Als Referent war der erfahrene EU-Kritiker und Autor der Zeitung „Cilip“ Heiner Busch geladen. Da dieser bereits auf 30 Jahre polizeikritische Arbeit zurückblicken kann, war eine professionelle Behandlung des Themas „Grenzenlose Polizei“ garantiert.
Der erste Schwerpunkt des Vortrags war die öffentliche Kooperation der Polizeibehörden im Europäischen Raum. Dass diese heute schon zur Normalität gehört, konnte Heiner Busch anschaulich mit einer einführenden Anekdote vermitteln. Bei seiner Reise nach Berlin wurde sein Zug auf Höhe Offenburg - also im Grenzberich - von einer gemischten Patrouille der französischen und deutschen Polizei kontrolliert. Auf Nachfrage, wieso denn trotz des Schengenabkommens im Grenzbereich kontrolliert würde, antworteten die Beamten, dass es sich nicht um einen „Grenzbereich“ sondern um einen „grenznahen Raum“ handele, womit die
durchgeführt Kontrolle eine ganz normale Situation im Rahmen der Schleierfahndung sei.
Es sei, so Heiner Busch, schon seit einigen Jahren spürbar, dass das frühere Misstrauen der Behörden gegenüber ihren ausländischen Pendants allmählich gänzlich verschwindet. Während man sich vor 15 Jahren noch bemühte, Verbindungsbeamte zu entsenden und gemeinsame Kommissariate zu bilden, sei man heute in der Praxis schon soweit, dass auch Beamte im Ausland hoheitliche Befugnisse besitzt. Dies gilt jedoch nicht nur für die Standartsituationen der grenzüberschreitenden Verfolgung Krimineller oder der Präsenz in der Öffentlichkeit. Gerade bei den internationalen Großveranstaltungen wie dem WEF in der Schweiz, den G8-Gipfeln oder der Fußball-Europameisterschaft hat sich viel getan. Das entsenden von Spezialisten, Beratern und von Ausrüstung samt Personal ist auch - wie zuletzt beim Klimagipfel in Kopenhagen zu sehen – längst Standard.
Noch gefährlich und schon viel länger fortgeschritten ist laut Heiner Busch jedoch die Verschmelzung der Polizeien bei verdeckten Operationsmethoden. Schon seit den 70er Jahren lernten die Europäischen Behörden von US-Diensten nicht nur die praktische Arbeit sondern übernahmen von ihnen auch die Fähigkeit Skandale zu produzieren. Damals führte es regelmäßig zu Spannungen, wenn eine Polizei in fremden Ländern bei der Arbeit erwischt wurde. Heute dagegen sei die Skandalisierung von polizeilichen Methoden nicht mehr möglich, da Absprachen und eine allgemeine Professionalisierung keine Angriffspunkte mehr bieten.
Auch die Vernetzung im EDV-Bereich ist derart konstruiert, dass ein Rahmen geschaffen wurde, um grenzüberschreitend zu fahnden, auszuschreiben, auf personenbezogene Daten zuzugreifen und zu verwerten. Bei Europol geht das sogar so weit, dass sexuelle Vorlieben und Gesundheitsdaten im Bedarfsfall für die Polizist_innen bereitstehen. Nach Einschätzung des Referenten ist in diesem Bereich zwar auf nationaler Ebene ein gewisses gesellschaftliches Interesse an Datenschutz spürbar; auf EU-Ebene spielt dies jedoch keine Rolle.
Zum Ende des Vortrags entwickelte Busch aus seiner Kritik eine Zukunftsvision der internationalen Polizeizusammenarbeit, vor der auch die linke und linksradikale Bewegung nicht die Augen verschließen kann: Durch den Lissabonvertrag werden wir mit einem rasenden Fortschritt auf dem Gebiet der Repression zu tun haben. Es wurde bereits die notwendige Einstimmigkeit im Ministerrat durch die qualifizierte Mehrheit ersetzt, welche eben u.a. auch die Gesetzgebung bei inneren und Justizangelegenheiten betreffen können. Zwar gibt es ein Mitentscheidungsverfahren für das EU-Parlament; nach Einschätzung des Referenten wird dies jedoch nichts bewirken, da die europäischen Fraktionen dem Druck der nationalen Parteien nichts entgegensetzen können. Dies hat die Vergangenheit bereits bewiesen, als bei der Frage der Vorratsspeicherung die Mutterparteien das EU-Parlament haben einknicken lassen. Dessen ungeachtet ruft Busch dazu auf, linke Politiker auf Europaebene zu unterstützen, da sie bei der Informationsbeschaffung auch für die radikale Linke und damit für eine widerständige Arbeit und Bewegungsbildung extrem wichtig sind.
Was jedoch viel wichtiger ist - und das kristallisierte sich auch in der anschließenden Diskussion unter den Teilnehmer_innen sehr stark heraus - ist die Notwendigkeit eines Rufes nach einem internationalen und europaweiten linksradikalen und bürgerlichen Widerstand. Es mangelt bisher an der theoretischen Beschäftigung mit der Thematik, am europäischen Denken im widerständigen Sinne und der Schaffung einer dazugehörigen Öffentlichkeit auch im nationalen Kontext. Das heißt in der Praxis: es gibt heute leider nur wenig Gegenwind gegen die internationale Aufrüstung der Staatsmacht.
Als Konsequenz wird es am 29. Januar eine Vollversammlung geben, die als ernst gemeinte Option des linken und linksradikalen Widerstandes geplant ist. Es gibt zwar viel schwarz zu sehen, jedoch ist es auch wichtig zu erkennen und zu erfahren, dass es Möglichkeiten gibt, als Bewegung dem Staatsapparat etwas entgegen zu setzen. Wenn das staatliche Konzept die „Full Spectrum Dominance“ ist, kann die Antwort der Basis nur heißen: „Full Spectrum Resistance“!