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Die Versicherheitlichung des Klimawandels
19.5.2009
IMI-Analyse 2009/024
Die Versicherheitlichung des Klimawandels


Wie Brüssel die Erderwärmung für die Militarisierung der Europäischen Union instrumentalisiert



Seit einiger Zeit reden nicht allein nur Umweltschützer über das
Wetter bzw. das Klima, mittlerweile haben auch Politiker und seit
Neuem auch Militärs das Thema für sich entdeckt. So beschäftigte sich
der UN-Sicherheitsrat im April 2007 erstmals mit den "Auswirkungen
des Klimawandels auf den Frieden und die Sicherheit."[1] Selbst in
den Vereinigten Staaten, wo eigentlich lange versucht wurde, das
Phänomen grundsätzlich zu verleugnen, fordern mittlerweile prominent
besetzte Kommissionen, die sicherheitspolitischen Folgen des
Klimawandels stärker zu beachten.[2] Inzwischen verpflichtete der US-
Kongress die Regierung sogar darauf, den Auswirkungen der
Erderwärmung in allen relevanten Sicherheitsdokumenten eine hohe
Priorität einzuräumen.[3]

Auch die Europäische Union hat das hier brachliegende "Potenzial"
lange nicht erkannt. In der Europäischen Sicherheitsstrategie vom
Dezember 2003 wurde der Klimawandel "nur beiläufig erwähnt."[4] Dies
hat sich in der Zwischenzeit aber gründlich geändert. Schon im Juni
2007 wurden der EU-Außenbeauftragte Javier Solana und die EU-
Kommission angewiesen, einen Bericht zu den sicherheitspolitischen
Auswirkungen des Klimawandels anzufertigen. Am 14. März 2008 wurden
die Ergebnisse unter dem Titel "Klimawandel und internationale
Sicherheit" veröffentlicht (fortan als EU-Klimastrategie zitiert) und
am selben Tag vom Rat der Europäischen Union gebilligt.[5] Im
Dezember 2008 schob Solana zudem Empfehlungen zur Implementierung der
EU-Klimastrategie nach[6] und räumte dem Thema auch in seinem Bericht
zur Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie, der im selben
Monat veröffentlicht wurde, eine deutlich prominentere Rolle ein:
"Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit", so heißt es
dort, hätte sich in den letzten Jahren an "Dringlichkeit verschärft."
Konkret benannt wurden dabei u.a. folgende Auswirkungen: "Der
Klimawandel kann auch Streitigkeiten über Handelsrouten,
Meeresgebiete und vormals unerreichbare Ressourcen auslösen."[7]

Auffällig an der EU-Klimastrategie ist insbesondere, dass der
Themenkomplex auf extrem einseitige, eurozentristische Weise
abgehandelt wird. Ein Problem stellen die Folgen der Erderwärmung,
die vor allem die Menschen in den ärmsten Regionen der Welt am
härtesten treffen werden, erst dann dar, wenn durch sie die
europäische Sicherheit und europäische Interessen gefährdet werden.
Anstatt über Verteilungsgerechtigkeit den vom Klimawandel
verschärften Armutskonflikten effektiv vorzubeugen, beschäftigt man
sich lieber damit, wie diese effektiv militärisch gedeckelt werden
können. Mehr noch: gerade in der Arktis will man aus dem Klimawandel
sogar Kapitel schlagen und schlechterletzt mit ihm auch noch längst
anvisierte Rüstungsprojekte legitimieren. [8]


Klimawandel, Armut und gewaltsame Konflikte


Schon der erste Satz der EU-Klimastrategie (S. 1) räumt dem Thema
eine Relevanz und Dringlichkeit ein, mit der die späteren Forderungen
nach einer Intensivierung der europäischen Rüstungsanstrengungen
legitimiert werden: "Die Risiken des Klimawandels sind real und seine
Auswirkungen schon heute sichtbar." Daran anschließend wird
festgestellt, dass hierdurch "europäische Interessen direkt betroffen
sein können." (S. 2) Der Klimawandel wirke als
"Bedrohungsmaximierer", der zahlreiche auch ohne ihn vorhandene
Konflikte verschärfe und damit die Wahrscheinlichkeit, dass diese zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, erhöhe. Hierfür sei u.a. die
von der Erderwärmung verursachte Verringerung landwirtschaftlich
nutzbaren Ackerlandes (Desertifikation), die wachsende
Wasserknappheit sowie zunehmende Flutkatastrophen und Dürren
verantwortlich, die allesamt "zivile Unruhen" zur Folge haben
könnten. (EU-Klimastrategie: S. 3)

Unbestritten ist, dass der Klimawandel die ärmsten Länder am
härtesten treffen wird. So schreibt der Wissenschaftliche Beirat der
Bundesregierung zu globalen Umweltveränderungen (WBGU) in einem
Gutachten, das sich deutlich differenzierter mit der Thematik
auseinandersetzt als die EU-Klimastrategie: "Die globale
Temperaturerhöhung wird die Existenzgrundlage vieler Menschen
insbesondere in den Entwicklungsregionen gefährden, die Anfälligkeit
für Armut und soziale Verelendung erhöhen und damit die menschliche
Sicherheit bedrohen. Vor allem in schwachen und fragilen Staaten mit
leistungsschwachen Institutionen und Regierungssystemen dürfte durch
den Klimawandel zudem die Anpassungsfähigkeit an sich verändernde
Umweltbedingungen überfordert und damit der bereits bestehende Trend
allgemeiner Unsicherheit in vielen Gesellschaften und Regionen
verstärkt werden."[9] Ähnlich warnt auch die EU-Klimastrategie (S. 5)
davor, die Erderwärmung werde die "Instabilität schwacher oder
gescheiterter Staaten erhöhen." Implizit erkennt der Bericht sogar
den Kausalzusammenhang zwischen Armut und Krieg, also die sozialen
Ursachen solcher Konflikte an: "Die Unfähigkeit einer Regierung,
sämtliche Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen oder auch nur
Schutz vor klimabedingten Härten zu bieten, könnte zu Frustration
führen, Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen
Gruppen innerhalb von Ländern auslösen und eine politische
Radikalisierung nach sich ziehen." Bei einer Anhörung im
Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen
Parlaments am 31. März 2008 gab auch der Kommissionsvertreter Stanley
an, er befürchte zunehmende „soziale Spannungen zwischen denen, die
Geld haben, um sich anzupassen an den Klimawandel und denen, die
dafür kein Geld haben.“[10] Damit wird letztlich eine in der
Kriegsursachenforschung weit gehend unbestrittene Tatsache
eingestanden, nämlich, dass Armut die wichtigste Konfliktursache in
der so genannten Dritten Welt darstellt. Auch das Gutachten des
Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung lässt hieran keine
Zweifel aufkommen: "Empirische Untersuchungen zeigen, dass arme
Länder deutlich konfliktanfälliger sind als wohlhabende
Gesellschaften. Der Klimawandel wird gerade in Entwicklungsländern zu
spürbaren ökonomischen Kosten führen. [...] Klimawandel kann also
Entwicklungsblockaden und Armut verstärken und über diesen
Mechanismus die Konfliktgefährdung von Gesellschaften steigern."[11]
Armutsbekämpfung wäre demzufolge der effektivste Beitrag zur
Konfliktprävention, da hierzu aber offenbar keine Bereitschaft
besteht, wird vermehrt über militärische "Lösungen" nachgedacht.


Klimawandel und EU-Interessen


Nicht zuletzt die erwartete Zunahme umweltbedingter Migration wird
als ernste Bedrohung europäischer Interessen eingestuft: "Die
Vereinten Nationen prognostizieren, dass es im Jahr 2020 Millionen
'umweltbedingter' Flüchtlinge geben wird, für die das wandelnde Klima
die Hauptursache ist. [...] Europa muss sich auf einen substanziell
höheren Migrationsdruck einstellen." (EU-Klimastrategie: S. 4) Auch
das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes geht von substanziell
höheren Migrationszahlen aus, sieht aber - ganz im Gegensatz zu
seinem EU-Pendant - die westlichen Industrienationen hier durchaus in
der Verantwortung. Es plädiert dafür, dass "sich die Industrieländer
nach dem Verursacherprinzip ihrer Verantwortung werden stellen
müssen."[12] Stattdessen setzt die EU primär darauf, sich gegenüber
den erwarteten Flüchtlingsströmen abzuschotten und die hierfür
erforderlichen Kontrollstrategien auszubauen, was von den Gutachtern
massiv kritisiert wird: "Einen primär an der inneren Sicherheit der
Industriestaaten orientierten Ansatz, wie er in der aktuellen EU-
Politik sichtbar wird, bewertet der WBGU als zu einseitig, reaktiv
und bestenfalls kurzfristig wirksam."[13]

Eines der Hauptanliegen der EU besteht darin zu verhindern, dass die
herrschenden Hierarchie- und Ausbeutungsstrukturen in Frage gestellt
werden. Dies betrifft sowohl die generelle weltweite Ungerechtigkeit,
gilt aber auch und gerade für den Klimawandel: "Die großen
Unterschiede in den Pro-Kopf-Emissionen zwischen Industrieländern
sowie Entwicklungs- bzw. Schwellenländern werden zunehmend als
'Gerechtigkeitslücke' wahrgenommen, zumal die steigenden Kosten, die
durch die Klimawirkungen anfallen, insbesondere Entwicklungsländer
belasten. Je höher die Schäden und Anpassungslasten im Süden
ausfallen, desto gravierender werden die Verteilungskonflikte
zwischen den Verursachern und den Betroffenen des Klimawandels sein.
Die vom Klimawandel besonders betroffenen Länder werden auf das
Verursacherprinzip verweisen, sodass sich die internationale
Kontroverse um ein globales Kompensationsregime zum Klimawandel
verschärfen dürfte."[14] Vor genau dieser "politischen
Radikalisierung" warnt die EU-Klimastrategie und visiert den Ausbau
der erforderlichen Kontrollkapazitäten an, um damit jeden Versuch,
soziale Veränderungen und sozialen Ausgleich herzustellen, im Keim zu
ersticken. So rücken der deutsche Außenminister Frank-Walter
Steinmeier und sein britischer Amtskollege David Miliband die
Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit explizit in den Rang eines
sicherheitspolitischen Problems: "Eine Konfrontation zwischen
'Verschmutzern' – sowohl im Norden als auch unter den
Schwellenländern – und 'Opfern', die sich vornehmlich in der
südlichen Hemisphäre finden, würde die ohnehin schon belastete
internationale Sicherheits architektur weiterem Druck aussetzen."[15]

Aus Sicht der EU-Klimastrategie (S. 7) besteht ein weiteres Problem
darin, dass die durch die Erderwärmung verschärfte "politische
Instabilität negative Auswirkungen auf Europas Energiesicherheit und
andere Interessen hat." Dies treffe insbesondere für den Mittleren
Osten zu, wo die "Stabilität in einer für Europa vitalen
strategischen Region betroffen ist." Auch die zunehmende
Wasserknappheit im ölreichen Zentralasien wird primär als Bedrohung
für Europas Versorgungssicherheit gesehen.


Kollateralnutzen: Die Ressourcen der Arktis


Kurioserweise sieht die EU im Klimawandel nicht nur Risiken, sondern
auch Chancen. Dies betrifft insbesondere die sich mit dem Abschmelzen
der Pokappen eröffnenden Möglichkeiten zur Ausbeutung der arktischen
Ölvorräte, die auf bis zu 25% der Weltvorkommen geschätzt werden. In
der EU-Klimastrategie (S. 4ff.) heißt es hierzu: "Als Resultat der
globalen Erwärmung werden die Polarregionen ausbeutbar. [...] Da
vormals unzugängliche Regionen aufgrund der Auswirkungen des
Klimaeffekts geöffnet werden, werden sich die Auseinandersetzungen um
Ressourcen verschärfen. [...] Das rapide Abschmelzen der Polkappen,
besonders die Arktis, öffnet neue Wasserwege und internationale
Handelsrouten. Darüber hinaus verändern die verbesserten
Zugriffsmöglichkeiten auf die riesigen Hydrokarbonreserven in der
arktischen Region die geostrategische Dynamik in der Region und haben
möglicherweise Auswirkungen auf die internationale Stabilität und
europäische Sicherheitsinteressen."

Vor diesem Hintergrund hat mittlerweile eine regelrechte
Militarisierung der Region eingesetzt, womit vor allem die USA,
Russland und Kanada ihren Einfluss am Nordpol ausbauen wollen.[16] In
einer seiner letzten Amtshandlungen erließ George W. Bush noch am 9.
Januar 2009 die "National Security Presidential Directive 66", die
unmissverständlich betonte, dass "die USA große und fundamentale
nationale Sicherheitsinteressen in der Arktis haben." Im Abschnitt
"Implementierung" wird dabei u.a. anvisiert, "eine souveräne US-
Seepräsenz in die Arktis zu projizieren, um zentrale US-Interessen zu
fördern."[17] Auch innerhalb der NATO wird die Region mittlerweile
immer prominenter behandelt[18], was den russischen NATO-Botschafter
Dmitri Rogosin zu folgendem scharfen Kommentar veranlasste: "Die Nato
hegt Pläne für ihre Energiesicherheit. Unter diesem Vorwand sucht sie
offenbar eine Möglichkeit, in die Arktis-Region zu gelangen. Vor
diesem Hintergrund sollte die Diskussion über eine Nato-Beteiligung
an Arktis-Projekten als Absicht ausgelegt werden, die Allianz für den
Kampf um Rohstoffe zu instrumentalisieren."[19] Im Gegenzug hat
Moskau mittlerweile beschlossen, bis 2020 eine spezielle Truppe
aufzustellen, um seine wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen
Interessen in der Arktis zu schützen. Dies wiederum rief NATO-
Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer auf den Plan, der diese Pläne
zum Aufbau einer "arktische Armee" als Schritt in die falsche
Richtung kritisierte.[20]

Die der Bundesregierung zuarbeitende Stiftung Wissenschaft und
Politik befürchtet bereits zunehmende Auseinandersetzungen in der
Region: "Rivalitäten zwischen den USA und Russland in dieser Region
bleiben unter diesen Voraussetzungen sehr wahrscheinlich. [...] Die
Arktis ist zu einer Förderregion geworden, um die ein Wettlauf um
Förderrechte eingesetzt hat. Der Wettlauf wird mit jedem Ansteigen
des Ölpreises lukrativer werden und an Härte zunehmen."[21]

Nun will sich offenbar auch die Europäische Union einen Anteil am
Kuchen sichern und stärker in der Region mitmischen. So fordert die
EU-Klimastrategie (S. 11), "eine EU-Arktispolitik, basierend auf der
sich herausbildenden Geostrategie für die arktische Region zu
entwickeln, die u.a. den Zugang zu Ressourcen und die Öffnung neuer
Handelsrouten berücksichtigt." Den ersten Schritt für eine solche
europäische Arktis-Geostrategie stellt eine Ende 2008 veröffentlichte
Mitteilung der EU-Kommission dar. Auch dort werden die EU-Interessen
an der Region recht unmissverständlich folgendermaßen beschrieben:
"Die Ressourcen der Arktis könnten dazu beitragen, die
Energieversorgungssicherheit und die allgemeine
Rohstoffversorgungssicherheit in der EU zu verbessern."[22]

Erderwärmung und EU-Militarisierung

Statt die heutigen Konflikten zugrunde liegenden sozialen Ursachen zu
beseitigen, konzentriert sich die EU auf deren militärische
"Befriedung". Genau diesem Zweck dient die Versicherheitlichung der
Klimapolitik, wie der Politikwissenschaftler Michael Brzoska
ausführt: "Ein im Wesentlichen politisches Problem bezüglich der
Verteilung der Kosten für die Prävention und den Ausgleich der
Einkommensverluste und –Gewinne, die von Umweltveränderungen
verursacht werden, könnte als unlösbar erachtet werden. Dies würde
den Aufbau von Polizei- und Militärkräften erfordern, um zu
verhindern, dass dies zu einem großen Sicherheitsproblem wird. Die
Darstellung des Klimawandels als Sicherheitsrisiko könnte vor allem
die reichen Staaten im globalen Norden, die weniger von ihm betroffen
sind, dazu veranlassen, Maßnahmen zu verstärken, die darauf abzielen,
sich vor einem Überschwappen gewaltsamer Konflikte aus den armen
Ländern im globalen Süden zu schützen."[23]

Dementsprechend schlägt die EU-Klimastrategie (S. 9) vor, "die
Kapazitäten zur Untersuchung, Überwachung und Frühwarnung zu erhöhen.
[...] Die Überwachung und Frühwarnung schließt Fälle von fragiler
Staatlichkeit und politischer Radikalisierung, Auseinandersetzungen
um Ressourcen und Energieversorgung, umwelt- und sozial bedingte
Spannungen, Gefahren für die kritische Infrastruktur und
wirtschaftliche Einrichtungen, Grenzstreitigkeiten, Auswirkungen auf
die Menschenrechte und mögliche Migrationsbewegungen ein." Hiermit
sollen die Fähigkeiten für so genannte "Stabilisierungseinsätze" in
von Bürgerkriegen zerrütteten Staaten deutlich verbessert werden.
Dies wird überdeutlich in der Forderung der EU-Klimastrategie (S.
10), "die Kapazitäten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten weiter
auszubauen, einschließlich dem Zivilschutz und dem Einsatz von
Instrumenten zum Krisenmanagement und zum Katastrophenschutz (zivil
und militärisch), um zur Antwort auf klimabedingte Sicherheitsrisiken
beizutragen." Was hier gemeint ist, ist militärisches
Krisenmanagement, das ggf. um zivile Komponenten ergänzt wird, sofern
dies für die Erfüllung des Einsatzes nützlich ist.[24]

Dass der Klimawandel als Steigbügelhalter für Rüstungsprojekte dient,
die ohnehin schon lange ganz oben auf dem Wunschzettel stehen, wurde
bei der bereits erwähnten Vorstellung der EU-Klimastrategie im
Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen
Parlaments deutlich. Der Ausschussvorsitzende Karl von Wogau (CDU/
CSU) interpretierte die dortige Diskussion - Kritik kam lediglich von
der GUE/NGL - als Auftrag, die EU-Kapazitäten im Bereich des
(militärischen) Krisenmanagements zu erhöhen, "insbesondere, was die
Erweiterung der Transportkapazitäten und die satellitengestützte
Aufklärung angeht."[25] Hiermit benennt von Wogau exakt die zwei
Bereiche, die seit Jahren als größte Defizite einer effektiven
Militärmacht Europa identifiziert werden.

Dass es auch anders geht, zeigt das Gutachten des Wissenschaftlichen
Beirats der Bundesregierung, das anmahnt, sich primär auf die
Verbesserung der sozioökonomischen Lage zu konzentrieren, um den
schlimmsten Folgen des Klimawandels zu begegnen. Geradezu progressiv
ist die Forderung nach einer Umschichtung von Rüstungsausgaben in
Richtung der Entwicklungshilfe: "Die Militärhaushalte sollten
deutlich zugunsten präventiver Maßnahmen der
Entwicklungszusammenarbeit umgeschichtet werden."[26] Leider ist
davon auszugehen, dass dieser Vorschlag weder von der Bundesregierung
noch von der Europäischen Union aufgegriffen werden wird. Da generell
kein Interesse besteht, die für die eklatante Armut in der Dritten
Welt verantwortlichen Spielregeln des neoliberalen
Weltwirtschaftssystems fairer zu gestalten, zielt die EU-
Militärpolitik deshalb darauf ab, diese Ungerechtigkeit militärisch
abzusichern.

[Dieser Text ist eine Aktualisierung der IMI-Analyse 2008/016]

Anmerkungen

[1] Security Council 5663rd Meeting.
[2] Vgl. bspws. Center for Naval Analyses: National Security and the
Threat of Climate Change, April 2007; Burke, Sharon u.a.: Uncharted
Water: The U.S. Navy and Navigating Climate Change, CNAS Working
Paper, December 2008; und Richert, Jörg: Klimawandel und Sicherheit
in der amerikanischen Politik, SWP Diskussionspapier, 2009/05, März
2009.
[3] Dabei handelt es sich um die Nationale Sicherheitsstrategie, die
Nationale Verteidigungsstrategie und den Quadrennial Defense Review.
Vgl. Warmfighting: The New Strategic Document Requirements, Center
for Defense Information, 19.09.2008.
[4] Zumach, Andreas: Kriegsgrund Klima, WoZ, 13.03.2008.
[5] Climate Change and International Security, Paper from the High
Representative and the European Commission to the European Council,
S113/08, 14.03.2008, URL: http://tinyurl.com/65xh6e
/> [6] Klimawandel und Sicherheit, S412/08, Brüssel, 18.12.2008.
[7] Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie
– Sicherheit schaffen in einer Welt im Wandel, S407/08, Brüssel,
11.12.2008, S. 5.
[8] Der Klimawandel ist damit ein Paradebeispiel für die
Versicherheitlichung eines Themas. Der von der Kopenhagener Schule um
Barry Buzan und Ole Weaver geprägte Begriff beschreibt, wie
Themengebiete sicherheitspolitisch besetzt und dadurch militärischen
Logiken unterworfen werden. Der dabei zumeist verwendete
alarmistische Ton erzeugt einen Ausnahmezustand, mit dem
außerordentliche Maßnahmen gerechtfertigt werden. Vgl. Buzan, Barry/
Weaver, Ole/Wilde, Jaap de: Security: A New Framework for Analysis,
Boulder 1998.
[9] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Globale
Umweltveränderungen: Welt im Wandel: Sicherheitsrisiko Klimawandel,
Heidelberg 2008, S. 1.
[10] Anhörung im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des
Europäischen Parlaments am 31. März 2008 in Brüssel.
[11] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung 2008, S. 2; vgl.
auch UN Millennium Project: Investing in Development: A Practical
Plan to Achieve the Millennium Development Goals, New York 2005.
Collier, Paul: Breaking the conflict trap, World Bank Policy Research
Report 2003, S. 53.
[12] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung 2008, S. 6.
[13] Ebd., S. 11.
[14] Ebd., S. 6.
[15] Europa muss sich den sicherheitspolitischen Folgen des
Klimawandels stellen, Auswärtiges Amt, 13.03.2008.
[16] Vgl. Oster, Lisa: Goldgräberstimmung in der Arktis, in: AUSDRUCK
(Juni 2008).
[17] National Security Presidential Directive and Homeland Security
Presidential Directive, January 9, 2009, URL: http://www.fas.org/irp/
offdocs/nspd/nspd-66.htm
/> [18] Rozoff, Rick: NATO's, Pentagon's New Strategic Battleground:
Arctic, OpEdNews.com, 07.02.2009.
[19] Russland spricht Nato Platz in der Arktis ab, RIA Novosti,
27.03.2009.
[20] NATO kritisiert Russland wegen geplanter Arktis-Truppe, RIA
Novosti, 03.04.2009.
[21] Winkelmann, Ingo: Klimawandel und Sicherheit in der arktischen
Region, SWP Diskussionspapier 2009/02, Januar 2009, S. 10ff.
[22] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den
Rat: Die Europäische Union und die Arktis, KOM(2008) 763 endgültig,
Brüssel, 20.11.2008, S. 7.
[23] Brzoska, Michael: The securitization of climate change and the
power of conceptions of security, Paper prepared for the
International Studies Association Convention 2008, San Francisco,
March 26-29, S. 3.
[24] Schon im Grünbuch: Anpassung an den Klimawandel in Europa –
Optionen für Maßnahmen der EU, KOM(2007) 354 endgültig, Brüssel, den
29.6.2007, S. 24f. hieß es: "Die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der EU (GASP) spielt bei der Verstärkung der
Kapazität der EU, Konflikte wie Grenzstreitigkeiten und Spannungen
bezüglich des Zugangs zu natürlichen Ressourcen sowie
Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel begünstigt werden, und
ihre möglichen Folgen (wie Migrationszwang und interne Umsiedlung von
Personen) zu verhüten und zu lösen, eine wichtige Rolle. Die
Migrationspolitik der EU sollten auch die Auswirkungen des
Klimawandels berücksichtigen, vor allem beim Migrationsmanagement."
[25] Anhörung im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des
Europäischen Parlaments am 31. März 2008 in Brüssel.
[26] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung 2008, S. 14.

Jürgen Wagner


http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyseklimawandel2009klein.pdf
Ankündigungen (siehe: Aufrufe und Einladungen)  
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Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Georgien, Afghanistan, Usbekistan ,Sudan
Horn von Afrika (Djibouti) und vor den Küsten Libanons und Somalias

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