Kurt Hiller, Pazifist und Sozialist, der beide Weltkriege miterleben musste (und zudem als Jude und Homosexueller von den Nazis schwerer Verfolgung ausgesetzt war), meinte einmal, dass „[wir] nicht die pazifistische Harfe zu schlagen“ hätten, sondern „lieber den pazifistischen Hammer (…) schwingen“ sollten (Hiller 1981, S. 10). Dieses schöne Hiller-Zitat – und Hiller selbst kommt in dem hier besprochenen Buch an unterschiedlichen Stellen immer wieder vor – kam dem Rezensenten öfters in den Sinn, als er „Pazifismus und Antimilitarismus“ von Wolfram Beyer las. Der Autor porträtiert ganz im Sinne Hillers „keine Lammesgesinnung und keine Betschwestertugend, sondern die kämpferische Bewegung für eine Idee“ (Hiller 1981, S. . Dieser theorie.org-Band macht es sich zur Aufgabe, verschiedene Facetten von Geschichte und Gegenwart, Theorie und Praxis des Pazifismus und Antimilitarismus zu erläutern und, wie im Klappentext zu lesen ist, „in enzyklopädischer Tradition Klarheit in Begrifflichkeiten und Geschichte der Friedensbewegung zu bringen“.

Pazifismus und Antimilitarismus

Die Klarheit der Begrifflichkeiten ist ein nicht zu unterschätzendes Vorhaben, sind Termini wie Pazifismus (der wiederum aufgeschlüsselt wird in Unterbegriffe wie politischer, libertärer und Belli-Pazifismus), Antimilitarismus (unterteilt in liberaler, sozialistischer und anarchistischer Antimilitarismus), Gewaltfreiheit, Kriegsdienstverweigerung, Zivilismus etc. keinesfalls synonym zu gebrauchen, auch wenn die Grenzen dazu neigen, zu verschwimmen. Die gröbste Unterscheidung der im Titel gebrauchten Begriffe „Pazifismus“ und „Antimilitarismus“ verortet Beyer in dem historischen und politischen Umfeld, in denen diese Strömungen entstanden. Während der Pazifismus eher einem bürgerlichen Umfeld entsprang, nicht notwendigerweise antimilitaristisch oder gewaltfrei sein muss und zudem an die Möglichkeit eines „friedlichen Staates“ glaubt, an dessen Führungsfiguren es zu appellieren gilt, um Frieden zu schaffen (wobei der Begriff „Anarchopazifismus“ logischerweise wiederum mit dieser Tradition bricht), so war der Antimilitarismus eher ein „antikapitalistisch orientiert[es]“ (S. 41) Phänomen der ArbeiterInnenbewegung, der SozialistInnen, GewerkschafterInnen und AnarchistInnen.

An dieser Stelle geht der Autor näher auf sozialistischen Antimilitarismus vor allem Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts ein und diskutiert auch die Dispute, die diese beispielsweise mit dem anarchistischen Antimilitaristen Domela Nieuwenhuis im Rahmen der Zweiten Internationalen hatten, welche sich unter anderem um die Frage des Generalstreiks im Kriegsfall drehten. Zudem „richtete sich [Nieuwenhuis] gegen die marxistische Militarismusanalyse mit dem Vorwurf gegen die Sozialdemokratie, dass sie die Institution Militär nicht grundsätzlich abschaffen, sondern lediglich korrigieren wolle“ (S. 29). Über diesen Weg gelangte man letztendlich auch vom Antimilitarismus zu Staatskritik und Gewaltfreiheit, denn „Kritik am Militarismus“ sei zugleich auch notwendigerweise „Staatskritik, und Staatskritik ist wiederum Gewaltkritik“ (S. 34). Die hier dargelegten Facetten des Antimilitarismus und Pazifismus sind keineswegs lediglich der persönlichen politischen Präferenz des Rezensenten geschuldet, sondern die Verbindung der im Buch behandelten Strömungen und Ideenlehren mit Sozialismus, Anarchismus, Anarchosyndikalismus, Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung ist eine, die Beyer häufig hervorhebt, was ein durchaus spannendes und erhellendes Merkmal des Buches ist.

Der Autor bietet in seinem Buch eine Mischung aus Begriffserklärung und Definition, Abrisse aus historischen und gegenwärtigen Debatten in antimilitaristischen und pazifistischen Kreisen sowie auch einige Facetten der Praxis. Dies wird besonders an dem Punkt interessant, wo Facetten der Gewaltfreiheit wie gewaltfreier Widerstand, ziviler Ungehorsam, Nicht-Zusammenarbeit, Streik, Direkte Aktion oder Soziale Verteidigung erörtert werden. Positionen von Gruppen und Organisationen wie der War Resisters' International, der Internationale der Kriegsdienstgegner/innen sowie der gewaltfrei-anarchistischen Zeitschrift Graswurzelrevolution – denen der Autor allen nahe steht beziehungsweise aktiv bei ihnen war/ist – werden in den Ausführungen prominent platziert und vorgestellt, was LeserInnen mit einem etwas radikaleren Zugang zum Thema freuen wird. Bei einem der wohl bekanntesten Theoretiker der Gewaltfreiheit – Gene Sharp (kürzlich erst mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet) – vermisst man jedoch die libertäre Kritik, die immer wieder geäußert wurde (vgl. etwa Marin 2012), wobei es sich bei einer knappen Einführung wie dieser wohl auch reichlich schwierig gestaltet, stets jede geäußerte Kritik in adäquater Form unterzubringen.

Weltlich-humanistischer Zugang

Was der Autor jedoch nicht verbergen konnte (oder wollte), war sein weltlich-humanistischer Zugang zum Thema. Religiöse Positionen zu dem behandelten Themenfeld finden kaum Erwähnung in dem Buch und wenn man dann doch von ihnen liest, kommen sie oft nicht besonders gut weg. Dieser weltlich-humanistische Zugang (vermischt mit den erwähnten Verbindungen, die mit Arbeiterbewegung, Sozialismus und Anarchismus hergestellt werden) ist einerseits natürlich sympathisch, widerspricht er doch der in linksradikalen Kreisen immer wieder anzutreffenden Meinung, Pazifismus und Gewaltfreiheit seien entweder schlichtes reformistisch-bürgerliches Harmoniebedürfnis im Endstadium oder eben bloß Ausdruck religiöser Glaubensbekundungen. Beyer hat diesem weltlich-humanistischen Zugang bereits ein eigenes Buch gewidmet (vgl. Beyer 2007), wo er diese Positionierung ganz offen vermitteln konnte. Im Falle der hier besprochenen Publikation hinterlässt dieser Zugang aber unweigerlich eine Lücke. Die fast vollständige Absenz beziehungsweise die tendenziös-negative Haltung gegenüber religiösen Facetten zum Thema bei einem Buch, das relativ neutral verspricht, eine „Einführung in die Ideengeschichte“ zu sein, ist doch ein erwähnenswertes Manko, egal, wie man persönlich letztendlich zur Frage der Religion stehen mag. An progressiv-religiösen Facetten des Pazifismus und Antimilitarismus, die man im Rahmen einer derartigen Publikation hätte behandeln können, würde es zumindest nicht mangeln. Religionen (egal welche) sind für den Autor zumeist lediglich „Triebkräfte für Verfolgung und Krieg, für Folter und Mord“ (S. 221). Zwar versucht der Autor, zum Schluss noch die Kurve zu kriegen, indem er auch auf die „Vielzahl der gewaltfreien und religiösen Menschen“ in den Weltreligionen hinweist, für den Grundtenor der gesamten Publikation sind derartige „Zugeständnisse“ aber unerheblich.

PazifistInnen und AntimilitaristInnen mit religiösen Zugängen und Überzeugungen werden sich daher von dieser Einführung weniger angesprochen fühlen – auch wenn zumindest die größte religiös-friedenspolitische Organisation Internationaler Versöhnungsbund sowie der Einfluss der QuäkerInnen immer wieder positive Erwähnung finden. Jene LeserInnen mit einem nicht-religiösen, weltlich-humanistischen, gewaltfrei-revolutionären, sozialistischen, anarchistischen und klassenkämpferischen Zugang zum Thema werden hingegen der Lektüre mit Sicherheit einiges abgewinnen können und diese mit Gewinn lesen.