, die die Bundeswehr seit zwei Jahrzehnten und gegenwärtig in Afghanistan unternimmt. Diese Rituale sind also wieder die Begleit- und Werbemusik für die deutsche Kriegsarmee im Einsatz zur Eroberung und Sicherung von Märkten für den Profit. Dagegen sind wir mit unseren Protesten aktiv. (...)
Das Muster der herrschenden Propaganda zum Betrug der Bevölkerung ist ebenfalls historisch erprobt. (...)
Militär und Regierung reden unverschämt verlogen von Verteidigungsarmee, Parlamentsarmee, Friedensarmee und Friedenspolitik. Von Freiheit und westlichen Werten, die es am Hindukusch zu verteidigen gilt. Was verteidigen sie denn in Afghanistan? Die Freiheit der großen Konzerne, das Land unter ihre kapitalistischen Stiefel zu nehmen! Sie verteidigen die Werte von Profit, Raubbau, Allmacht und Kontrolle! Sie verteidigen ihre Macht zur Beherrschung und Ausbeutung der Welt! Und wieso Parlamentsarmee? Weil die Mehrheit des Parlaments ihren Einsätzen und ihrer Aufrüstung immer wieder zustimmt und vor der Bevölkerung den Krieg legitimieren hilft? (…) Die Friedenspolitik der Bundeswehr ist Friedhofspolitik. (...)
Ich habe von einem historischen Propagandamuster gesprochen, und das möchte ich belegen mit dem Auszug aus einer Rede Adolf Hitlers vor der deutschen Presse 1938. Also ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Ich zitiere: »Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden. (...) Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann.« (...)
Keine noch so brutalen Polizeieinsätze, keine juristische Verfolgung und keine noch so gemeine Pressehetze können und dürfen die kritische Bevölkerung davon abhalten, gegen die Kriegspolitik der Regierung und gegen die innere Militarisierung der Gesellschaft den Widerstand zu organisieren. Ich hoffe, das Gericht gehört zur kritischen Bevölkerung und hat mir zugehört."
Quelle: de.indymedia.org/2009/10/262467.shtml
Beamte mit Erinnerungslücken
Widersprüche im Prozeß gegen zwei Kriegsgegnerinnen. Polizeizeugen bieten groteske Inszenierung
Von Markus BernhardtDer Prozeß gegen Inge Viett wegen »Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte« und »Gefangenenbefreiung« vor dem Berliner Amtsgericht wird in etwa drei Wochen fortgesetzt. Gemeinsam mit der Kriegsgegnerin Wiltrud S. war die ehemalige Aktivistin der »Bewegung 2. Juni« bei Protesten gegen ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr am 20. Juli 2008 in Berlin festgenommen worden. Während das Amtsgericht das Verfahren gegen S. am Donnerstag gegen Zahlung von 600 Euro an die Justizkasse einstellte, muß gegen Viett weiterverhandelt werden, da sie wegen ihrer Mitgliedschaft in der Stadtguerilla als vorbestraft gilt. Beide Kriegsgegnerinnen verurteilten zu Verhandlungsbeginn die Beteiligung der Bundeswehr an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen.
Ein fragwürdiges Demokratieverständnis offenbarten die beim Gelöbnis 2008 eingesetzten Polizeibeamten. So widersprach sich der Zugführer der 24. Berliner Einsatzhundertschaft während seiner Aussage mehrfach und rühmte sich bei sogenannten Widerstandsaktionen »mit aller Entschiedenheit und Härte« vorzugehen. Obwohl auf dem im Prozeß gezeigten Videomaterial der Polizei keine von Wiltrud S. und Inge Viett begangenen Straftaten zu sehen waren, beharrte der Hundertschaftsführer darauf, die beiden Angeklagten bei einer versuchten Gefangenenbefreiung beobachtet zu haben. Man müsse ihm wohl Glauben schenken, forderte der Beamte. Für Unruhe im bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerraum hatten zuvor auch die Aussagen weiterer Polizisten gesorgt, die sich entweder an kaum etwas erinnern konnten, widersprüchliche Angaben machten und teilweise versuchten, sich als Opfer gewalttätiger Bundeswehrgegner zu präsentieren.
Ein fragwürdiges Demokratieverständnis offenbarten die beim Gelöbnis 2008 eingesetzten Polizeibeamten. So widersprach sich der Zugführer der 24. Berliner Einsatzhundertschaft während seiner Aussage mehrfach und rühmte sich bei sogenannten Widerstandsaktionen »mit aller Entschiedenheit und Härte« vorzugehen. Obwohl auf dem im Prozeß gezeigten Videomaterial der Polizei keine von Wiltrud S. und Inge Viett begangenen Straftaten zu sehen waren, beharrte der Hundertschaftsführer darauf, die beiden Angeklagten bei einer versuchten Gefangenenbefreiung beobachtet zu haben. Man müsse ihm wohl Glauben schenken, forderte der Beamte. Für Unruhe im bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerraum hatten zuvor auch die Aussagen weiterer Polizisten gesorgt, die sich entweder an kaum etwas erinnern konnten, widersprüchliche Angaben machten und teilweise versuchten, sich als Opfer gewalttätiger Bundeswehrgegner zu präsentieren.