Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, macht sich verdächtig!
Aufruf gegen Generalverdacht und Bekenntniszwang
In der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung wurde beschlossen, die Bundesprogramme gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus auszuweiten. Auch die Auseinandersetzung mit Linksextremismus wurde zur Zielsetzung erklärt. Dagegen wurde in einer unter dem Titel „Folgenreiche Realitätsverleugnung: Das neue Extremismusbekämpfungsprogramm der Bundesregierung“ veröffentlichten Erklärung u.a. eingewandt, dass dieser Neuakzentuierung der Bundesprogramme keine fachlich begründete Problemdiagnose, sondern das politische Motiv zu Grunde liegt, eine veränderte Gefahrendiagnose durchzusetzen, der eine nicht akzeptablen Gleichsetzung linker Gesellschaftskritik mit antidemokratischen und rassistischen Positionen zu Grunde liegt. Zu befürchten war, dass dies zu einer Ausgrenzung antirassistischer Initiativen und Projekte aus dem Kreis derjenigen führen wird, die als Angehörige der demokratischen Zivilgesellschaft und damit als legitime Gegner des Rechtsextremismus anerkannt werden.
Diese Befürchtung hat sich nunmehr bestätigt. Bei der Verleihung des sächsischen Förderpreises für Demokratie wurde denjenigen, die diese Ehrung erhalten sollten abverlangt, vorab eine Erklärung zu unterzeichnen. In dieser sollten sie bestätigen, dass sie sich selbst „zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen“; weiter war zu bestätigen, dass sie „dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten“ sowie dass „keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird“. In diesem Zusammenhang wurde auch bekannt, dass entsprechende Erklärung künftig von allen Projekten Initiativen gefordert werden sollen, die staatliche Fördermittel für demokratisches und menschenrechtliches Engagement beantragen.
Wir erklären hiermit, dass wir uns der Abgabe einer solchen Gesinnungserklärung verweigern werden und fordern auch alle betroffenen KollegInnen, Initiativen und Projekte dazu auf, eine solche Bekenntniszumutung prinzipiell abzulehnen.
Die Forderung, die eigene demokratische Haltung ausdrücklich nachzuweisen, erscheint nur vor dem Hintergrund eines entgegenstehenden Generalverdachts sinnvoll, den es dann im Einzelfall zu widerlegen gilt. Es ist aber nicht hinnehmbar, dass ein staatlicher Generalverdacht gegen alle etabliert wird, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagieren. Denn damit wird jedes Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus politisch verdächtig gemacht. Projekten und Initiativen wird zugemutet, sich selbst, ihre Mitarbeiter/innen und Kooperationspartnern antidemokratischer Tendenzen zu verdächtigen und entsprechend zu überwachen.
Staatlich verordnetes Misstrauen gegenüber den Bürger/innen ist aber mit einer demokratischen politischen Kultur nicht vereinbar, sondern ein Merkmal autoritärer Regime. Eigentlich sollten nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und des DDR-Regimes die Zeiten vorbei sein, in denen sich selbstbewusste engagierte Bürgerinnen und Bürger verdächtig machen.
Erstunterzeichner:
Prof. Dr. Albert Scherr (Freiburg), Prof. Dr. Roland Roth (Berlin), Prof. Dr. Benno Hafeneger (Marburg) Prof. Dr. Karin Böllert (Universität Münster), Prof. Dr. Melanie Groß (Fachhochschule Kiel, ) Prof. Dr. Franz Hamburger (Universität Mainz), MdL Henning Homann (Döbeln/Sachsen), Ulrich Keil (Bündnis für Demokratie und Zivilcourage e. V. Gröditz), Kulturbüro Sachsen e.V. Dresden, Prof. Dr. Rosemarie Karges (Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin), Prof.Dr. Franz Josef Krafeld (Hochschule Bremen, Netzwerk für Demokratie und Courage Dresden, ReachOut-Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus (Berlin), Dr. Karin Scherschel (Universität Jena), Prof. Dr. Titus Simon (Hochschule Magdeburg-Stendal), André Schnabel (DGB-Bezirk Sachsen), Prof. Dr. Jan Wulf-Schnabel (Katholische Hochschule Berlin), Anja Treichel (Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. Leipzig) Prof. Dr. Holger Ziegler (Universität Bielefeld)
sowie
Dr. Dario Azzellini (Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz)
Zoe Clark (Universität Bielefeld)
Jan Düker (Universität Bielefeld)
Volker Eick (Goethe Universität Frankfurt)
Dr. Ulrike Eichinger, Berlin
Dr. Catrin Heite (Universität Münster)
Ulrich Keil (Bündnis für Demokratie und Zivilcourage e. V. Gröditz)
Dr. Stefan Köngeter (Postdoc Research Fellow, University of Toronto
Thomas Ley (Universität Bielefeld)
Dr. Claus Melter (Universität Innsbruck)
Barbara Schäuble (Universität Kassel) Sven Steinacker (Universität Wuppertal)
Unterstützer/innen
Wir unterstützten die betroffenen Projekte und Initiativen und fordern von der Bundesregierung und den Landesregierungen, auf solche Verpflichtungserklärungen auch künftig zu verzichten.
Thomas Gebauer (medico)
Christian Staffa (Aktion Sühnezeichen Friedensdienste)
Weitere UnterzeichnerInnen sind selbstverständlich willkommen.
> http://ablehnung.blogsport.de/
Wer uns auch unterstützen möchte, kann sich unter akubiz@gmx.de melden!
Wirbel um Verleihung des Sächsischen Förderpreis
Foto: Frauenkirche Dresden, Trey Ratcliff, cc
Bürger Courage aus Dresden erhalten Sächsischen Förderpreis für Demokratie. AKuBiZ aus Pirna lehnen Ehrung aufgrund der Extremismus-Klausel ab. Projekte sollten erklären, dass ihre Projektpartner sich zum Grundgesetz verpflichten.
Der Preisträger Bürger.Courage e.V. aus Dresden ist eine ehrenamtlich und überparteilich arbeitende Bürgerinitiative für Demokratie. Ihr Ziel ist es, vor allem auch die „bürgerliche Mitte“ zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen versucht das Bündnis, die Dresdner Bürger immer wieder aufzurütteln und zum Nachdenken anzuregen. Dabei sucht der Verein immer wieder nach Einzelpersonen, städtischen Akteuren oder Unternehmen für Engagement für Demokratie und gegen Rechts. Vor 200 geladenen Gästen in der Dresdener Frauenkirche würdigte Laudatorin Gesine Schwan, Präsidentin der School of Governance und ehemalige Präsidentschaftskandidatin, das vielfältige Engagement der verschiedenen Preisträger. Insbesondere das Bemühen von Bürger Courage, für das Problem von Rassismus in der „Mitte der Gesellschaft“ zu sensibilisieren und diese zu Aktionen gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung zu mobilisieren stellte Schwan als ehrungswürdig heraus. Hierfür erhielt der Verein aus Dresden den mit 10.000 Euro dotierten Sonderpreis des Ministerpräsidenten.
Den ebenfalls mit 10.000 Euro dotierten Preis von Amadeu Antonio Stiftung, Freudenberg Stiftung, Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank und Stiftung Frauenkirche Dresden lehnte der vorgesehene Preisträger AKuBiZ e.V. aus Pirna ab. Auslöser für diese Entscheidung war die geforderte Unterzeichnung einer Extremismus-Klausel. Die für den Förderpreis nominierten Projekte sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung „dafür Sorge (zu) tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.“ Als mögliche Informationsquelle gab das Innenministerium, welches die Unterzeichnung der Klausel forderte beispielsweise den jährlichen Verfassungsschutzbericht und Behördenkontakte an.
In einer Erklärung zur Ablehnung des Preises durch das AKuBiZ heißt es dazu: „Praktisch bedeutet dies, dass wir gezwungen werden zu all unseren Partner_innen [..] Anfragen bei den genannten Institutionen zu stellen. Eine solche Regelanfrage würde zur permanenten gegenseitigen Überprüfung führen und somit die Vertrauensgrundlage für unsere bisher erfolgreiche Demokratiearbeit in Frage stellen.“
„Aus dem Selbstverständnis und den Zielen unseres Vereins ergibt sich zwangsläufig, dass wir ausschließlich mit Kooperationspartner_innen zusammenarbeiten, die sich den Menschenrechten und humanistischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.“ führt das AKuBiZ aus. Der Verein betont, dass „Initiativen sich mutig und vor Ort für den Schutz und die Etablierung demokratischer Normen und Werte ein(setzen)“ und berichtete von einem Brandanschlag auf das Auto eines Mitarbeiters durch Neonazis. In diesem Zusammenhang könne man nicht verstehen, warum nichtstaatliche Initiativen unter Generalverdacht gestellt werden. Inhaltlich unterstützt wurde der Verein durch Gesine Schwan, die in Reaktion auf die Kritik von Regierungssprecher Johann-Adolf Cohausz, der eine fehlende Geschäftsordnung des Sächsischen Förderpreis kritisierte, den Extremismus-Ansatz kritisch beleuchtete. Sie selbst sei eine streitbare Antikommunistin, müsse jedoch inzwischen einräumen, dass der Radikalenerlass, den sie selbst seinerzeit befürwortete, nicht sinnvoll sei, weil damit Menschen ohne geschlossenes Gedankengebäude in eine Ecke gedrängt werden. Demokratie brauche Vertrauen, man dürfe daher nicht mit Unterstellungen arbeiten, betonte Schwan.
Beim Entschluss, die Auszeichnung nicht anzunehmen, wussten die Projektmitglieder noch nicht, dass sie mit dem Hauptpreis ausgezeichnet werden sollten. Zwar unterschrieben sie die geforderte Extremismus-Klausel, entschieden sich jedoch kurz vorher, davon zurückzutreten. Schon am Eingang zur Frauenkirche verteilten sie Flyer an die Gäste, in denen sie ihre Entscheidung zur Ablehnung des Preises begründeten. Auf einer gesonderten Pressekonferenz fernab der offiziellen Feierlichkeiten zum Sächsischen Förderpreis verteidigte das AKuBiZ seine Entscheidung. Auch andere nominierte Initiativen kritisierten schon im Vorfeld der Preisverleihung die geforderte Erklärung. „Mit unserer Arbeit wollen wir [..] menschenfeindlichen Einstellungen [..] in allen gesellschaftlichen Bereichen entgegenwirken“ heißt es in einer Erklärung des Antidiskriminierungsbüros Sachsen. „Wir halten den Extremismusansatz deshalb nicht für ein geeignetes Mittel gegen Diskriminierung. Er delegiert gesamtgesellschaftliche Probleme an „extreme“ Ränder und versperrt dadurch die Sicht auf weitverbreitete diskriminierende Einstellungen [..] .“
Die Amadeu Antonio Stiftung bedauert die Ablehnung des Hauptpreises durch das AKuBiZ, weil die Jury das Projekt explizit wegen seiner guten und ehrungswürdigen Arbeit ausgesucht hat. „Wir können die Entscheidung des AKuBiZ gut nachvollziehen“, so Anetta Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung. „Wir haben im Vorfeld einen langen Kampf geführt, dass der Förderpreis überhaupt stattfinden kann.“ Im Nachgang der Jury-Sitzung habe es Diskussionen gegeben, in deren Konsequenz die Stiftung beinahe vom Förderpreis zurückgetreten wäre. Als Konsequenz der Diskussionen entschied sich das Innenministerium, die Extremismus-Klausel von den Projekten unterschreiben zu lassen. „Wir hätten dagegen Einspruch erheben sollen, aber der Zeitdruck und die Aufregung um die Diskussion waren zu groß. Die Stiftungen wurden für die Extremismus-Klausel instrumentalisiert.“, so Kahane weiter. Dabei liegt das Problem nicht in dem Bekenntnis zur Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung, das ohne Weiteres unterzeichnet werden kann. Problematisch ist vielmehr die Überprüfung der Gesinnung von potentiellen Projektpartnern. „Die Reaktion des AKuBiZ zeigt, dass wir genau den richtigen Preisträger ausgewählt haben.“
Von Robert Fähmel
11.11.2010
Schuldzuweisungen nach Eklat um Demokratiepreis
Berlin/Dresden Für den Eklat um den Sächsischen Förderpreis für Demokratie macht die Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung das Innenministerium des Freistaats verantwortlich. „Wir fühlen uns von der Regierung missbraucht“, sagte die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, am Mittwoch in Berlin.
Die Stiftung gehört zu den Initiatoren des Preises, als dessen Schirmherr Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) fungiert. »Erst nach der feststehenden Entscheidung der Jury hat Innenstaatssekretär Michael Wilhelm veranlasst, dass alle zehn nominierten Projekte eine Anti-Extremismus-Erklärung unterschreiben«, betonte Kahane. Mit dem Wortlaut der Erklärung hatte das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ) aus Pirna am Dienstagabend kurz vor der feierlichen Preisverleihung seinen Verzicht auf den mit 10 000 Euro dotierten Preis begründet. Das Innenministerium wies den Vorwurf des Missbrauchs am Mittwoch entschieden zurück. Das neue Verfahren sei mit den Stiftungen abgesprochen gewesen. dpa/son
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Aktuelles / Kreis der Freunde und Förderer der Amadeu Antonio Stiftung stellt sich hinter AKuBiZ e.V.
Kreis der Freunde und Förderer der Amadeu Antonio Stiftung stellt sich hinter AKuBiZ e.V.
Der Förderkreis der Amadeu Antonio Stiftung ist empört über die Ereignisse um den Sächsischen Demokratiepreis. Auch aus der bürgerlichen Gesellschaft regt sich Widerstand gegen die Forderung an Demokratieprojekte mit einer Unterschrift ihre demokratische Gesinnung zu garantieren.
Anderenfalls würden die Projekte nicht gefördert: „Das ist eine Geste des Misstrauens gegen die Demokratieprojekte. Deshalb hat eines unserer Mitglieder dem AKuBiZ heute 10.000 Euro überwiesen. Mit seiner Spende wehrt sich der Stifter dagegen, dass die schwere Arbeit gegen Rechtsextreme vor Ort dermaßen behindert wird“, berichtet Ida Schildhauer, Sprecherin des Freundeskreises. „Wir geben das Geld dafür, dass diejenigen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, Rückgrat beweisen. Geld sollte nicht der Grund sein, unangemessenem Druck nachzugeben. Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazis darf in Deutschland nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Das ist inakzeptabel“, betont Schildhauer mit Blick auf die Forderung der Politik ein Demokratiebekenntnis zu unterschreiben. „Politiker die solches fordern handeln ihrerseits undemokratisch. Wir haben den allergrößten Respekt vor diesen Projekten und werden sie auch in Zukunft unterstützen.“
Anetta Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung, unterstreicht: „Selbstverständlich bekennen wir uns zum Grundgesetz – anders kann man sich nicht für Demokratie einsetzen. Das Bekenntnis zur FDGO aber nur von einigen zu verlangen, die vom Staat Geld beantragen, zeugt von Misstrauen, wäre jedoch für die Projekte nicht das Problem. Die Überprüfung der Gesinnung von Projektpartnern und deren Partnern jedoch ist weder rechtlich noch demokratiepolitisch zu verantworten und fordert zur Gesinnungsschnüffelei auf. Das müssen wir ablehnen.“
Die Amadeu Antonio Stiftung fordert Bund und Länder daher auf, mehr Vertrauen in die Zivilgesellschaft zu setzen und von jeglicher Unterstellungspraxis dieser Art Abstand zu nehmen.
Das AKuBiZ e.V. aus Pirna hatte am Dienstag den Sächsischen Demokratiepreis abgelehnt, weil die Bedingung das Unterzeichnen einer sogenannten „Extremismus-Klausel“ war. Die für den Förderpreis nominierten Projekte sollten zum einen bestätigen, dass sie sich zur Freiheitlichen Demokratischen Grundordnung bekennen. Zum anderen mussten sie
erklären, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung „dafür Sorge (zu) tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.“
Das AKuBiZ e.V. hat sich durch sein couragiertes Handeln als würdiger Preisträger erwiesen. Dem anderen Preisträger Bürger.Courage e.V. gebührt jedoch nicht weniger Anerkennung für seine engagierte Arbeit gegen Rechtsextremismus und Alltagsrassismus.